Berlin-Besuch Kureis Charmeoffensive
Berlin - Ahmed Kurei, der palästinensische Premierminister, war noch nicht einmal in Deutschland angekommen, da hatten sich die hiesigen Stellvertreter der beiden Parteien des Nahostkonflikts schon einen kleinen Schlagabtausch geliefert: Kurei solle erst einmal "seine Hausaufgaben machen", bevor er nach Europa reise, erklärte der israelische Botschafter in Deutschland, Schimon Stein, am vergangenen Wochenende. Kurei habe noch nichts für die Bekämpfung der palästinensischen Terrorgruppen getan. "Ich bitte Herrn Stein herzlich, sich nicht in die Angelegenheiten anderer Länder einzumischen", konterte Abdallah Frangi, der palästinensische Repräsentant, heute.
Angesichts des ersten Besuchs eines palästinensischen Premiers in Deutschland überhaupt zeigen beide Seiten Nerven. Beim Nahostkonflikt geht es außerhalb der Region eben immer auch um Aufmerksamkeit und Sympathie.
Berlin ist nach Rom und Brüssel die dritte Station der Europareise des palästinensischen Premiers; anschließend reist er noch nach Paris weiter. Ziel seiner Charmeoffensive ist es vor allem, sich bekannt zu machen. Erst vor einem guten Vierteljahr berief der palästinensische Präsident Jassir Arafat Kurei auf seinen Posten. Aufgefallen ist er bislang noch nicht. Eingezwängt zwischen der israelischen Besatzung auf der einen und Arafat - der keinen Gegenspieler haben will - auf der anderen Seite, bleibt ihm kaum Handlungsspielraum. Auf keinem zentralen Gebiet - Terrorbekämpfung, Friedensverhandlungen, Demokratisierung - hat er Erfolge erzielen können.
Neue Dynamik in der Friedensdiplomatie
Auch Kureis Europareise hat bisher inhaltlich nur wenig gebracht. Er bekundete zwar seinen Willen, direkte Verhandlungen mit Israels Premier Ariel Scharon zu führen. Und er kritisierte Israel dafür, der Anhörung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag wegen des israelischen Sperrzauns fernbleiben zu wollen. Doch zu besonderen Sympathiebekundungen hat sich deswegen keiner seiner Gesprächspartner hinreißen lassen.
Bei Kureis Gesprächen mit Johannes Rau und mit Kanzler Gerhard Schröder morgen geht es allerdings vor allem um die Friedensbemühungen. Mittlerweile gibt es eine verwirrende Vielfalt von Friedensfahrplänen. Aber der in der Vorwoche formulierte Vorschlag des deutschen Außenministers Joschka Fischer hat wieder ein wenig Bewegung in die festgefahrene Nahostdiplomatie gebracht.
Der Grüne hatte am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz vorgeschlagen, den gesamten Nahen Osten unter verstärkter Bündelung der Kräfte von USA, Nato und EU zu einem friedlichen Ausgleich zu führen. Außerdem, so regte Fischer an, solle es eine Freihandelszone am Mittelmeer geben. Man müsse einen breiteren Ansatz als bisher verfolgen und sich nicht nur auf Sicherheitsfragen konzentrieren.
Zwiespältige Reaktionen auf Fischers Vorstoß
Die internationalen Reaktionen auf den Vorstoß fielen bislang gemischt aus. "Fischers Vorschlag wird zurzeit noch von der palästinensischen Führung debattiert", sagte etwas reserviert der palästinensische Repräsentant Frangi gegenüber SPIEGEL ONLINE. Zwiespältiges Lob erhielt Fischer aus den USA: Der deutsche Außenminister habe lediglich eine amerikanische Idee geklaut, zitiert der SPIEGEL einen US-Diplomaten. Wenig begeistert zeigten sich auch die europäischen Partner, insbesondere Frankreich, weil Fischer sie vorher nicht eingeweiht hatte.
Die israelische Regierung äußerte sich noch nicht offiziell. Allerdings wird der israelische Außenminister Silwan Schalom am Rande einer Konferenz in Israel mit Fischer zusammentreffen. Es ist wahrscheinlich, dass er dem deutschen Außenminister bei dieser Gelegenheit die israelische Position vermittelt.
Vier verschiedene Initiativen nebeneinander
Offen ist unterdessen, ob und - wenn ja - wie die Fischer-Initiative mit den sonstigen bestehenden Friedensinitiativen verknüpft werden soll. Insgesamt gibt es derzeit drei verschiedene Pläne, die einander zum Teil widersprechen - und von denen bislang keiner zu irgendwelchen Fortschritten geführt hat.
Die Roadmap, nach internationaler Vermittlung im vergangenen Jahr offiziell angenommen, enthält eine Liste mit von beiden Parteien umzusetzenden Schritten, deren letzter umfassende Friedensverhandlungen sein sollen. Für die erste Phase sind vertrauensbildende Maßnahmen vorgesehen. Offiziell gilt die Roadmap noch; der Zeitrahmen ist jedoch schon jetzt heillos gesprengt.
Ein zweiter Plan ist die so genannte "Genfer Initiative" - ein Friedensfahrplan, auf den sich israelische und palästinensische Privatpersonen in Geheimverhandlungen geeinigt haben, den aber die israelische Regierung und Palästinenserpräsident Arafat nicht unterstützen. Der Genfer Plan sieht einen Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten als Gegenleistung für die Aufgabe des palästinensischen Rückkehrrechts vor.
Eine dritte Initiative - weniger ein Friedensplan als vielmehr eine Drohung - geht auf Scharon selbst zurück und beinhaltet einseitige Schritte Israels. So sollen einerseits die israelischen Siedlungen im Gaza-Streifen geräumt werden, andererseits aber eine nicht mit den Palästinensern ausgehandelte Grenze zum Westjordanland gezogen werden. Genauere Vorschläge will der Premier schon in den nächsten Tagen vorlegen. Diesen Plan lehnen die Palästinenser ab.
Aktueller Streitpunkt: Der israelische Sperrzaun
Bundespräsident Rau sprach sich am Abend nach seinem Gespräch mit Kurei dafür aus, Genfer Initiative und Roadmap zusammen zu verfolgen. So sehe er eine Chance zur Rückkehr zum Friedensprozess. Kurei erklärte nach der Begegnung, sein Treffen mit Scharon stehe nach wie vor auf der Tagesordnung. Am Donnerstag solle ein Vorbereitungstreffen stattfinden.
Aktuell streiten Israel und die Palästinenser vor allem um den Verlauf des von Israel geplanten und in Teilen schon errichteten Sperrzauns. Die Palästinensische Autonomiebehörde vermutet dahinter einen Plan Scharons, die Grenze zwischen Israel und den Palästinensischen Gebieten zu Israels Gunsten durch vollendete Tatsachen festzulegen.
Die israelische Regierung weist dies zurück. "Wir sind der Ansicht, dass der Anti-Terror-Zaun notwendig und legitim und provisorisch ist", entgegnete Schimon Stein, der israelische Botschafter in Deutschland, am Wochenende auf entsprechende Kritik von Seiten Kureis.
Fischer rief die israelische Regierung am Abend in Herzlia zu Korrekturen am Verlauf der umstrittenen Sperranlage im Westjordanland auf. Er sagte dazu, das Recht Israels auf einen Schutz seiner Bürger werde voll anerkannt. "Wir kritisieren die Route des Zauns und hoffen, dass die israelische Regierung weise handelt und den Verlauf des Zauns ändert." Die von Scharon angekündigte Räumung jüdischer Siedlungen im Gaza-Streifen begrüßte Fischer.