Neue Regierung in Berlin Rot-Rot-Grün kämpft für die Katz

Es soll eine Vorbild-Koalition sein - aber Rot-Rot-Grün in Berlin startet mit einem Programm, das es jedem recht machen will. Sogar eine Katzenschutzverordnung ist geplant. Zusammen hält das Bündnis die Angst vor der AfD.
Linke-Mann Lederer, Sozialdemokrat Müller, Grüne Pop (v.l.n.r.)

Linke-Mann Lederer, Sozialdemokrat Müller, Grüne Pop (v.l.n.r.)

Foto: Jens Kalaene/ dpa

Nicht die Welt, aber das Land schaut auf diese Stadt: Am Donnerstagvormittag wird die rot-rot-grüne Berliner Koalition offiziell ihre Arbeit aufnehmen - sollte Michael Müller im Berliner Abgeordnetenhaus von den Abgeordneten vonSPD, Linken und Grünen zum Regierenden Bürgermeister gewählt werden. Das erste sogenannte R2G-Bündnis unter SPD-Führung gilt als Modell für den Bund, vielleicht schon für die Zeit nach der Bundestagswahl im kommenden Herbst.

Angela Merkel könnte so nach zwölf Jahren aus dem Kanzleramt vertrieben werden, die Fans von Rot-Rot-Grün träumen von einem echten Politikwechsel in Deutschland, einer linken Renaissance - ausgerechnet im Angesicht der rechtspopulistischen AfD.

Doch fürs erste geht es nur um die Hauptstadt mit ihren etwa 3,5 Millionen Einwohnern. Hier wird nicht über Kriegseinsätze oder die Abschaffung von Hartz IV entschieden. In Berlin wird vornehmlich Lokalpolitik gemacht.

Dazukommt, dass in einem Dreierbündnis noch mehr Wünsche erfüllt werden müssen. Und so hat das Bedürfnis, wirklich jedem gerecht zu werden, erstmal zu einem geführt: Dem umfangreichsten Koalitionsvertrag, den das Land je gesehen hat. 251 Seiten, mehr als 20 Kapitel und fast 70.000 Wörter.

Es wird darin fast alles geregelt, bis hin zur Katzenschutzverordnung und einem ganzen Kapitel darüber, wer in welchem Gremium mit wem worüber spricht. Man könnte das als Ausdruck gegenseitigen Misstrauens werten. Es ist aber auch der Versuch, schon vor dem Start möglichst alle Stolpersteine auszuräumen.

Mehr denn je wird es in Berlin - und das betonen alle drei Bündnispartner - auf eine Sache ankommen: Kommunikation. Ob der alte und wohl auch neue Regierungschef Müller dafür das größte Talent besitzt, bezweifeln nicht nur in der SPD viele. Er vertraut nur seinen engsten Leuten, ist rasch beleidigt und tritt anderen ebenso schnell auf die Füße. Aber Müller hat Besserung versprochen, er will nur nicht nur Ansagen machen, sondern auch viel moderieren. Mal sehen.

Inhaltlich ist der Koalitionsvertrag kein großer Wurf, aber alle drei Partner haben sichtbar die Probleme Berlins erkannt: Wohnungsmarkt, Verkehr, Bildung, Verwaltung - das sind die politischen Großbaustellen Berlins.

Einige Prestigeprojekte

Geredet wird zwar viel über rot-rot-grüne Prestigeprojekte wie den autofreien Boulevard "Unter den Linden" oder eine moderatere Drogen- und Abschiebungspolitik. Aber daran werden SPD, Linke und Grüne in fünf Jahren nicht gemessen von den Wählern in Berlin.

Die Bewohner der Hauptstadt, die jedes Jahr rasant um 40.000 Einwohner wächst, haben Sehnsucht danach, dass Berlin funktioniert. Dann würde man vielleicht sogar darüber hinweg sehen, wenn die Eröffnung des geplanten Großflughafen BER abermals verschoben wird. Hauptsache, die S-Bahnen rollen regelmäßig und am besten ganzjährig, und Termine auf den Bürgerämtern müssen nicht mehr Monate voraus vereinbart werden.

Immerhin gibt es ein paar experimentelle Ansätze im Vertrag, die dazu geeignet sind, die Atmosphäre in der Stadt zu verändern. Das Prinzip "Arbeit statt Strafe" für Bagatelldelikte gehört dazu, es gibt aber auch einige Widersprüche: So will man Gefangenen Zugang zum Internet ermöglichen, aber ihre eingeschmuggelten Handys weiter blockieren. Eine Videoüberwachung konnte die SPD nicht durchsetzen, beziehungsweise nur in einer abgeschwächten Version: als Bodycam.

Außerdem verspricht R2G in Berlin viele, viele Stellen: für Lehrer, Erzieher, Polizisten, in der Verwaltung. Das liest sich gut auf dem Papier. Aber unklar ist weiterhin, wo die Fachkräfte eigentlich alle herkommen sollen - und warum sich Interessenten aus anderen Bundesländern auf die schlechten Berliner Bedingungen, nicht nur bei der Bezahlung, einlassen sollten. Denn eines gilt für Rot-Rot-Grün wie für die schwarz-rote Vorgänger-Koalition: Berlin ist nicht mehr so sexy, aber immer noch arm.

Jeder Partei ihr Steckenpferd

Dass es Rot-Rot-Grün ernst meint mit dem Wohnungsbau und der Mietenpolitik ist an der Zerschlagung des einst so mächtigen und unter SPD-Führung verfilzten Bau-Ressorts abzulesen. Hier werden die Linken künftig ihre Akzente setzen - und liefern müssen. Die Grünen dürfen sich dafür um eine "essbare" Stadt kümmern, die SPD hat ihr Bauressort abgegeben und setzt auf die Bildungs- und Wissenschaftsschiene, den beiden wichtigsten Rohstoffen der Zukunft. Jedem sein Steckenpferd.

Sicher ist: Das Regieren wird für Müller nicht einfacher. Der Rückhalt im eigenen Lager bröckelt - nach dem schwachen Wahlergebnis fühlt sich die Nachfolgerclique um Fraktionschef Raed Saleh stärker denn je -, Linke und Grüne treten selbstbewusst auf.

Aber alle wissen dennoch: Es darf nicht scheitern. Denn dann, so sieht es Linken-Spitzenmann und Kultursenator in spe Klaus Lederer, werde man zum "Konjunkturprogramm für die AfD".

Überblick der Positionen von SPD, Linken und Grünen im Bund

Foto: SPIEGEL ONLINE
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