
Berliner Verhältnisse Entmündigt diese Stadt!


Berlin am Morgen: Es könnte alles so schön sein
Foto: Kay Nietfeld / picture alliance/dpaNehmen wir für einen Moment an, die versemmelte Landtagswahl in Berlin war ein Fingerzeig, von ganz oben oder aus der Hölle, egal. Dieser Fingerzeig würde sagen: Lasst das sein mit der Wiederholungswahl in 14 Tagen! Es wird nichts Gutes draus.
Ich liebe Berlin, ich möchte nirgendwo anders leben und arbeiten. Aber gerade deswegen: Entmündigt diese Stadt! Soll McKinsey, die Heilsarmee oder ein Bundeskommissar übernehmen, aber nicht noch einmal diese Trümmercombo aus SPD, Grüne und Linkspartei. Und bitte auch nicht CDU oder FDP, die immer noch so westberlinerisch reden, ticken, dealen, als wäre die Mauer nie gefallen. Es gibt so viele Momente, in denen Berlin von seinen Regierenden klein und dumm gemacht wird. Und es hört nicht auf.
Da feiert eine grüne Bezirksbürgermeisterin mehrere neu errichtete, holzvertäfelte, bis zum/zur Seifenspender:in durchgegenderte »Missoirs und Pissoirs«, fünf Jahre Bauzeit. Die komplette Leidensgeschichte Berlins, die ich meine, ist damit erzählt: Die Hauptstadt der viertgrößten Volkswirtschaft des Planeten braucht fünf Jahre, ein Scheißhaus hinzustellen, und eine Verantwortliche twittert wie Messi mit dem WM-Pokal: »Bääm. Da ist das Ding.«
Oder die SPD-Jugendorganisation beschließt, ARD und ZDF mögen »antirassistische und feministische Pornografie ankaufen und verfügbar machen«, weil es im Internet so viel schlechte Pornos gebe. Oder die Berliner Polizei muss ihre Zahlen, wer mit welchem Pass in der Silvesternacht randaliert hat, zwei- bis dreimal korrigieren. Gottlob, sagen die Grünen am Ende, es waren nicht 145 Irre, die Ordnungskräfte und Rettungsdienste frontal attackierten, es waren weit weniger als die Hälfte (oder so). Die anderen sind nur wegen zum Beispiel Brandstiftung, Landfriedensbruch oder Raub angezeigt worden – und dann isses ja nicht so schlimm. Die CDU wiederum beantragt, die Vornamen der Deutschen unter den Tatverdächtigen zu veröffentlichen. Und wer jetzt meint, dümmer wird’s nicht mehr, dem sei gesagt: doch. Denn dit is Berlin, die Hölle.
Einig sind SPD und Grüne (und Linke) darin, dass die Berliner sich das Leben und Wohnen in ihrer Stadt leisten können müssen. Man hat es darum mit Mietpreisbremse, Mietendeckel, Rückkauf oder gleich Enteignung versucht, kein Erfolg, was Wunder. Eine drastisch vermehrte Bautätigkeit hingegen gehört nicht zu den Mitteln der Wahl: Als vor einigen Jahren am Rand eines stillgelegten Innenstadtflughafens etliche Tausend (Sozial-)Wohnungen entstehen sollten, brachten Grüne und Linke das Projekt zu Fall und blockieren bis heute jeden neuen Anlauf. Seither steigen Drachen auf der riesigen Freifläche und in der Stadt die Mieten. Immerhin: Die Quote der Hartz-IV-Bezieher lag zuletzt über 15 Prozent, für diese Haushalte blecht der Steuerzahler die Miete, weshalb es den Beteiligten schnurz sein kann, wohin sie steigt.
Diese Haltung ist auf gewisse Weise sogar nachhaltig zu nennen, denn für Hartz-IV-Nachschub wird in Berlin gesorgt: Nirgendwo (außer punktuell im rot-grün-rot regierten Bremen) können so wenige Viertklässler ausreichend Deutsch lesen, Deutsch schreiben, Deutsch verstehen. Und rechnen können sie auch nicht, nicht einmal die Hälfte erreicht den »Regelstandard«, letzter Platz unter den Bundesländern. So viele Schlaglöcher die Berliner Straßen auch haben mögen, und manche Baustelle auf dem Schulweg hat uns von der 5. Klasse bis zum Abitur begleitet: Die Piste aus den Berliner Schulen straight zum Sozialtransfer scheint stets frisch asphaltiert.
Und jetzt ist auch noch Wahlkampf. Während der S- und U-Bahnverkehr auf zentralen Nord-Süd- und Ost-West-Achsen eingestellt ist, sperrt die grüne Spitzenkandidatin und Mobilitätssenatorin 14 Tage vor der Wahl eine Hauptverkehrsverbindung im Ostteil der Stadt für den Autoverkehr, eine große Einkaufsstraße. Die Straße hatte sie schon einmal gesperrt, mit Fahrradwegen bepinselt und mit »Stadtmöbeln« vollgerümmelt, auf die die Tauben kacken. Dann machte ein Gericht dem Spuk ein Ende . Die Autos waren zurück, und man kam wieder auch ohne zu gucken heil über die Straße, denn Autofahrer bremsen notfalls, Radfahrer in Berlin tun das nicht. Nun macht die Straße wieder zu, denn die Senatorin, deren Partei zuletzt weniger als ein Fünftel der Stimmen bekam, findet Autoverkehr und Autofahrer halt blöd.
Die Regierende Bürgermeisterin und Rivalin der Mobilitätssenatorin sucht ihrerseits nach einem »signature Projekt« und schiebt kurz vor der Wahl eine große Verwaltungsreform weiter ins Rohr. Nicht, dass Berlin keine Verwaltungsreform bräuchte, sie braucht sie dringend: Berlin besteht aus zwölf Bezirken, die viel zu viel entscheiden und blockieren können. Die meisten sind so groß wie eine deutsche Großstadt, behördlich indes so gut organisiert wie eine kasachische Kleinstadt. Viele Bürgerämter haben derzeit geschlossen. Sie bereiten die Wahl vor, mehr geht nicht. So schließt sich der Kreis.
Eigentlich kommt diese Wiederholung der Regierenden Bürgermeisterin von der SPD zupass, denn sie wollte nach der letzten Wahl (2021) gar nicht mit Grünen und Linkspartei koalieren. Sie tat es dann doch, die Amtszimmer im Rathaus haben sehr schön hohe Decken. Nun steht zu befürchten, dass SPD, Linkspartei und Grüne (oder andersrum) erneut zusammenmüssen, denn mit CDU und FDP will keiner von ihnen regieren.
Parteien und Regierungen der Hauptstadt sehen sich tatsächlich als »big city club«, doch »Rote Laterne Berlin« trifft es besser. Sie haben sich nicht verrannt, denn das suggeriert Dynamik. Nein, die Parteien sind wie versteinert, Wind und Wetter des politischen Alltags schmirgeln sie klein und kleiner. Und es geht alles so weiter:
Liberal-konservative Kolumnisten wissen um die Vergeblichkeit ihres Tuns, trotzdem dieser Appell: Macht ein Ende! Wenn die Stadt schon nicht regiert wird, dann soll sie verwaltet werden. Holt einen Bundeskommissar. Macht aus Berlin ein Washington, D.C. Bitte.