Rechtsstreit Bewerberin mit Kopftuch siegt vor Gericht

Frau mit Kopftuch: Auf dem Arbeitsmarkt oft mit wenig Chancen
Foto: dapdBerlin - Der Zahnarzt aus Berlin-Spandau hätte sich wohl nicht träumen lassen, dass aus der jungen Bewerberin mit Kopftuch ein Fall werden würde, der in der deutschen Rechtssprechung bislang ohne Beispiel ist.
Im Sommer 2011 kommt die aus dem Irak stammende Berlinerin in die Praxis. Sie hat gerade ihr Abitur gemacht, nun will sie ins Berufleben einsteigen, am liebsten mit einer Ausbildung zur Zahnarzthelferin. Die Stelle ist ausgeschrieben. Der Zahnarzt ist offensichtlich angetan von der jungen Frau, hält sie für kompetent, sie würde gut ins Team passen. Das einzige Problem sei ihr Kopftuch, das könne sie dann ja bei der Arbeit ablegen. "Das hielt er scheinbar für selbstverständlich, aber ich sagte ihm, dass ich das nicht tun würde", berichtet die heute 24-Jährige SPIEGEL ONLINE am Telefon. Trotzdem habe sie ihn sympathisch gefunden, immerhin habe er sich überhaupt auf ein Gespräch mit ihr eingelassen.
Der Zahnarzt gibt sich nach der Abfuhr hartnäckig. In einer späteren E-Mail schreibt die Praxis noch einmal an die junge Frau: Ob sie es sich denn vielleicht anders überlegt habe, man würde ihr sehr gerne den Ausbildungsplatz geben.
Anders überlegt hat sie es sich keinesfalls - zumindest nicht die Sache mit dem Kopftuch. "Aber ich war mir sicher, dass das eine Ungerechtigkeit war, die ich nicht hinnehmen wollte. Ich wollte versuchen gerichtlich dagegen vorzugehen, auch wenn ich erst mal gar nicht wusste wie", so die junge Frau.
Über das Antidiskriminierungsnetzwerk des Türkischen Bundes Berlin schaltet die junge Frau eine Anwältin ein, die meldet Ansprüche an den Zahnarzt wegen erlittener Diskriminierung an. Es kommt zum Rechtsstreit.
Gericht: "Das Tragen des Kopftuchs ist keine Marotte"
Das Berliner Arbeitsgericht gab in einem Urteil vom März 2012, das erst jetzt bekannt wurde, der Klägerin Recht. Der Zahnarzt habe gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), auch bekannt als Antidiskriminierungsgesetz, verstoßen und muss eine Entschädigungszahlung in Höhe von 1470 Euro an die junge Frau zahlen.
Die Begründung des Gerichts: Die konkrete Benachteiligung habe darin bestanden, dass die Klägerin nach ihrem Bewerbungsgespräch und ihrer abschlägigen Antwort auf die Nachfrage der Beklagten per E-Mail aus dem Kreis der weiterverfolgten Bewerbungen ausgeschlossen wurde. Es gebe keine Zweifel daran, dass das Kopftuch der Grund für die Ablehnung der Bewerberin gewesen sei. Es gebe aber keine objektive Notwendigkeit dafür, die Stelle mit einer Person zu besetzen, die nicht muslimisch ist, ebenso wenig gebe es die Notwendigkeit, das Kopftuch aus zahnmedizinischen Gründen in der Praxis nicht zu tragen, so der Richter.
Weiter heißt es in der Urteilsbegründung: Das Tragen des Kopftuchs sei keine "Marotte", die nicht unter den Schutz der Religionsausübung fiele, sondern es handle sich um die unmittelbare Ausübung der Religionsfreiheit selbst. Das Tragen des Kopftuchs und die Religiosität der Klägerin seien eine untrennbare Einheit. Der Richter argumentierte sehr grundsätzlich: Das AGG solle einem menschlichen Grundübel entgegenwirken, der "Xenophobie". "Diese gibt es durchaus auch im progressiven Gewand. Die Frau mit Kopftuch gilt als unemanzipiert und rückständig. Dabei ist sie in Wahrheit nicht verkehrt, sondern nur anders. Und Mensch unter dem Schutz der Gesetze."
Junge Muslimin: "Ich konnte es erst gar nicht glauben"
Es ist ein wegweisendes Urteil - weil die Kopftuchträgerin Recht bekommen hat. Der Richterspruch ist nach Auskunft der Antidiskriminierungsstelle des Bundes das erste Urteil, das sich explizit auf eine Bewerberin mit Kopftuch in der Privatwirtschaft bezieht und eine Entschädigung ausspricht. In den vielen anderen Urteilen zum Thema geht es meistens um Lehrerinnen, Kindergärtnerinnen, also um den öffentlichen Bereich oder um kirchliche Träger. Zahlreiche Länder haben ein Kopftuchverbot für öffentliche Schulen erlassen - in mehreren Prozessen scheiterten Lehrerinnen mit ihrer Forderung, das Kopftuch tragen zu dürfen. Zuletzt hatte zum Beispiel im Februar 2012 das Landesarbeitsgericht in Hamm geurteilt, dass ein Krankenhaus in konfessioneller Trägerschaft einer Krankenschwester untersagen darf, bei der Arbeit das islamische Kopftuch zu tragen.
Studien zeigen, dass es Musliminnen, die Kopftuch tragen, auf dem Arbeitsmarkt sehr schwer haben - Mario Peucker von der Universität Bamberg hat das für die Antidiskriminierungsstelle des Bundes untersucht. In seinem Papier zitiert er Untersuchungen, wonach ein Großteil derer, die über Stellenbesetzungen entscheiden, Frauen mit Kopftuch explizit ablehnen oder ihnen skeptisch gegenüber stehen.
Das Berliner Urteil habe deshalb "Signalwirkung", so die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders. "Es stellt klar, dass Frauen wegen ihrer religiösen Überzeugung nicht beim Zugang zur Beschäftigung diskriminiert werden dürfen." Die Richter hätten mit ihrem Urteil die besondere Bedeutung des Diskriminierungsverbots wegen Religion im Arbeitsrecht hervorgehoben. Es gebe bei vielen Arbeitgebern in diesem Bereich noch wenig Unrechtbewusstsein.
Die 24-jährige Muslimin hat inzwischen eine andere Ausbildung begonnen - mit Kopftuch. Im Moment aber pausiert sie. Sie hat ein Baby bekommen. "Als das Urteil kam, konnte ich es zuerst gar nicht glauben", sagt sie. "Ich freue mich immer noch darüber."