Berliner Koalitionspoker um Autobahn Crash-Test für die Grünen

Grüner Parteichef Wesener: "Vertrauen ist keine Einbahnstraße"
Foto: Britta Pedersen/ picture alliance / dpaIrgendwann ist er sehr genervt von all den Fragen und Details und Interpretationen. Der grüne Parteichef in Berlin, Daniel Wesener, spricht dann endlich mal aus, um was es wirklich geht: "Wir reden doch gar nicht über Verkehrs- oder Wirtschaftspolitik. Für uns geht es um grüne Glaubwürdigkeit." Das sieht auch der Berliner Bundestagsabgeordnete der Grünen, Hans-Christian Ströbele, so. Die Verhandlungen in Berlin dürften nicht zu einem Glaubwürdigkeitsverlust der Partei, auch im Bund, führen.
Die Berliner Grünen pochen deshalb vor ihrer internen Abstimmung an diesem Freitag über Koalitionsverhandlungen mit der SPD auf ein Nein zur umstrittenen Stadtautobahn A100.
Seit Tagen müssen sie sich rechtfertigen und diskutieren: Haben sie einem Verkehrsprojekt den Weg geebnet, das sie im Wahlkampf zum Symbolthema erhoben hatten und strikt ablehnten? Die Parteispitze habe sich bei den Sondierungsgesprächen nicht auf einen Kuhhandel mit den Sozialdemokraten eingelassen, betonten Parteichef Daniel Wesener und Fraktionschef Volker Ratzmann. Sie bestritten, sich auf einen Kompromiss eingelassen zu haben, wonach die Stadtautobahn verlängert wird, falls sich der Bund weigert, seine dafür bereitgestellten Gelder zugunsten anderer Straßenprojekte umzuleiten.
Berlin - das Referenzmodell für den Machtwechsel im Bund
Ratzmann betonte, dass daran eine rot-grüne Koalition in Berlin immer noch scheitern könnte. "Entweder wir kriegen das hin, oder wir kriegen das nicht hin", sagte der Fraktionschef. Das müsse in den Koalitionsverhandlungen geklärt werden. Die Grünen seien bereit dazu. Sie wollten künftig mit der SPD unter dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) die Stadt regieren, um so Berlin zum ökologischen Vorreiter auszubauen. Das Berliner Modell, so ihr Traum und die Lesart auch in der Bundesspitze, soll ein Referenzmodell werden für den Machtwechsel im Bund 2013. Aber davor stehen nun die Mühen der Ebene.
Vor dem Delegiertentreffen am Freitag, das darüber entscheiden soll, ob die Grünen in Koalitionsverhandlungen eintreten, hat Wesener aus der Partei "vor allem positive Signale". Bei den Grünen wüssten alle: "Wenn wir es gar nicht versuchen, regiert die SPD mit der CDU" - und dann kommt die Autobahn auf jeden Fall.
Rot-Grün wollen laut Ratzmann auch die meisten Grünen-Mitglieder, wie die große Zustimmung einzelner Bezirksvoten zu dem Verkehrskompromiss zeige. Deshalb sei er sicher, dass die Grünen-Basis am Freitag der Aufnahme der Koalitionsgespräche mit der SPD zustimmen werde, sagte der Fraktionschef.
"Vertrauen ist keine Einbahnstraße", sagte Ratzmann mit Blick auf die von Wowereit immer wieder geforderte Verlässlichkeit und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Er erwarte von der SPD Verhandlungen auf Augenhöhe: "Die Zeiten von Koch und Kellner sind vorbei", droht Ratzmann in Anspielung auf die Rollenverteilung in der letzten rot-grünen Ehe im Bund unter Gerhard Schröder (SPD) und Joschka Fischer.
Weiterbau der A100 ist der Knackpunkt
In den Sondierungsgesprächen habe Wowereit tatsächlich von den Grünen verlangt, der SPD-Linie ("Lässt sich eine Umwidmung der Bundesmittel nicht erreichen, steht die Koalition zum Weiterbau der BAB 100") zu folgen. Aber: "Das haben wir nicht unterschrieben, und das weiß die SPD auch ganz genau", betonte Ratzmann.
Wesener warf dem SPD-Landesvorstand vor, in seinem Beschluss zum Kompromiss mit den Grünen genau diesen umstrittenen Satz als Punkt 5 aufgenommen zu haben. Die Grünen hätten diesen Satz aber nicht unterzeichnet. Wowereit habe am Dienstag selbst eingeräumt, die SPD habe den Satz um der Klarheit willen ergänzt. "So viel zum Punkt Verlässlichkeit der Partner", sagt Wesener süffisant. "Wir unterschreiben keinen Koalitionsvertrag, der den Weiterbau der A100 festschreibt", bekräftigten beide Politiker.
Den Einwand, dieser Satz sage nur, was auch Satz 1 der Vereinbarung beinhalte - "Das Projekt des 16. Bauabschnitts der BAB 100 wird nicht grundsätzlich aufgegeben" -, wiesen beide zurück. Mit diesem Satz seien die Grünen der SPD entgegengekommen, betonte Wesener. Das habe man mit Blick auf die noch ausstehende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig im Jahr 2012 getan, wo vier Klagen gegen den Weiterbau der A100 anhängig sind. Mit Urteilen wird erst in der ersten Jahreshälfte 2012 gerechnet, vorher passiert in Sachen A100 ohnehin nichts.
Die Grünen spekulieren auf den Machtwechsel
Ob dann der Bund angesichts knapper Kassen das Geld für Berlin noch in den Haushalt für 2013 einspeist, ist noch offen. Die Grünen spielen auf Zeit: Sie spekulieren auf einen Machtwechsel im Bund 2013 und wollen das A100-Verfahren möglichst lange offenhalten.
"Wenn wir die A100 grundsätzlich aufgegeben hätten, wären der Planfeststellungsbeschluss nichtig und die Bundesmittel weg", sagte Ratzmann. Die 420 Millionen Euro Bundesmittel für die Verkehrsinfrastruktur wollten aber auch die Grünen für die Stadt sichern - ebenso wie die SPD.
Ratzmann und Wesener kritisierten Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) scharf, der ein Umwidmen der Bundesmittel gleich für unmöglich erklärt hatte. Eine Verhandlung darüber sei sehr wohl möglich, wenn Berlin ein baureifes Projekt zur Sanierung von Autobahnen oder zum Lärmschutz vorweise. Genüsslich präsentierten sie noch am Donnerstag die Antwort auf eine Kleine Anfrage im Bundestag aus dem Jahr 2009. Da hieß es aus dem Verkehrsministerium eine Umwidmung sei "grundsätzlich möglich".
Hinter Ramsauers deutlicher Absage diese Woche vermuten sie deshalb politische Motive: Der CSU-Mann will Rot-Grün verhindern. Auch im Hinblick auf 2013.