Berliner TV-Duell Alphatier gegen Hundeblick
Berlin - Friedbert Pflüger fährt punkt halb acht vor dem Sendehaus des RBB vor. Freundlich nickt er zu allen Seiten, sagt "guten Abend" und verschwindet in der Maske. Klaus Wowereit kommt eine Viertelstunde später, auf den letzten Drücker, man macht sich schon Sorgen. Der RBB-Programmdirektor empfängt ihn mit den Worten: "Wir stehen hier seit 35 Minuten." Wowereit grinst und fragt: "Und, wie viele Kandidaten sind vorbeigekommen?"
Schon die Ankunft zum ersten und letzten Fernsehduell des Berliner Wahlkampfs an diesem Dienstagabend spricht Bände über die Spitzenkandidaten für das Amt des Regierenden Bürgermeisters. CDU-Kandidat Pflüger gibt sich betont locker - und wirkt so erst recht verkrampft. Er sei "absolut nicht" aufgeregt, versichert er. Gerade sei er mit seiner Mutter und Schwester "schön essen gewesen". SPD-Amtsinhaber Wowereit hingegen lässt die Fragen der Reporter einfach abprallen. "Natürlich sind wir beide aufgeregt", sagt er ironisch. "Ist ja schließlich eine Schicksalsstunde."
Pflüger verrät, er wolle "ruhig bleiben", falls Wowereit wieder so agiert wie am Vortag. Da war der Sozialdemokrat ihm bei einem ähnlichen Rededuell im Axel-Springer-Verlagshaus ständig ins Wort gefallen und hatte sich auch vom Moderator nicht bremsen lassen. Beobachter fühlten sich an Gerhard Schröders rüdes Gebaren gegenüber Angela Merkel in der Elefantenrunde nach der Bundestagswahl erinnert.
"Husch, husch, ins Foyer!", befiehlt Wowereit
"Ich finde, Herr Wowereit hat sich gestern damit keinen Gefallen getan", sagt Pflüger. Den Angesprochenen scheint das wenig zu beeindrucken. Als er beim Fototermin vor Beginn des Duells die dpa-Korrespondentin erblickt, pflaumt Wowereit sie direkt an. "Sie haben gestern die ganze Zeit dazwischen gequatscht", ruft er. "Den ganzen Abend babbelte sie hinter meinem Ohr: Jetzt lassen Sie den Pflüger doch auch mal reden", äfft er sie nach. "Gut, dass Sie heute auf Sicherheitsabstand sind. Husch, husch, ins Foyer." Die Reporterin ist fassungslos. "Der glaubt, der kann sich alles erlauben", schäumt sie. "Der spinnt wohl."
Tatsächlich kann Wowereit seit Wochen vor Kraft kaum laufen. Das liegt an den guten Umfragewerten, die ihn als unschlagbaren König von Berlin erscheinen lassen. Nach derzeitigem Stand kann er sich sogar den Koalitionspartner aussuchen: Linkspartei oder Grüne. Die Spekulationen über eine größere Rolle in der Bundespolitik tun ein Übriges, um sein Selbstbewusstsein in den Himmel wachsen zu lassen.
Obendrein spielt Kontrahent Pflüger den glücklosen Gegner wie aus dem Lehrbuch. Während der Amtsinhaber von Spatenstich zu Spatenstich eilt, hier ein Flughafen, da ein Vergnügungspark, muss der zugereiste Herausforderer erst einmal die CDU-Ortsvereine kennen lernen. Die größten Schlagzeilen machte Pflüger mit einer Liebeserklärung an seine Heimatstadt Hannover in einer Lokalzeitung.
Gönnerhafter Klaps für den glücklosen Gegner
Das Fernsehduell bestätigt die klare Rollenverteilung. Schon die erste Frage offenbart die Hierarchie: Was schätzen Sie an Ihrem Gegner? Pflüger zögert ("Sehr schwere Frage"), dann sagt er diplomatisch: "Ich finde ihn angenehm im Umgang." Da wird im Foyer, wo die Journalisten bei Gulaschsuppe die Debatte am Bildschirm verfolgen, gekichert. Wowereit erklärt seinerseits, es sei "beachtenswert", dass Pflüger der Berliner CDU helfen wolle. Er habe "kräftig gearbeitet" und sich "wacker geschlagen". Jedes Wort ist ein gönnerhafter Klaps für den abgehängten Gegner. So spricht einer, der sich seiner Sache hundertprozentig sicher ist.
Pflüger rennt gegen das Bollwerk Wowereit an: Der Bürgermeister verdecke die Probleme der Hauptstadt mit seinem "Wohlfühlklima". Der verströmt daraufhin gleich noch ein bisschen mehr davon. Pflüger bemängelt fehlende Industriearbeitsplätze. Wowereit rattert große Namen herunter: BMW, DaimlerChrysler, BASF, Gillette, MTV - ganz so, als sei Berlin ein Mekka für Dax-Unternehmen. Pflüger sagt, binnen fünf Jahren habe Berlin 113.000 Arbeitsplätze verloren. Wowereit: "Das mag Ihnen irgendjemand aufgeschrieben haben. Sie kennen die Stadt nicht."
Zum Schluss gibt's für Pflüger noch zwei Wowi-Bären
Pflüger behauptet, er habe eine Liste mit arabischen Investoren, die nur darauf warten, in Berlin zu investieren. Darauf Wowereit: "Soll ich jetzt sagen, ich habe eine längere Liste als Herr Pflüger? Kann ja jeder behaupten." Und an Pflüger gewandt: "Seien Sie ehrlich, Sie haben keine."
So geht das den ganzen Abend. Wowereit lärmt, Pflüger leidet. Auf der einen Seite das Alphatier mit Imponiergehabe, auf der anderen Seite der Underdog mit dem treuherzigen Hundeblick. Wie am Vortag muss der nette Herr Pflüger mehrfach die Moderatorin um Hilfe anrufen. "Darf ich auch mal ausreden?", lautet sein Standardsatz. Leider darf er nicht immer, denn auch die Moderatorin hat eine Schwäche für Wowereit. Als Pflüger schwärmt, er finde Berlin spannend, weil hier, "in der Hauptstadt der Deutschen", die Probleme des ganzen Landes sichtbar seien, mahnt die Moderatorin: "Wir sind noch nicht beim Schlussplädoyer."
Pflüger findet hinterher trotzdem, dass es ein faires Duell war und dass er "klar gewonnen" habe. Wowereit verzichtet auf eine Bewertung, das sei Sache der Experten. Aber er hat sich noch etwas einfallen lassen. "Hier, für die Kinder", sagt er gönnerhaft und überreicht Pflüger zwei Wowi-Bären aus Plüsch. "Damit die Presse merkt, dass der Wahlkampf nicht so schlimm ist." Es ist eine weitere Demütigung - ein Souvenir an den Wahlkampf gegen den unerreichten Wowi. Pflüger entsorgt die Bären hastig bei einem Mitarbeiter.