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Wowereits Rücktritt Grandiose Wurstigkeit

Mit seinem "und das ist auch gut so" bediente Klaus Wowereit Berliner Lebensgefühl. Er gab sich so, wie die Hauptstädter sich gern sehen, cool, immer entspannt - nur leider hat er darüber das Regieren vergessen.

Man kann sich das heute kaum noch vorstellen, aber es gab einmal eine Zeit, da war man in Berlin richtig stolz darauf, einen wie Klaus Wowereit zu haben. Der Mann war einfach cool. Im Juni 2001 bekannte er auf einem Sonderparteitag seiner Partei, der SPD, schwul zu sein - was "auch gut so" sei, und dieses Bekenntnis war nicht nur ein persönlicher Befreiungsschlag Wowereits, der so (auch das kann man sich heute kaum noch vorstellen) schwiemeligen Enthüllungsgeschichten in der Boulevardpresse zuvorkam. Es war nicht nur eine Pioniertat, die es für viele Schwule und insbesondere schwule Politiker nach ihm so viel leichter machte, ihre sexuelle Orientierung öffentlich zu machen.

Nein, dieses "und das ist auch gut so" war der rhetorisch zugespitzte Ausdruck des Lebensgefühls in der noch gar nicht so lange wiedervereinigten Hauptstadt: Hier konnte, hier durfte man sein, was und wer man wollte, frei, ohne großes Tamtam, ganz selbstverständlich. In Berlin ging alles, und alles war normal.

Ja, das waren große Zeiten. Klaus Wowereit etablierte sich als Party-Bürgermeister einer Stadt, die, noch so ein prägendes Zitat des Regierenden Bürgermeisters, "arm, aber sexy" war. Hier verstand man es zu feiern, auch und gerade sich selbst, und sich dabei die Laune nicht von den äußeren Umständen oder miesepetrigen Ratschlägen aus südlichen, hyperkorrekten Bundesländern verderben zu lassen. Endlich schien die bleierne Diepgen-Ära vorbei, und mit ihr eine Zeit, in der man den Eindruck hatte, die Stadt würde von einer viel zu gut eingesessenen Clique von West-Berliner Unternehmern regiert, die sich gegenseitig Aufträge zuschoben, ansonsten geschmacklose Krawatten umhatten und jedenfalls nicht ganz koscher waren.

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Klaus Wowereit: Abgang nach über 13 Jahren

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Tatsächliches Regierungshandeln ist nicht erinnerlich

Mit Wowereit wurde Berlin endlich eine Hauptstadt, die diesen Namen zu Recht trug, und noch mehr: Berlin wurde zur Weltstadt. Hierher reisten die Menschen aus Madrid, London, Paris und New York, um dort zu sein, wo das Leben pulsiert, wo gedacht und gemacht wird, was anderswo unmöglich erscheint. Das war wahrscheinlich schon immer ein großes Missverständnis, und jetzt ist es das sowieso: Wo früher tatsächlich so etwas wie Pioniergeist herrschte, scharen sich heute touristische Zuschauer und Menschen, die unbedingt dabei sein wollen, wenn etwas aufregendes passiert - aber selbst alles andere als aufregend sind. Das zunehmend gentrifizierte Berlin lebt zwar noch gut von seinem Ruf, aber in nicht allzu langer Zeit wird auch der letzte Tourist bemerkt haben, dass er in den im Reiseführer angepriesenen Szenekneipen keinerlei Szene mehr antrifft, sondern nur noch seinesgleichen.

Und womöglich sind auch die Berliner selbst mit ihrer Liebe zu Wowereit einem großen Missverständnis erlegen. In den Jahren seiner Regentschaft musste man zunehmend den Eindruck gewinnen, sein "und das ist auch gut so" sei weniger ein Bekenntnis zu weltoffener Gelassenheit - sondern Ausdruck einer grandiosen Wurstigkeit. Alles gut, alles egal, Hauptsache Wowi regiert. Beziehungsweise: ist im Amt. Denn tatsächliches Regierungshandeln Wowereits ist eigentlich nicht erinnerlich. Nicht nur bekam er es nicht hin, dass die S-Bahnen einigermaßen verlässlich fuhren, Wowereit irritierte seine Bürger im Glatteiswinter 2010 zusätzlich mit der Aussage, man sei "hier nicht in Haiti", anstatt sich darum zu kümmern, dass ordentlich gestreut wird (darin nicht ganz unähnlich seinem Parteifreund und langjährigem Finanzsenator Thilo Sarrazin, der frierende Minderbemittelte einst mit dem Hinweis abspeiste, sie sollen sich eben mal einen Pullover drüberziehen).

Neuwahl aus Mangel an Alternativen

Das ist nur ein Beispiel für das widersprüchliche Bild Wowereits in der Öffentlichkeit: Im Wahlkampf, zuletzt 2011, präsentierte sich Wowereit als übersympathischer, knuffiger Typ, der zu jedem einzelnen Berliner sofort einen guten Draht hatte, legendär beispielsweise das Plakat, das den Bürgermeister in einer Kita zeigte, während ihm von einem Kind ein Stofftier ins Gesicht gedrückt wurde. Gleichzeitig konnte man immer öfter lesen, dass der Regierende ein überaus unangenehmer Chef sei, der seinen Mitarbeitern herrisch begegnete und unwirsch auf jede Form von Kritik reagierte.

"Berlin verstehen" stand neben Wowereits Konterfei auf den Wahlplakaten, aber verstehen, warum die Berliner ihn noch mal gewählt haben, kann man eigentlich nur, wenn man den Blick abwendet von ihm und hin zu den erbärmlichen Leistungen seiner damaligen Gegenkandidaten. Nein, Berlin wollte nicht von einer erschreckend miesepetrigen Renate Künast regiert werden, und vom CDU-Mann Frank Henkel aus Prinzip nicht. Also nahm man halt noch mal den Wowi, da wusste man wenigstens, was man hatte.

Wowereits Rolle im Desaster um den sogenannten Hauptstadtflughafen war da allerdings noch nicht bekannt, bei der Wahl gingen die Berliner noch davon aus, Wowereit würde demnächst ein rotes Band durchschneiden und dann, mit etwas Schampus aus dem Schuh einer kessen Stewardess, auf den beginnenden Flugbetrieb anstoßen. So kann man sich täuschen. Auch die bundespolitischen Ambitionen, mit denen er gerne kokettierte, werden sich kaum noch erfüllen. Noch vor wenigen Jahren wurde ernsthaft eine Kanzlerkandidatur Klaus Wowereits diskutiert, der sich als Garant einer stabilen SPD-Regierung in seiner Hauptstadt und als linke Stimme in Zeiten der ersten Großen Koalition unter Angela Merkel in Szene setzen konnte.

Der Mann, dem man aktuellen Umfragen zufolge nicht einmal mehr zutraut, sich selbstständig die Schnürsenkel zu binden, sollte vielleicht Kanzler werden? Man kann sich das heute kaum mehr vorstellen.

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