Bernhard Vogel im Interview "Helmut Kohl ist ein Stück Geschichte"
Wir haben das heutige Programm des Kanzlers erfahren. Eine gute Auswahl, um Land, Leute und deren Sorgen kennen zu lernen?
Vogel:
Es sind keine schlechten Punkte, eine der wichtigsten Universitäten, vor allem auf technischem Gebiet, und der Bau der dringend notwendigen Autobahnverbindung von Erfurt in Richtung Süden. Dies sind sicher zwei Schwerpunkte für unser Land, die man herzeigen kann.
Hat man Sie, Ihre Fachleute im Vorfeld während der Planung beteiligt?
Vogel: Man hat uns von der Absicht des Bundeskanzlers und SPD-Vorsitzenden informiert, nach Thüringen zu kommen. Man hat uns auch gefragt und angeboten, dass ich an ein oder zwei Terminen teilnehmen könne. Das werde ich in Ilmenau und an der Baustelle der A71 auch tun.
Gestern in Sachsen wurde dem Kanzler von Seiten der Opposition vorgeworfen, er vermeide den Besuch bei wahren Problemregionen im Osten. Gilt dieser Vorwurf auch für Thüringen?
Vogel: Zunächst freue ich mich als Ministerpräsident natürlich über den Besuch des Bundeskanzlers. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger ist er ja selten in den neuen Ländern in den ersten beiden Regierungsjahren gewesen. Dass er jetzt kompakt kommt, ist nicht zu kritisieren, sondern ist ein Beitrag dazu, die Probleme kennen zu lernen. Wie weit er bei dieser Reise als Bundeskanzler reist und wie weit als SPD-Bundesvorsitzender, das ist mir nicht so ganz deutlich. Aber dass er Probleme sehen wird und auf Probleme angesprochen werden wird, das glaube ich wird schon gelingen.
Auch das Thema Rechtsextremismus kam gestern in Sachsen wieder zur Sprache. Für wie groß halten Sie dieses Problem in Thüringen?
Vogel: Zunächst bin ich in diesem Punkt mit dem Kanzler ausgesprochen einer Meinung. Rechtsradikalismus ist ein gesamtdeutsches Thema und ist kein ostdeutsches Thema. Ich bin sehr dankbar, dass er das schon vor einigen Tagen sehr deutlich gesagt hat. Bei dieser Reise wird das Thema aber selbstverständlich auch angesprochen werden müssen, weil es uns ja gegenwärtig bundesweit beschäftigt.
Ihre Einschätzung dieser Problematik was Thüringen angeht?
Vogel: Dass leider in den jungen Ländern, wo wir sehr wenig Ausländer haben, 1,7 Prozent in Thüringen, das Problem nicht weniger aktuell ist wie in den alten und dass wir gerade hier, wo die Menschen in der Vergangenheit eine sehr einseitige Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus ertragen mussten, Bedingungen haben, auf die wir achten müssen: beispielsweise die hohe Arbeitslosigkeit insbesondere auch bei Jugendlichen, beispielsweise die Tatsache, dass man gewöhnt war, für alle Probleme eine Feindkulisse zu errichten, auf die man alles werfen konnte. Das sind alles Dinge, die die Auseinandersetzung hier bestimmen und die auch ein Grund dafür sind, warum wir in den letzten Monaten hier in Thüringen wie in anderen Ländern Deutschlands bedauerlich viele rechtsextremistische Auseinandersetzungen und rechtsextremistische Anschläge hatten.
Herr Vogel, kommen wir auf die CDU zu sprechen. Erst tagelang große Aufregung und parteiinterne Auseinandersetzungen, dann eine Präsidiumssitzung und danach eitel Sonnenschein. So war es nach dem Bundesratsdebakel bei der Steuerreform und so war es jetzt wieder nach den Wirren um Helmut Kohls Beteiligung bei den Einheitsfeiern. Wird diese Abfolge zum Regelfall?
Vogel: So war es nicht in diesem Fall, sondern in diesem Fall war es so, dass die Parteivorsitzende rechtzeitig in die Diskussion eingegriffen hat, Entscheidungen gefällt hat, mit Helmut Kohl gesprochen hat und eine befriedigende Lösung, die wir gestern zur Kenntnis nehmen konnten, herbeigeführt hat.
Einmal redet Schäuble zum Einheitsvertrag, dann eine Veranstaltung mit Kohl zum Vereinigungsparteitag, dazu die Konferenz der Adenauer-Stiftung, das alles neben den offiziellen Feiern. Ist diese Vielzahl von Auftritten die optimale Lösung?
Vogel: Es können gar nicht genügend Veranstaltungen stattfinden aus Anlas der zehnten Wiederkehr der Wiedervereinigung der Bundesrepublik und ich hoffe, dass in möglichst vielen Kreisverbänden der CDU, dass in möglichst vielen Städten und bei möglichst vielen anderen Gelegenheiten über dieses Thema Wiedervereinigung, aber auch über die Probleme, die wir noch zu lösen haben, gesprochen wird. Ich bin sehr froh, dass viele Veranstaltungen stattfinden und nicht nur ein einziger Staatsakt.
Sie glauben nicht, dass man sich da verzettelt?
Vogel: Nein, warum denn. Es gibt genügend Leute, die sich damit beschäftigen und auch damit beschäftigen wollen. Es sind ja nicht immer die gleichen.
Herr Vogel, für wie groß halten Sie den Einfluss von Helmut Kohl in der CDU zur Zeit?
Vogel: Selbstverständlich wirkt ein Mann, der diese Partei über Jahrzehnte geprägt hat, der zu den erfolgreichsten europäischen Politikern gehört, weiter nach und wird auch für die Zukunft - das möchte ich jedenfalls auch - weiter nachwirken. Aber er ist ein Stück Geschichte der christlich-demokratischen Union. Er ist nicht die heutige Führung.
Wie würden Sie denn Ihr Verhältnis zum Altkanzler beschreiben?
Vogel: Das hat sich nicht geändert. Ich bin betrübt und betroffen über den Verstoß gegen das Parteiengesetz. Ich konnte mir das nicht vorstellen. Das ist ein höchst kritisierenswerter und bedauerlicher Vorgang. Das rechne ich jedoch nicht auf gegen historische Verdienste des Mannes übrigens nicht nur in der Frage der deutschen Wiedervereinigung, sondern mindestens ebenso sehr auch in der Frage der europäischen Einigung.
Herr Vogel, wann haben Sie das letzte Mal mit Helmut Kohl gesprochen?
Vogel: Kurz bevor er in Urlaub gefahren ist, und um diese Zeit herum bin ich auch in Urlaub gefahren, so Anfang Juli.
Und glauben Sie, die Partei kann das Verhältnis zu ihrem ehemaligen Ehrenvorsitzenden normalisieren, solange dieser die Namen der Spender weiter verschweigt?
Vogel: Diese Auseinandersetzung sollten wir nun wirklich von den anderen Fragen trennen. Es ist bekannt, dass er nicht bereit ist, die Spender zu nennen, und es hat jetzt keinen Sinn, dass wir gebetsmühlenartig immer wieder erneut fordern, er solle sie nennen. Er nennt sie nicht. Die Sache ist abgeschlossen.
Es bleibt eine Belastung oder?
Vogel: Es ist ärgerlich und es bleibt selbstverständlich ein Schatten. Das darf man auch nicht verschweigen. Aber ich sage noch einmal: das ist das eine und die historische Bedeutung dieses Mannes ist das andere.
Helmut Kohl hat gestern deutlich gemacht, er werde in einer Einheitsdebatte im Bundestag mit Sicherheit nicht auf den Bundeskanzler antworten. Wer sollte das Ihrer Meinung nach tun?
Vogel: Ich glaube die Debatte steht ja noch gar nicht fest. Wir reden von einem Phantom gegenwärtig. Ich halte es jedoch für richtig, dass man eine Debatte herbeiführt, aber bitte über die gegenwärtigen Probleme und keine historische Würdigung. Das ist nicht die Sache des Bundestages bei diesem Anlas. Bei dieser Gelegenheit ist es selbstverständlich. Wenn es zu einer solchen Debatte kommt, an der auch der Kanzler teilnimmt, dann haben das erste Wort der Fraktionsvorsitzende und die Parteivorsitzende.
Mit freundlicher Genehmigung des Deutschlandfunks