Besuch des türkischen Präsidenten Gül nennt deutsche Ausländerpolitik menschenrechtswidrig

Der türkische Staatspräsident hat die deutsche Einwanderungspolitik heftig gerügt. Sie stehe nicht im Einklang mit dem Gedanken einer fortschrittlichen Demokratie, sagte Abdullah Gül - und sie verstoße gegen die Menschenrechte.
Türkischer Staatspräsident Gül: "Ich empfinde diese Politik als ungerecht"

Türkischer Staatspräsident Gül: "Ich empfinde diese Politik als ungerecht"

Foto: Felipe Trueba/ picture alliance / dpa

Berlin - Am Sonntag reist Abdullah Gül zu einem dreitägigen Staatsbesuch nach Deutschland. Kurz vor seiner Ankunft kritisiert der türkische Staatspräsident die Ausländerpolitik der Bundesrepublik als rechtswidrig. Das 2007 verschärfte Einwanderungsrecht widerspreche den Menschenrechten, sagte Gül am Samstag in einem Interview des ZDF. "Ich empfinde diese Politik als ungerecht." Sie stehe nicht im Einklang mit dem Gedanken einer fortschrittlichen Demokratie. Seit August 2007 dürfen Braut oder Bräutigam nur zu ihren in Deutschland lebenden Partnern nachziehen, wenn sie Deutschkenntnisse nachweisen.

Gül forderte zugleich seine Landsleute in Deutschland auf, besser Deutsch zu lernen. "Sie sollten die Sprache akzentfrei beherrschen. Die Sprache ist der Schlüssel zu einer erfolgreichen Integration in die Gesellschaft."

Anders trat in der Vergangenheit der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan auf: Der hatte im Februar dieses Jahres bei einer Rede in Düsseldorf gefordert, Kinder türkischer Migranten sollten zuerst ihre Muttersprache und dann Deutsch lernen - und sich gegen eine völlige Anpassung gewandt. Damit hatte er eine neue Debatte über Integration in Deutschland entfacht.

Zum Auftakt seines Deutschlandbesuches wird Gül am Montag mit militärischen Ehren von Bundespräsident Christian Wulff im Schloss Bellevue empfangen. Am Dienstag trifft er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammen. Hierzulande leben rund 2,5 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln. Knapp ein Drittel hat einen deutschen Pass.

"Einwanderer aus der Türkei haben Deutschland vielfältiger gemacht"

Der Berliner Integrationsforscher Klaus J. Bade betonte die besondere Bedeutung von Bildung und Ausbildung bei der Integration der türkischen Bevölkerung in Deutschland. "Die Investitionen in die Bildung sind auch allgemein viel zu gering", sagte Bade. Der jüngste Bericht der OECD habe dies erneut bestätigt. "Man sollte auf Integrationsprobleme nicht mit Panik reagieren, sondern mit Innovationen und Investitionen."

Bundespräsident Christian Wulff dankte am Samstag den Türken in Deutschland für ihren Beitrag zum deutschen Wohlstand. "Einwanderer aus der Türkei haben Deutschland vielfältiger, offener und der Welt zugewandter gemacht", sagte der Wulff der "Süddeutschen Zeitung". Er sehe in einem weiteren Ausbau der deutsch-türkischen Beziehungen "ein großes Potential" für beide Länder.

Wulff würdigte auch die Rolle der Türkei als Vorbild für die Umbruchstaaten in der arabischen Welt. Die Türkei sei "ein Beispiel dafür, dass Islam und Demokratie, Islam und Rechtsstaat, Islam und Pluralismus kein Widerspruch sein müssen". Dies sei von "überragender Bedeutung für den Frieden in der Welt".

Der Bundespräsident will während des dreitägigen Staatsbesuchs seinem Gast auch seine Geburtsstadt Osnabrück zeigen. Gül wird von seiner Ehefrau Hayrünnisa begleitet. Am Montagabend findet im Berliner Schloss Bellevue nach einem gemeinsamen Besuch des deutsch-türkischen Wirtschaftsforums ein Staatsbankett zu Ehren des Gastes statt.

Am selben Tag will Hayrünnisa Gül mit Präsidentengattin Bettina Wulff und Familienministerin Kristina Schröder (CDU) das Berliner Kinder- und Familienzentrum besuchen. Anlass ist der Start eines Förderprogramms für frühkindliche Bildung. Allein in Berlin leben mehr als 185.000 Menschen türkischer Herkunft, von denen 80.000 einen deutschen Pass besitzen. Es ist die größte türkische Gemeinschaft außerhalb des Mutterlandes Türkei.

wit/dpa/dapd
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