Streit mit Türkei über Besuchsverbot Mit der Brechstange

Ursula von der Leyen (bei einem Besuch in Kahramanmaras, 2014)
Foto: Bernd von Jutrczenka/ dpaBundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen gibt sich im Streit mit der Türkei fest entschlossen. Nachdem sich Berlin und Ankara seit Tagen hinter den Kulissen über das Besuchsverbot für Verteidigungsstaatssekretär Ralf Brauksiepe zoffen, ging die CDU-Ministerin am Sonntag zielstrebig in die Öffentlichkeit. Mit Empörung sagte sie der "Bild"-Zeitung, so etwas wie die türkische Verweigerung der Visite ihres Vizes bei den deutschen Soldaten auf der Luftwaffenbasis in Incirlik habe sie in ihrer Zeit als Politikerin "noch nie erlebt".
Von der Leyens Ausbruch beschreibt ganz gut, wie aufgeheizt der Streit um den Besuchs Brauksiepes mittlerweile ist. Seit Tagen bemüht sich das Auswärtige Amt (AA) in Berlin über die Botschaft in Ankara, ja selbst über den Nato-Botschafter in Brüssel, die Türken zur Einsicht zu bringen. Bisher aber hörten sich Ankaras Diplomaten die Demarchen zwar geduldig an, reagierten aber nicht. Selbst der diplomatische Standardsatz, dass man den Vorgang noch prüft, fiel nicht.
Von der Leyen will nun mit der Brechstange eingreifen. Über die "Bild" kündigte sie an, schon in den nächsten Tagen selbst nach Incirlik zu fliegen. Dabei wolle sie der Türkei "erklären, was es bedeutet, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist". Ziel der Reise sei die Durchsetzung der "Selbstverständlichkeit, dass die Leitung des Verteidigungsministeriums deutsche Soldatinnen und Soldaten im Einsatzgebiet besucht", so von der Leyen.
Ankara hat wenig Interesse einzulenken
Die Aussagen der Ministerin entsprechen Satz für Satz den diplomatischen Einsprüchen, die das AA in den vergangenen Tagen in Ankara und anderswo ablieferte. Lang und breit hatte Berlin den Türken damit versucht zu erläutern, dass der Staatssekretär nicht irgendwer, sondern formal der Stellvertreter der Ministerin ist. Auch die Abgeordneten des Bundestags, so die deutschen Depeschen, sei für die Bundeswehr sehr wichtig, schließlich müssten die Parlamentarier jede Auslands-Mission der Truppe absegnen.
In Ankara aber, so scheint es, hat man einem Einlenken wenig Interesse. Statt zu deeskalieren, hatte Ende letzter Woche der Außenminister persönlich noch einmal öffentlich Öl ins Feuer gegossen. Aus türkischer Sicht, so Mevlüt Cavusoglu, seien Besuche von Politikern in Incirlik derzeit "nicht angemessen". Die deutschen Soldaten und die Aufklärungsjets aber könnten dort gern bleiben, erklärte der türkische Top-Diplomat, an Bundestagsabgeordneten aber habe man kein Interesse.
Den Grund für das Besuchsverbot verhehlt die Türkei kaum. Den deutschen Diplomaten in Ankara signalisierte man von Beginn an, eine politische Visite des Staatssekretärs aus dem Wehrressort sei wegen der Armenien-Resolution des Bundestags derzeit nicht möglich, zudem Brauksiepe auch noch Abgeordnete mitbringen wollte, die für die Erklärung gestimmt hatten. Bis heute zürnt die Türkei wegen der Erklärung, die die Vertreibung der Volksgruppe durch das osmanische Reich als Völkermord geißelt.
SPD will starke Symbole
Ob die Ministerin in der Türkei tatsächlich etwas ausrichten kann, erscheint fraglich. Auf Anfrage erklärte ein Sprecher ihres Hauses, die Visite werde derzeit in Absprache mit der Türkei geplant, einen Termin gebe es aber noch nicht. Mit der öffentlichen Ankündigung geht von der Leyen ein Risiko ein: Im schlechtesten Fall wehren sich die Türken auch gegen die Visite der Ministerin. Von der Leyen blieb der Armenien-Abstimmung zwar fern, verteidigte die Resolution aber deutlich, das dürfte man auch in Ankara wahrgenommen haben.
In jedem Fall wird die Ministerin unter Beobachtung stehen, sollte sie in die Türkei fliegen. Deutsche Presse jedoch, das hat ihr Ministerium bereits mitgeteilt, soll bei dem Trip nicht dabei sein. Die Frage, ob von der Leyen wenigstens Abgeordnete aus dem Verteidigungsausschuss an Bord nimmt, ließ man zunächst noch offen. Grundsätzlich gehört es zur Routine bei Ministerreisen, eine Delegation von Fachpolitikern mitzunehmen, so soll die wichtige Rolle des Parlaments unterstrichen werden. Die Türkei aber würde das wohl kaum zulassen.
Die SPD pocht bereits auf starke Symbole. "Wir bestehen darauf, dass Mitglieder des Bundestags die Truppe besuchen können, ansonsten wären solche Mandate nicht zustimmungsfähig", sagte der Verteidigungspolitiker Rainer Arnold SPIEGEL ONLINE. Arnold forderte erneut, dass sich auch die Nato in den Streit einschalten solle. Aus seiner Sicht ist es ein Unding, dass die Türkei als Allianz-Partner Deutschlands Besuche von Regierungsmitgliedern wie Brauksiepe oder Abgeordneten untersagen will.
Auch die Grünen drängten die Ministerin, bei ihrem Türkei-Besuch dieselbe Klarheit walten zu lassen wie in ihrem "Bild"-Interview: "Ursula von der Leyen sollte nicht zum netten Erklärgespräch in die Türkei fliegen", forderte Agnieszka Brugger, die als Obfrau für die Grünen im Verteidigungsausschuss sitzt. "Nach den Entgleisungen und Einreiseverboten Erdogans muss ein Zeichen her, dass Besuche von Abgeordneten und Medien eine Selbstverständlichkeit sind", sagte Brugger SPIEGEL ONLINE.