Familienpolitik Union verbittet sich SPD-Kritik am Betreuungsgeld

Schnuller von Kleinkindern: Was passiert mit dem Betreuungsgeld?
Foto: Julian Stratenschulte/ dpaBerlin - Plötzlich ist er wieder da, der Streit ums Betreuungsgeld. Die Grünen fordern, die umstrittene Familienleistung abzuschaffen. An ihrer Seite stehen auch einige SPD-Politiker. Man fühlt sich an die Zeit vor der großen Koalition erinnert, als Grüne und Sozialdemokraten im Bundestag fast geschlossen gegen die von ihnen geschmähte "Herdprämie" stimmten. Nur: Die SPD sitzt heute nicht mehr in der Opposition, sondern in einer Regierung mit CDU und CSU.
Dort ist man über die Kritik empört. "Es erschüttert mich, mit welcher Nonchalance SPD und Grüne den Eindruck erwecken, der Staat sei der bessere Erzieher", sagte die CSU-Landesgruppenchefin im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, SPIEGEL ONLINE. "Ich halte es für fatal, wenn der Eindruck erweckt wird, nur Erziehung in der Kita sei für Kinder unter drei Jahren förderlich. Das ist ein gefährliches Staatsverständnis und ein Tiefschlag für alle Eltern", so Hasselfeldt.
"Es ist sehr gut, dass es das Betreuungsgeld gibt", bekräftigte die CSU-Politikerin und warf den Kritikern Ignoranz vor. "Eltern wissen am besten, was gut für ihre Kinder ist, ganz gleich ob die Eltern einen Hochschul- oder Hauptschulabschluss haben. Die Haltung von Grünen und SPD ist eine Beleidigung aller Eltern mit Hauptschulabschluss oder mit Migrationshintergrund".
Streit um Studie von Jugendforschern
Gegner des Betreuungsgeldes befürchten, der Zuschuss halte vor allem Migrantenfamilien oder Kinder aus bildungsfernen Milieus von der Kita-Betreuung fern - und verschärfe damit ungleiche Bildungschancen.
Diese Sorge verstärkt jetzt eine Studie des Deutschen Instituts für Jugendforschung. Über den Entwurf berichteten SPIEGEL und SPIEGEL ONLINE bereits Anfang Juni. Demnach sei die Prämie ein "besonderer Anreiz für sozial eher benachteiligte Familien, kein Angebot frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung zu nutzen", schrieben die Forscher.
Der Vorsitzende der Jungen Gruppe in der Unionsfraktion, Steffen Bilger (CDU), verteidigt den Zuschuss dennoch. "Das Betreuungsgeld ist nicht zuletzt eine Anerkennung", sagte er SPIEGEL ONLINE. "Wenn es den Eltern auch um finanzielle Unterstützung geht, ist nichts dagegen einzuwenden. Diese Studie sollte nicht zur Stimmungsmache gegen solche Familien, egal mit welchem sozialen Hintergrund, genutzt werden."
Der Zeitpunkt für Kritik ist günstig, da sich die Einführung der Prämie in dieser Woche zum ersten Mal jährt. Ab dem 1. August, also ab Freitag, wird das Betreuungsgeld von 100 auf 150 Euro erhöht. Grund genug für die Zweifler, noch einmal kräftig Alarm zu schlagen.
SPD im Betreuungsgeld-Dilemma
Die Sozialdemokraten sind dabei in einer schwierigen Lage. Im Wahlkampf hatten sie angekündigt, das Betreuungsgeld nach der Bundestagswahl abzuschaffen. In den Koalitionsverhandlungen wurde den Genossen schnell klar, dass daraus nichts wird. Die CSU beharrte darauf.
Nun muss die SPD einerseits ihre Kritik aufrechterhalten. Andererseits muss sie erklären, warum das Betreuungsgeld noch immer nicht abgeschafft ist. Seit Längerem ist in der SPD-Führung deshalb eine gewisse Milde eingekehrt: Parteichef Sigmar Gabriel kommentiert das Thema überhaupt nicht mehr. Stattdessen hört man von führenden Sozialdemokraten regelmäßig, dass die SPD für "eine andere, moderne Familienpolitik" stehe - man aber eben Kompromisse eingehen müsse.
Aus Sicht der SPD-Spitze kommt die plötzliche Schärfe in der Debatte ungelegen. Die Parteiführung will neuen Streit nach den Erfolgen, die man mit Mindestlohn und Rentenreform feierte, vermeiden und sich lieber auf eigene Projekte wie die Mietpreisbremse konzentrieren.
Vielleicht erledigt sich das Gezerre ums Betreuungsgeld auch von selbst. Angenommen wird es im Bundesländer-Vergleich höchst unterschiedlich, auch verfassungsrechtliche Bedenken bleiben. Das SPD-geführte Hamburg hat vor dem Bundesverfassungsgericht Klage eingereicht, das Urteil wird im Laufe der Legislaturperiode erwartet. Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) hofft auf ein Machtwort aus Karlsruhe: "Über die Zukunft des Betreuungsgeldes entscheidet das Bundesverfassungsgericht."