Biografie-Hype Rosa Zeiten für Klaus Wowereit
Berlin - Es ist noch kein Jahr her, da war Klaus Wowereit richtig out. Die Medien fanden seinen schnodderigen Stil nicht mehr sexy, aus seiner rot-roten Koalition in Berlin schien nach der Wiederwahl 2006 die Luft raus, und er selbst fiel bei der Bürgermeisterwahl im Abgeordnetenhaus im ersten Wahlgang durch. Dann wurde er auch noch von SPD-Chef Kurt Beck bei der Kür der drei Parteivizes übergangen - ein empfindlicher Dämpfer für Wowereits Ambitionen auf Bundesebene. Plötzlich wirkte der Glamour-Boy der SPD gestrig und gar nicht mehr cool.
Die Nachricht, dass der 53-Jährige an seiner Autobiografie schreibe, lieferte den Spöttern weiteres Futter: Memoiren schreibt schließlich, wer seine beste Zeit bereits hinter sich hat.
Nun wird das Buch heute abend vorgestellt, und durch die Medien schwappt seit Tagen eine Welle neuer "Wowi"-Begeisterung. "Wowi, wer bist du?", läutete die Berliner Boulevardzeitung "B.Z." Anfang der Woche ihre Wowereit-Festspiele ein und befragte dazu ehemalige Weggefährten. Wowereits eigene Antworten sind exklusiv in der "Bild" nachzulesen, die unter der Schlagzeile "Wowi erzählt alles" die ganze Woche lang Auszüge aus dem Buch druckt.
Diese Ehre wurde zuletzt Altkanzler Gerhard Schröder zuteil, der vergangenes Jahr seinen Memoirenband "Entscheidungen" vorlegte. Es gibt noch weitere Parallelen bei der Vermarktung der Lebensbeichten dieser beiden Selbstvermarkter. Während Schröder damals durch gezielte Sticheleien gegen die Gewerkschaften für die nötige Aufmerksamkeit sorgte, erreicht Wowereit dies mit Spekulationen über den ersten schwulen deutschen Kanzler und die "Mobbing-Kultur" in der SPD. Seiner Parteispitze empfiehlt er im "Stern"-Interview, sie solle mal ein vierzehntägiges Ruderseminar machen. Beim Rudern merke man nämlich "ganz brutal, wenn einer die anderen hängen lässt und man den Riemen ins Kreuz bekommt".
Anders als bei Schröders dröger Staatsmannprosa steht bei Wowereit allerdings nicht die Politik im Vordergrund, sondern der Mensch. Darauf deutet schon der Titel des Buchs hin: " und das ist auch gut so" ist eine Hommage an die Schlüsselszene in Wowereits politischem Leben. Mit dem Satz "Ich bin schwul, und das ist auch gut so" hatte sich Wowereit 2001 auf einem SPD-Parteitag als erster deutscher Politiker öffentlich geoutet. Es war sein Durchbruch in die Liga der A-Promis. "Keine Werbekampagne hätte es vermocht, mich so schnell bekannt zu machen", schreibt er selbst. "Das Schicksal hatte mich von der Landesliga in die Champions League geschossen".
"An Feiern hat man teilzunehmen"
Zwar betont Wowereit, dass in dem Buch auch "sehr viel Politik drin" sei. Doch insgesamt überwiegt das Private - wie schon die Vorabdrucke deutlich machen: So erfährt der Leser, dass schon zu Schulzeiten alle Welt zu Wowereits Partys strömte, weil er einen Partykeller und keine "überbehütende" Mutter hatte. Zudem hat seine Mutter angeblich die Feierneigung des Sohnes gefördert, weil ihr "jede Art von Feier als wichtiges soziales Ereignis" galt, "an dem man teilzunehmen hatte". Auf diese Weise gibt der Party-Bürgermeister seinem viel gescholtenen Tun nachträglich höhere Weihen.
Der Leser erfährt auch über Wowereits Erlebnisse mit Frauen ("Ich habe Sabine geknutscht, bis uns schwindlig war"), sein wachsendes Interesse an Männern und die Nacht in der "Bar Centrale", in der er seinen heutigen Freund Jörn Kubicki kennen lernte. Nicht einmal seine Fernsehgewohnheiten sind tabu: Bis heute guckt der Bürgermeister, wann immer er kann, sonntags die ARD-Serie "Lindenstraße".
Das alles erinnert ein bisschen an Dieter Bohlen, die Begeisterung auf dem Boulevard ist also verständlich. Passend dazu hat Wowereit für die Buchvorstellung heute abend den TV-Moderator Günther Jauch als Laudator engagiert. Bei Schröder war es mit dem luxemburgischen Premier Jean-Claude Juncker hingegen ein respektierter Politiker.
Sozialdemokratischer Stallgeruch
Die Frage ist: Warum macht Wowereit das? Zuletzt war er schließlich darum bemüht, das Image als Regierender Partymeister abzustreifen und sich als seriöser Sanierer der maroden Berliner Finanzen zu präsentieren. Auch zusätzliche Bekanntheit hat er eigentlich nicht nötig: Sein Bekanntheitsgrad liegt bundesweit bereits bei über neunzig Prozent. In den Rankings der beliebtesten Sozialdemokraten liegt er regelmäßig weit vorn - übertroffen allenfalls von Außenminister Frank-Walter Steinmeier.
Wowereit selbst behauptet, der Verlag habe ihn zu dem Buch gedrängt. Er habe sich lange gesträubt, aber schließlich nachgegeben. Doch kauft ihm das kein politisch denkender Beobachter ab. In der Hauptstadt wird die Autobiografie vielmehr als strategischer Zug auf dem Weg zu neuen Ämtern, vielleicht sogar dem Kanzleramt, gesehen.
Denn jenseits der schlagzeilenträchtigen Party-Anekdoten ist das Buch der Versuch, sich sozialdemokratischen Stallgeruch zuzulegen. Es ist die Geschichte des Sohnes der armen Putzfrau Hertha Grüner in Berlin-Lichtenrade, die ihre fünf Kinder mit Anstand großziehen wollte. Wowereit erzählt von den Problemen, die Ölrechnung zu bezahlen, der Diskriminierung in der Schule und den sehnsüchtigen Blicken ins Schaufenster des KaDeWe. Es ist die Geschichte, mit der schon Gerhard Schröder bei den Deutschen punktete.
"Nach heutigen Maßstäben hätte die Familie Wowereit zum 'Prekariat' gezählt, jener von den Wortkünstlern meiner Partei erfundenen Gesellschaftsschicht, deren richtigen Namen man nicht auszusprechen wagt", schreibt Wowereit. "Ja, wir waren arm im Vergleich zu den Apothekern, Ärzten und Beamten, die in Lichtenrade wohnten."
Die "Wortkünstler der Partei", damit sind jene Technokraten gemeint, die derzeit die Parteiführung der SPD bevölkern: Kühle Denker wie Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück. Wowereits menschelnde Selbstinszenierung ist auch als Abgrenzung zu diesem Typ Sozialdemokrat zu lesen - und als Bewerbung für die Nachfolge von Schröder. Auf die Frage des "Stern", ob ein Schwuler Kanzler werden könne, antwortet Wowereit: "Ich glaube, das wäre möglich."