Merkel und die BND-Affäre Der Fluch der NSA-Suchliste

BND-Abhörstation in Bad Aibling: "Man verhandelt nicht gern"
Foto: Angelika Warmuth / dpaPeter Altmaier gab sich vergangene Woche entspannt. "In den nächsten Tagen" werde eine Antwort aus den USA eingehen, so der Kanzleramtschef. Dann werde man eine Entscheidung treffen, wie man mit dieser Antwort umgehe. Das seien alles "ganz einfache" Regeln, so der Christdemokrat. Aufregung unnötig, so seine Botschaft.
In Wahrheit hat das Kanzleramt lange nichts mehr so in Aufregung versetzt wie die Entscheidung, von der Altmaier sprach. Angela Merkel wird darüber befinden müssen, ob sie dem Bundestag jene Liste freigibt, auf der die europäischen Ziele verzeichnet sind, die der BND für den befreundeten US-Geheimdienst NSA mutmaßlich jahrelang ausspähte.
Die Lage der Kanzlerin könnte unangenehmer kaum sein: Verweigert sie dem Parlament die Suchliste, würde das ihr eigenes Aufklärungsversprechen in der BND-Affäre konterkarieren. Legt sie die Liste vor, dürfte das die Partnerschaft zu den USA noch mehr belasten, als sie jetzt schon ist.
Noch hofft Merkel darauf, dass sich die Angelegenheit intern regeln lässt. Vor rund zwei Wochen fragte die Bundesregierung in Washington an, ob man die Liste dem Parlament vorlegen könne. Altmaier redet mit Denis McDonough, dem Stabschef des US-Präsidenten. Ein solches "Konsultationsverfahren" ist üblich. Im Kanzleramt ist allen klar, dass ein Ja, öffentlich als möglich bezeichnet, unwahrscheinlich ist.
Peinliche Offenlegung
Hinter den Kulissen hat die US-Administration schon jetzt signalisiert, dass eine Offenlegung der Suchliste unmöglich ist. Die NSA will Spähziele nicht offenlegen, einerseits wäre es peinlich, dass alle Welt sehen würde, wonach der Geheimdienst sucht und dass man Freunde gern belauscht. Viel wichtiger aber: "Die Veröffentlichung der Suchkriterien würde das Operations-Profil der USA offenlegen", sagt ein Insider, "das ist so etwas wie der Heilige Gral jedes Geheimdienstes."
Nur: Was dann? Der Druck, das dürfte auch Merkel ahnen, wird gewaltig sein, sich über das Verbot der Amerikaner hinwegzusetzen. Merkel hat die Pistole von Vizekanzler Sigmar Gabriel auf der Brust, der sie persönlich für die Aufklärung haftbar macht. Erst anhand der Liste, das hat er feinsinnig bemerkt, ist die gesamte Dimension der Affäre erkennbar.
Rund 2000 Spähziele umfasst das Papier. Europäische Politiker, Top-Beamte, französische Regierungsstellen. Werden diese Ziele namentlich bekannt und konkret identifiziert, dürfte die Affäre in die nächste Runde gehen.
Die Opposition weiß, dass die Liste ihr Jackpot sein könnte. Grüne und Linke haben bereits angekündigt, im Zweifel nach Karlsruhe zu ziehen, um auf eine Freigabe zu klagen. Auf die SPD kann Merkel nicht mehr zählen. "Das Parlamentarische Kontrollgremium muss die Möglichkeit erhalten, die Listen zu sehen", fordert sein Vizeparteichef Ralf Stegner, "das ist nicht verzichtbar."
Der innenpolitische Druck ist die eine Seite. Die andere betrifft die außen- und sicherheitspolitischen Folgen, die eine Entscheidung verursachen würde. Vergangene Woche mahnte BND-Chef Gerhard Schindler in geheimer Runde, schon jetzt merke man erste Einschränkungen der Geheimdienst-Kooperation mit den USA. Schindler, Verfassungsschutzchef Maaßen und auch Innenminister de Maizière warnen seitdem, die USA könnten gemeinsame Projekte wie die Überwachung von Syrien-Rückkehrern einstellen.
Zusammenarbeit auf dem Prüfstand
Einen Beleg gibt es schon: Die Reduzierung der Zusammenarbeit von BND und NSA in Bad Aibling, in den Medien als deutsche Strafaktion für die USA dargestellt, lief etwas anders: Sie war ein Signal der USA. Nachdem die Deutschen vor einigen Tagen Begründungen für US-Suchbegriffe eingefordert hatten, reagierte die NSA schroff: Man verhandelt nicht gern und zog "einfach den Stecker", wie ein BND-Mann sagt.
Die Entscheidung wird im Kanzleramt als Vorgeschmack auf die kommenden Tage gesehen. Im schlimmsten Fall, so die Analyse, werden die USA nicht nur ein klares "No" zur Freigabe der Liste senden. Möglich ist auch, dass Washington deutlich macht, dass man die Zusammenarbeit mit den Deutschen auf den Prüfstand stellen muss, wenn Berlin die Liste trotzdem freigibt. In Zeiten des weltweiten Terrors stünde Angela Merkel dann vor einer unmöglichen Entscheidung: Gibt sie dem Druck der Innenpolitiker nach, liefe sie Gefahr, die Sicherheit Deutschlands zu gefährden.
Überlagert wird die Entscheidung von einer anderen äußerst unangenehmen Angelegenheit. Die "SZ" machte am Wochenende öffentlich, wie devot die Merkel-Mannschaft im Jahr 2013 über ein sogenanntes No-Spy-Abkommen mit den USA verhandelte, sich nie hart für einen solchen Vertrag einsetzte und die deutsche Öffentlichkeit über die Chancen auf ein solches Abkommen täuschte. Für die Kanzlerin ist die Veröffentlichung interner E-Mails ein Desaster, nicht zuletzt weil sie nahelegen, dass sie über ihren außenpolitischen Berater Christoph Heusgen zu jeder Zeit über die Widerstände Washingtons im Bilde war.
Es ist zu erwarten, dass sich der NSA-Untersuchungsausschuss nun auch genauer für die aktuellen Verhandlungen mit den USA interessieren und Protokolle anfordern wird.
Zusammengefasst:
In der Affäre um NSA und BND gerät Bundeskanzlerin Angela Merkel in eine schwierige Situation. Gibt sie die Suchliste heraus, wie dies die Opposition fordert, verärgert sie Washington - und gefährdet damit auch die innere Sicherheit Deutschlands. Verweigert sie sich dem Ansinnen, wird der innenpolitische Druck noch größer.