BND-Affäre im Bundestag Abkanzeln, abwiegeln, abstreiten

Der gesamte Bundestag ist mit der BND-Affäre beschäftigt - in Ausschüssen, Sitzungen und auf den Fluren gibt es kein anderes Thema als die problematische Zusammenarbeit zwischen BND und NSA. Chronik eines bemerkenswerten Tages.
BND-Affäre im Bundestag: Abkanzeln, abwiegeln, abstreiten

BND-Affäre im Bundestag: Abkanzeln, abwiegeln, abstreiten

Foto: ODD ANDERSEN/ AFP

Thomas de Maizière weiß, wie man einen Auftritt inszeniert: Langsam schreitet er den Flur entlang, feste Stimme, sparsame Gestik. "Von den gegen mich erhobenen Vorwürfen ist nichts übrig", behauptet der Innenminister. Er will zeigen: Trotz des Trubels - ich bin die Ruhe in Person. Die Affäre ist vorbei.

Nun ja, das ist nicht ganz der Fall. Und dieser Mittwoch ist dafür der beste Beleg. Es scheint, als sei der gesamte Bundestag mit der BND-Affäre beschäftigt. Der Auftritt de Maizières, der sich gegen den Vorwurf wehren muss, als Kanzleramtschef die problematische Zusammenarbeit zwischen BND und NSA nie wirklich angeschaut zu haben, ist nur ein Termin unter vielen. Ob in Ausschüssen oder in Gremien, im Plenum oder auf den Fluren - nahezu überall sind die Abgeordneten damit beschäftigt, die zentralen Fragen der Affäre aufzuklären. Arbeitete der BND im Verbund mit der NSA gegen deutsche Interessen? Und wer wusste davon in der Bundesregierung?

Längst hat sich die Angelegenheit zu einer Krise der Großen Koalition ausgeweitet. Jedes maßgebliche Regierungsmitglied versucht, die Causa möglichst weit von sich zu schieben. Die Opposition macht Druck, im Kanzleramt liegt eine toxische Liste mit NSA-Suchbegriffen, die Wirtschaft ist nervös.

So lief dieser bemerkenswerte Mittwoch ab:

9.00 Uhr, Bundeskanzleramt

Angela Merkel und ihr Vize Sigmar Gabriel kommen zum Vieraugengespräch zusammen. Sie machen das regelmäßig, aber an diesem Morgen ist alles etwas anders. Gabriel hat Merkel am Montag eine Falle gestellt und öffentlich gemacht, dass die Kanzlerin keine Hinweise auf Wirtschaftsspionage sieht. Es geht jetzt um ihr Wort. Merkel kann das nicht gefallen. Aus der Unterredung dringt nichts nach außen. Doch beide wissen: Die Geschäftsgrundlage der Koalition hat sich verändert. Um halb zehn eröffnet die Kanzlerin die Kabinettssitzung.

9.00 Uhr, Paul-Löbe-Haus, Rechtsausschuss, vertrauliche Sitzung

Harald Range hätte sich einen schöneren Mittwoch gewünscht. Wieder mal die NSA. Seit den Snowden-Enthüllungen drängen ihn viele zu Ermittlungen. Doch noch immer gibt sich der Generalbundesanwalt äußerst zurückhaltend. In Sachen BND-Affäre prüfe er einen Anfangsverdacht und habe einen Fragenkatalog ans Kanzleramt geschickt. Aber eine Straftat? Könne er noch nicht erkennen. Die Opposition ist entsetzt. "Es ist völlig unverständlich, warum eine solche Rechtsprüfung nicht vorangetrieben wird", schimpft die Grüne Katja Keul.

10.00 Uhr, Auswärtiger Ausschuss, vertrauliche Sitzung

Die Affäre betrifft auch das Außenamt. Französische Beamte und möglicherweise auch österreichische Stellen sollen von BND und NSA abgehört worden sein. Frank-Walter Steinmeiers Staatssekretär muss im Ausschuss berichten. Natürlich, sagt Markus Ederer, handele es sich bei den Ländern um Freunde, ja sogar sehr enge Partner. Aber über die außenpolitischen Folgen will er nicht spekulieren. Und die Suchliste der NSA? Dazu sei Kanzleramtschef Peter Altmaier mit seinen Kollegen im Weißen Haus in Kontakt. Die Botschaft: abwarten.

11.30 Uhr, Pressekonferenz de Maizière

Der Innenminister erscheint in der Bundespressekonferenz. Sein Tag steht im Zeichen der BND-Affäre, aber am Vormittag muss er kurz noch die Polizeiliche Kriminalstatistik vorstellen. Einbrüche rauf, Jugendkriminalität runter, politisch motivierte Taten rauf, Gewaltkriminalität runter. Es ist ein uneinheitliches Bild. Aber de Maizière ist zufrieden. "In Deutschland können die Bürger alles in allem sicher leben", sagt er. Eine gute Nachricht, endlich mal. Jetzt geht's rüber ins Kontrollgremium.

12.30 Uhr, Paul-Löbe-Haus

Die SPD bereitet die Sitzung des NSA-Untersuchungsausschusses am Donnerstag vor. Christian Flisek eilt in den Sitzungsraum, er ist aufgebracht. Immer wieder habe man BND-Zeugen im Ausschuss auf fragwürdige Suchbegriffe der US-Dienste angesprochen. Und immer wieder hätte man gesetzliche Grenzüberschreitungen verneint. "Wie kann es sein, dass kein Zeuge uns davon erzählt hat?", fragt Flisek. Wie Gabriel will sich auch Flisek als entschlossener Aufklärer inszenieren. Ob das gut geht?

13 Uhr, Bundestag, Regierungsbefragung

Sigmar Gabriel ist jetzt im Bundestag. Der Wirtschaftsminister stellt sich einer Regierungsbefragung. Gabriel gibt sich entspannt. Die BND-Affäre müsse in den zuständigen Gremien aufgeklärt werden, nicht im Kabinett, antwortet er auf die kritische Frage der Grünen Britta Haßelmann, was denn die Regierung derzeit eigentlich tue. Als er vor den Türen des Reichstags auf seinen Wagen wartet, kommt FDP-Mann Rainer Brüderle vorbei, sein Vor-Vorgänger. "Ach, Tach, Herr Brüderle", ruft Gabriel. Betont locker soll das alles wirken.

13 Uhr, Jakob-Kaiser-Haus

Thomas de Maizière verschwindet hinter den Türen des geheim tagenden Kontrollgremiums. Er will jetzt raus aus der Defensive. Vor dem Saal versucht es der Grüne Hans-Christian Ströbele mit Offensive. Auch er: aufgebracht. Warum, so fragt er, seien die sensiblen Listen mit Suchbefehlen vom Kanzleramt noch immer nicht offengelegt worden? Ströbele wird sich wohl gedulden müssen. Am anderen Ufer der Spree sagt Merkels Sprecher, die Kanzlerin wolle auf jeden Fall eine entsprechende Stellungnahme der USA abwarten - und erst dann über die Herausgabe der Listen entscheiden. "Ich kann Ihnen hier keinen Zeitplan nennen", bremst Seibert.

13.30 Uhr, Jakob-Kaiser-Haus

Anders als die SPD versucht die Union die Affäre zu beruhigen. Kein Wunder: Mit de Maizière und Altmaier stehen wichtige Christdemokraten unter Druck. Die CDU-Abgeordnete Nina Warken knöpft sich die SPD vor. Das Verhalten des Koalitionspartners sei "Effekthascherei". Auch dem Kanzleramt will sie in Sachen Listen-Lieferung "keine Ratschläge geben". Die Taktik ist klar: bloß nicht provozieren lassen.

15.40 Uhr, Parlamentarisches Kontrollgremium

Thomas de Maizière hat seinen Auftritt im Kontrollgremium beendet - und ist zufrieden. Er habe 2008 als Chef des Kanzleramts richtig gehandelt und sogar eine Ausweitung der Geheimdienst-Kooperation abgelehnt. Doch wann er das erste Mal von den Selektorenlisten gehört hat, kann er nicht beantworten. Hier reiche seine Erinnerung nicht aus. Für eine mögliche Befragung im NSA-Ausschuss werde er sich mit Hilfe von Akten aus seiner Amtszeit vorbereiten, kündigt er an. Es dürfte nicht sein letzter Auftritt gewesen sein.

16.20 Uhr, Bundestagsplenum

Noch einmal Ströbele, der Grüne redet sich in Rage. "Diese Sache muss Konsequenzen haben", ruft er. Der Bundestag diskutiert in einer Aktuellen Stunde den BND-Skandal. Es hören nicht sehr viele Abgeordnete zu, auch auf der Regierungsbank sitzen fast nur Stellvertreter. Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) hält immerhin bis zum Ende durch. Es ist auch ein Signal: Ich höre zu, ich kümmere mich.

16.50 Uhr, Reichstag, Plenarsaalebene

Ein Kamerateam der ZDF "Heute Show" stromert durch die Gänge des Bundestags. Ausgerechnet an diesem Tag hat die Satiresendung eine Drehgenehmigung bekommen. Auf Twitter warnen sich Abgeordnete gegenseitig.

17.00 Uhr, Paul-Löbe-Haus

Die Obleute des NSA-Ausschusses verschwinden zu ihrer Sitzung hinter verschlossenen Türen. Es wird deutlich, wie nervös die Bundesregierung mittlerweile ist. Kanzleramtschef Altmeier nimmt sich viel Zeit, bittet die Obleute um noch ein bisschen Geduld bei der Frage, ob und wann man die Selektoren, also die Suchbegriffe der NSA, endlich vorlegen könne.

Die Regierung, sagt der Merkel-Vertraute, mache auf allen Ebenen Druck auf die Amerikaner, die Liste freizugeben. Eine Entscheidung sei binnen Tagen zu erwarten. Er betont, dass Berlin auch bei einem Nein eine eigene Entscheidung treffen werde. Bis dahin müsse man sich gedulden, sagt Altmeier. Es klingt wie der sehnliche Wunsch nach ein paar Tagen Ruhe.

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