Spionageaffäre BND-Skandal spaltet schwarz-rote Koalition

BND-Präsident Schindler: Hat die Behörde ein "ungestörtes Eigenleben" entwickelt?
Foto: Stephan Jansen/ dpaDer Spionageskandal um die Arbeit der Nachrichtendienste BND und NSA löst in der schwarz-roten Koalition eine heftige Kontroverse aus. "Ich bin entsetzt über das Ausmaß der Desorganisation", sagte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann SPIEGEL ONLINE. "Im BND scheint es Bereiche zu geben, in denen sich ein von Vorschriften und Rechtslage ungestörtes Eigenleben entwickelt hat."
SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi sagte in der "Berliner Zeitung", dem Kanzleramt scheine die Aufsicht über den BND völlig entglitten zu sein: "Ich schließe personelle Konsequenzen ausdrücklich nicht aus." Erst einmal brauche es aber eine gründliche Aufklärung.
Der SPIEGEL hatte am Donnerstag enthüllt, dass der BND für die NSA gezielt die Kommunikation europäischer Unternehmen und Politiker ausgehorcht hat. Betroffen sollen etwa der Rüstungskonzern EADS sein, der Hubschrauberhersteller Eurocopter oder französische Behörden. Das Kanzleramt wurde erst kürzlich darüber informiert.
"Höchstens ein Versehen"
In der Union wirbt man hingegen demonstrativ um Zurückhaltung. Der Vorsitzende des NSA-Ausschusses im Bundestag, Patrick Sensburg (CDU), nahm die Führung des Bundesnachrichtendienstes in Schutz. "Ich warne davor, dass man vorschnell den Stab über BND-Chef Gerhard Schindler bricht. Es ist zu diesem Zeitpunkt völlig unklar, ob die Vorgänge in der Behörde früh nach ganz oben gemeldet wurden oder nur auf Arbeitsebene kursierten. Die Verantwortung muss nicht zwingend bei der Amtsleitung liegen", sagte er SPIEGEL ONLINE. "Da, wo Vorgänge aber tatsächlich nicht akzeptabel sind, muss die Praxis umgehend geändert werden", fügte er hinzu.
Sensburg betonte, dass zu diesem Zeitpunkt noch kein Gesamtbild der Lage vorliege. "Grundsätzlich glaube ich nicht, dass der BND Steigbügelhalter für die amerikanischen Geheimdienste war. Sondern dass man - sollten sich Details der gemeinsamen Spionagetätigkeit konkretisieren - höchstens von Versehen auf organisatorischer Ebene sprechen kann", sagte der CDU-Politiker weiter.
Im Klartext, so Sensburg, hieße das: "Sollte sich herausstellen, dass inakzeptable sensible Daten aus den USA angefordert wurden, hätte die NSA den BND missbraucht." In der kommenden Woche will der NSA-Ausschuss weiter über den Vorgang beraten, neue Zeugen vernehmen und die Liste der betroffenen Daten einsehen.
Binninger: Schindler muss angehört werden
Ähnlich äußerte sich der Vizechef des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr), Clemens Binninger von der CDU: "Bevor man personelle Konsequenzen fordert, sollte Gerhard Schindler die Gelegenheit bekommen, den Sachverhalt aufzuklären und darüber das PKGr zu informieren." Das Parlament habe bereits begonnen, die Kontrolle über Geheimdienste zu verbessern. "Das müssen wir noch konsequenter fortführen".
Zum Verhalten des Kanzleramts sagte SPD-Fraktionschef Oppermann nichts. Stattdessen dankte er ausdrücklich dem Parlament für die Aufklärungsarbeit. "Dem NSA-Untersuchungsausschuss gebührt Respekt dafür, die neuen Missstände aufgedeckt zu haben." Ein Beweisantrag der Opposition hatte die Missstände aufgedeckt. Nach SPIEGEL-Informationen informierte das Kanzleramt am Mittwochabend die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums sowie die Obleute im NSA-Untersuchungsausschuss über die neuen Erkenntnisse.
BND-Präsident schon länger umstritten
Die Bundesregierung will sich angesichts der neuen Spionage-Affäre nicht zur Zukunft von BND-Präsident Schindler äußern. In der Koalition ist dieser aber seit Amtsantritt umstritten. Der FDP-nahe Spitzenbeamte galt schon in seiner Zeit als Abteilungsleiter im Innenressort als Hardliner in Sachen innere Sicherheit - Prävention stand bei ihm schon immer vor Freiheitsrechten oder gar Datenschutz. Gerade bei der SPD war der ehemalige Fallschirmjäger seit jeher als "harter Hund" verrufen, der den Sicherheitsbehörden und Terrorfahndern näher steht als den politischen Kontrolleuren.
Als Schindler BND-Chef wurde, sollte er den pannenanfälligen Dienst aufräumen. Sein Vorgänger Ernst Uhrlau war letztlich am Eigenleben des verwachsenen Ladens gescheitert, der immer neue Affären produzierte.
Dabei steckt der Dienst stets in einer Klemme, die alle Geheimdienste kennen: Erfolge, wie beispielsweise verhinderte Terrorplanungen können sie nicht mitteilen - öffentlich werden nur Verfehlungen.
Zusammengefasst: Die neue Spähaffäre beim Bundesnachrichtendienst sorgt für massive Irritationen in Berlin. Die Große Koalition ist über die Bewertung gespalten. Die Zukunft von BND-Chef Schindler ist offen, auch das Kanzleramt steht in der Kritik. In der kommenden Woche will der NSA-Ausschuss die Aufklärung vorantreiben.