Spionageaffäre um BND-Mitarbeiter US-Botschafter ins Auswärtige Amt gebeten

Botschafter Emerson: Gespräch im Auswärtigen Amt
Foto: Maja Hitij/ dpaBerlin - Der US-Botschafter in Deutschland, John B. Emerson, ist nach der Festnahme des mutmaßlichen Spions im Bundesnachrichtendienst (BND) zu einem Gespräch ins Auswärtige Amt gebeten worden. Staatssekretär Stephan Steinlein habe den Diplomaten bei dem Termin aufgefordert, "an einer zügigen Aufklärung mitzuwirken", teilte das Auswärtige Amt anschließend mit.
Ein 31-jähriger Deutscher war am Mittwoch unter dem dringenden Verdacht der geheimdienstlichen Agententätigkeit festgenommen worden. Über Jahre soll der BND-Mitarbeiter zwischen 200 und 300 vertrauliche Dokumente aus dem internen BND-System abgezapft und auf einem USB-Stick gespeichert haben.
Papiere zu unterschiedlichen Themengebieten sicherte er, auch vor Dokumenten aus dem NSA-Untersuchungsausschuss machte er nicht halt. Zwischen 2012 und 2014 soll der Mann die Informationen verkauft haben - an einen Mitarbeiter eines US-Geheimdiensts. Dafür soll er mehrere Zehntausend Euro erhalten haben.
Die Bundesregierung ist wegen des Falls des mutmaßlichen Doppelagenten spätestens seit Donnerstagabend alarmiert. Intern ist von einer neuen Dimension der Spionage durch die USA die Rede, wenn sich die Vorwürfe bestätigen, Auswirkungen auf das deutsch-amerikanische Verhältnis wären dann unvermeidlich.
Laut den diplomatischen Gepflogenheiten ist die Bitte um ein Gespräch eine etwas weniger scharfe Geste als einen Botschafter einzubestellen. Gleichwohl soll der Schritt ausgerechnet am 4. Juli, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, deutliche Signale auch nach Washington senden, dass Berlin den Vorgang sehr ernst nimmt. Bisher haben die USA noch nicht offiziell zu den schweren Vorwürfen Stellung genommen. Eine Sprecherin des Weißen Hauses antwortete auf eine Anfrage von SPIEGEL ONLINE lediglich mit den Worten "no comment".
Empörung in Berlin
Bundesregierung und Opposition sind durch die Affäre alarmiert. "Wenn sich der Spionageverdacht erhärtet, ist das ein unerhörter Anschlag auf unsere parlamentarische Freiheit", sagt SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. "Es gibt keine Rechtfertigung dafür, dass irgendeine Macht oder ein Land Geheimdienstmitarbeiter anwirbt, um Parlamente auszuspionieren."
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte SPIEGEL ONLINE: "Alle Kooperationen der deutschen Sicherheitsbehörden mit befreundeten Diensten müssen überprüft werden. Sollte sich der Verdacht geheimdienstlicher Spionagetätigkeit gegen den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss bestätigen, ist das ein Riesendebakel für den BND und die Bundesregierung."
Tatsächlich wäre der Spionagefall ein derber Schlag ins Gesicht für die deutsche Seite. Seit dem Beginn der NSA-Affäre, die durch den Whistleblower Edward Snowden ausgelöst worden war, sind deutsche Geheimdienstler Dutzende Male in den USA vorstellig geworden. Auch wenn sich Washington niemals offiziell für die Schnüffeleien und das Abhören des Mobiltelefons von Angela Merkel entschuldigt hatten, redete man sich innerhalb der Regierung ein, dass eine Art heilsamer Schock auch auf der Arbeitsebene durch die US-Dienste gegangen sein. Bestätigt sich, dass die US-Dienste gleichzeitig einen Spitzel aus dem Innersten des BND führten, wäre dies eine naive Illusion gewesen.