Unmut in Thüringen Ramelows Corona-Zickzack

Die Kanzlerin musste ihn zum Einlenken bewegen, er relativierte die Zahl der Corona-Toten, sein Shutdown-Sonderweg führt ins Nichts – Thüringens Ministerpräsident Ramelow irritiert zunehmend seine Koalitionspartner.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow: "Ich bin keine nachgeordnete Behörde des Kanzleramts"

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow: "Ich bin keine nachgeordnete Behörde des Kanzleramts"

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KH / imago images/Karina Hessland

Die Protokollerklärung liest sich stellenweise etwas sperrig: "Die MPK muss sich im Hinblick auf die Stärkung der Legislative bei der Pandemiebewältigung ihrer Funktion und den Grenzen ihrer Kompetenzen bewusst sein", heißt es in dem Text, mit dem Thüringen nach der jüngsten Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) mit der Kanzlerin auf seine eigene Interpretation der Beschlüsse pocht. "Der Freistaat Thüringen erklärt, dass mit der Verabschiedung des MPK-Beschlusses kein Präjudiz für das parlamentarische Verfahren im Freistaat Thüringen verbunden ist."

Gemeint ist: Linken-Ministerpräsident Bodo Ramelow will die Zustimmung des Landesparlamentes für die neuen Corona-Beschränkungen.

Neu ist es nicht, dass Bundesländer nach ihren Beratungen Protokollnotizen hinterlassen, um abweichende Meinungen zu betonen. Auch drängen alle Parteien außer der Union derzeit auf eine stärkere Parlamentsbeteiligung in der Krisenpolitik. Am Mittwoch jedoch war Ramelow der Einzige, der aus der neuen, föderalen Shutdown-Einigkeit ausscherte.

Nur: Der demonstrativ beschrittene Sonderweg führt ins Nichts. Denn Thüringen wird nun doch nicht vor Inkrafttreten der Maßnahmen am Montag im Landtag darüber abstimmen lassen. Ein entsprechender Antrag und eine bereits für Sonntag terminierte Sondersitzung des Landtags wurden wieder abgesagt.

Instinktpolitiker verliert sein Gespür

Es ist Ramelows neueste Wendung. Seit einigen Wochen kommt kaum noch einer mit, wenn der Regierungschef seine Pläne für Thüringen schmiedet. Der Unmut in der rot-rot-grünen Koalition wächst. Ramelow, der einstige Instinktpolitiker, so sehen es nicht wenige, verliere zunehmend sein politisches Gespür.

Schon vor der Runde der Ministerpräsidenten mit Angela Merkel am vergangenen Mittwoch hatte Ramelow für mächtig Ärger gesorgt. "Ich bin keine nachgeordnete Behörde des Kanzleramts", polterte er im Vorfeld. Einen Lockdown-Beschluss werde er nicht mittragen, so die Botschaft. Er bemängelte zudem, dass die Beschlussvorlage aus dem Kanzleramt für das Treffen wieder einmal so spät an die Ministerpräsidenten versendet wurde.

Daraufhin, so wird es aus der Staatskanzlei berichtet, habe die Kanzlerin in Erfurt angerufen – woraufhin Ramelow von der Linie wieder abließ. Der Anruf habe keinen Ausschlag gegeben, beteuert er danach. Vielmehr seien die steigenden Infektionszahlen in Thüringen ausschlaggebend gewesen. Immer mehr Kreise hatten in kurzer Zeit den Inzidenzwert von 50 überschritten. Zudem gab es mehrere Corona-Infizierte in Ramelows direkter Umgebung, drei davon in der Staatskanzlei. Der Ministerpräsident selbst ließ sich auf Corona testen, am Donnerstagabend erfuhr er von dem negativen Ergebnis.

"Verantwortliches Reden und Handeln sieht anders aus"

CDU-Generalsekretär Christian Herrgott über Bodo Ramelow

Was blieb: der Plan für die Sondersitzung des Parlaments am Sonntag. Einen Antrag dafür hatte die Landesregierung schon vorbereitet, das Parlament sollte die Beschlüsse "zur Kenntnis nehmen". Doch die Fraktionen konnten sich nicht einigen. Für Samstag fand man keinen Ort, Sonntag hätten die Abgeordneten im Steigerwald-Stadion tagen können, doch an Allerheiligen wollte die CDU nicht. Also will man nun am Dienstag in einem Saal der Fußballarena zusammenkommen, wie es die CDU schon einmal gefordert hatte. Was jedoch bedeutet, dass die Corona-Maßnahmen erst nach ihrem Start ins Parlament kommen. Genau das wollte Ramelow ursprünglich nicht.

Während der Linkenpolitiker in einem Interview noch einmal ausdrücklich vor Corona warnte, relativierte er in einem Bürgergespräch das Virus wieder. Die "Anzahl von wirklich Covid-19-Verstorbenen ist in Thüringen sehr gering", sagte er dort. Dass die 203 Toten in Thüringen, die infiziert waren, wirklich an Corona gestorben seien, könne nicht klar ausgemacht werden. Zudem erwähnte er die Gefährlichkeit anderer Krankheiten, etwa einer Blutvergiftung. "Wenn man nur noch Corona-fixiert ist, das ist mir zu wenig."

Koalitionspartner genervt

In der Koalition sind die Partner SPD und Grüne zunehmend genervt von Ramelows Vorgehen. "Führung in Krisenzeiten erfordert eine klare Linie und nachvollziehbare Entscheidungen. In letzter Zeit wurden auch wir als Kabinettsmitglieder häufiger von unerwarteten und nicht abgestimmten Ankündigungen Bodo Ramelows überrascht", sagte Georg Maier, Innenminister und SPD-Landeschef, dem SPIEGEL. "Dass der Ministerpräsident bei der MPK als Einziger eine Protokollnotiz abgab, stiftete große Verwirrung. Wir brauchen keinen Thüringer Sonderweg, sondern eine Vertrauen stiftende Krisenpolitik im föderalen Kontext."

Grünen-Landeschefin Ann-Sophie Bohm-Eisenbrandt ist ebenfalls nicht zufrieden mit Ramelows Performance der vergangenen Woche. "Wir hätten es begrüßt, wenn das Parlament vor dem Eintreten der Maßnahmen abgestimmt und diskutiert hätte. Der Ministerpräsident hätte das mit mehr Stringenz verfolgen müssen. Er muss klar zu dem stehen, was er eigentlich will, was derzeit nicht immer klar ist", so Bohm-Eisenbrandt zum SPIEGEL.

Scharf ist die Kritik aus der CDU, die in Thüringen zwar nicht an der Regierung beteiligt ist, aber mit der rot-rot-grünen Minderheitsregierung einen Stabilitätspakt geschlossen hat und so die Mehrheit im Parlament sichert. "Der Zickzackkurs von Bodo Ramelow verunsichert die Menschen in Thüringen", sagte CDU-Generalsekretär Christian Herrgott. "Erst Montag sich einem gemeinsamen deutschen Vorgehen verweigern, Dienstag dann aufgrund schlimmer Zahlen in Thüringen doch zustimmen und Mittwoch dann mit Verweis auf niedrige Todeszahlen und andere schwere Krankheiten wieder ein Stück relativieren. Verantwortliches Reden und Handeln sieht anders aus", so Herrgott.

Am Dienstag will sich Ramelow im Landtag erklären.

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