

CDU-Kandidat Mohring, Ministerpräsident Ramelow: Das unwahrscheinliche Bündnis könnte sich ein paar sehr konkrete Ziele setzen
Foto: Martin Schutt/ DPAEs klingt reichlich putzig, wenn Vertreter der Unionsparteien an diesem Wahlabend betonen, es seien die politischen Ränder gestärkt worden. Die demokratische Mitte hingegen, so sagen sie, sei geschwächt worden.
Das ist eine Fehlannahme.
Gestärkt wurden allein Rechtsaußen und Rechtsdraußen. Die AfD mit ihrem völkisch-nationalistischen Spitzenkandidaten Björn Höcke holte rund ein Viertel der Stimmen. Bitter. Das ist mehr als doppelt so viel wie bei der vergangenen Wahl. Drei Viertel der Thüringer Wähler aber votierten für staatstragende Parteien.
Natürlich ist auch Thüringens Linke eine staatstragende Partei. In den vergangenen fünf Jahren stellte sie den Ministerpräsidenten. Die freiheitlich demokratische Grundordnung ist in dieser Zeit keiner kommunistischen Einparteiendiktatur gewichen. Bodo Ramelow regiert so, wie in anderen Bundesländern Sozialdemokraten regieren. In Bayern wäre der Mann womöglich in der CSU.
Das wahrscheinliche Szenario der kommenden Wochen und Monate sieht so aus: Der neue Landtag tritt zusammen, wählt aber mangels Mehrheit keinen neuen Ministerpräsidenten. Stattdessen bleiben Ramelow und seine Minister geschäftsführend im Amt. Und zwar bis auf Weiteres, denn die Thüringer Verfassung schreibt keine Frist vor, innerhalb derer ein neuer Regierungschef gewählt werden muss.
Ramelow müsste dann im Parlament bei CDU und FDP regelmäßig um Mehrheiten werben. Die beiden würden ihm die von Fall zu Fall wohl auch geben. Nicht anders ist jedenfalls FDP-Chef Christian Lindner zu verstehen, wenn er eine "sachbezogene Zusammenarbeit" in Aussicht stellt. Charmant aus Sicht von Konservativen und Liberalen: Es bliebe ihnen erspart, Ramelow zum Ministerpräsidenten zu wählen, er bliebe ja einfach geschäftsführend im Amt.
Allerdings wären das dann nicht die von CDU und FDP so gern beschworenen stabilen Verhältnisse.
Wenn aber künftig rund ein Viertel der Abgeordneten im Thüringer Landtag von einem Mann angeführt wird, dessen AfD-Rechtsaußen-Netzwerk "Flügel" vom Verfassungsschutz als "Verdachtsfall" geführt wird und der in einer Rede metaphorisch davon sprach, er wolle Wolf statt Schaf sein, dann dürfen sich die bürgerlichen Parteien nicht so einfach wegducken.
Denn es ginge auch anders. CDU und/oder FDP sollten ihrer staatspolitischen Verantwortung gerecht werden - und sich einem Bündnis mit dem Linken-Ministerpräsidenten Ramelow nicht verschließen. Sie sollten erkennen: Der Gegner steht rechts.
So ein Bündnis könnte eine formalisierte Tolerierung sein, wie in den Neunzigerjahren im benachbarten Sachsen-Anhalt, als die damalige PDS die Regierung eines SPD-Ministerpräsidenten stützte. Oder doch eine echte Zusammenarbeit: eine demokratische Volksfrontkoalition von Linken und CDU.
All das wäre ungewohnt. Es würde zu Konflikten in beiden Parteien führen. Es wäre ein Bündnis des Misstrauens, in dem auch jene, die 1989 gegen das DDR-Regime auf die Straße gingen und die Opposition organisierten - wie der CDU-Spitzenkandidat Mohring - auch mit denen zusammenarbeiten müssen, die damals einem Unrechtsstaat die Treue hielten.
Ein schwieriges Unterfangen.
Hinzu kommt: Es reichte nicht aus, wenn sich ein solches Bündnis - egal ob Tolerierungsmodell oder Koalition - allein als Anti-AfD-Kooperativ verstünde. Ein Bündnis aus der Not geboren, ja, aber bitte kein Bündnis der Not.
Video: Reaktionen zur Wahl in Thüringen
Stattdessen pragmatische Zusammenarbeit zum Zweck der Problemlösung. Das unwahrscheinliche Bündnis könnte sich ein paar sehr konkrete Ziele setzen. Warum nicht mit CDU-Ideen das Bildungssystem verbessern? Warum nicht mit Linken-Ideen den Sozialstaat stärken? Warum nicht auf diese Weise den Menschen neue Aufstiegsmöglichkeiten eröffnen?
Ist der Zettel abgearbeitet, kann die Zusammenarbeit beendet und der Wähler befragt werden. Ein Bündnis mit Verfallsdatum also, danach ginge wieder jeder seiner Wege. Es muss ja nicht fünf Jahre halten.
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Die Hände zum Himmel: Als die ersten Prognosen zur Landtagswahl in Thüringen veröffentlicht wurden, war der Jubel bei der Linken riesig. Die Partei holte nicht nur ihr bestes Ergebnis in Thüringen, sondern überhaupt in einem Bundesland. Entsprechend war die Stimmung auf der Wahlparty in Erfurt.
Er war entscheidend für das Rekordergebnis: Ministerpräsident Bodo Ramelow - er führte die Partei zu einem Stimmenanteil von 31 Prozent.
Auch die Linkenvorsitzende Katja Kipping (l.) feierte zusammen mit Susanne Hennig-Wellow, Fraktionschefin der Linken im thüringischen Landtag, den Sieg in Erfurt. Doch die Freude könnte von kurzer Dauer sein: Für die bisherige rot-rot-grüne Regierung gibt es keine Mehrheit mehr.
Ramelow bei der Wahlparty der Linken: Mit 31 Prozent hat er seiner Partei ein Rekordergebnis beschert.
Hat da jemand "Volkspartei" gesagt? Von diesem Status sind die Grünen in Thüringen weit entfernt. Die Spitzenkandidaten Anja Siegesmund (l.) und Dirk Adams konnten mit ihrer Partei gerade einmal 5,2 Prozent erreichen. Auch die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckhardt, sah bei Wahlpartys schon mal glücklicher aus.
Besonders mau war die Stimmung bei der CDU: Die Partei, die bis 2014 den Regierungschef in Thüringen stellte, verlor 11,7 Prozentpunkte und erzielte ihr mit Abstand schlechtestes Ergebnis in dem Bundesland.
CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring hatte vor der Wahl eine Zusammenarbeit mit der Linken und der AfD ausgeschlossen - bei diesem Standpunkt blieb die CDU auch nach Bekanntwerden der Ergebnisse am Sonntag. "Zunächst heißt es, klug zu überlegen, was ist für unser Land wichtig, und wie können wir unsere Demokratie stabilisieren", sagte Mohring nach der Wahl.
Ein Wort machte bei der SPD besonders die Runde: bitter. Und das trifft das historisch schlechte Ergebnis in Thüringen gut.
SPD-Spitzenkandidat Wolfgang Tiefensee sieht seine Partei jedoch trotz des schlechten Ergebnisses in Regierungsverantwortung. "Die SPD wird gebraucht", sagte er. Und: "Wir stecken nicht den Kopf in den Sand, sondern schauen nach vorn."
Freudige Gesichter gab es bei der AfD: Mit Björn Höcke als Spitzenkandidat holte die Partei in Thüringen 23,4 Prozent. Entsprechend zufrieden zeigte sich auch der Fraktionsvorsitzende der AfD im Bundestag, Alexander Gauland (l.).
Die AfD sei auf dem Weg zur gesamtdeutschen Volkspartei, sagte Höcke nach der Wahl. Die Regierung Ramelows sei abgewählt.
AfD-Anhänger in Erfurt: Der Jubel war groß, als erste Prognosen zeigten, dass die Partei im Vergleich zu 2014 ihren Stimmenanteil mehr als verdoppelt hat.
Für die FDP um Spitzenkandidat Thomas Kemmerich gab es selten einen spannenderen Wahlabend: Bis nach Mitternacht war unklar, ob es für den Einzug in den Landtag reicht - die Liberalen schafften ihn.
Wie geht es weiter? Eine klare Regierungsoption zeichnet sich nicht ab - vorerst bleibt Ministerpräsident Ramelow geschäftsführend im Amt.
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