Bettina Gaus

Boris Palmer Der grüne Rassist

Bettina Gaus
Eine Kolumne von Bettina Gaus
Die schlimmste Entgleisung von Boris Palmer war nicht sein jüngster Facebook-Post über den Fußballer Dennis Aogo, sondern der über einen schwarzen Rüpel-Radler. Dass ihm dieser verziehen wurde, sagt viel über unsere Gesellschaft.
Kundgebung auf dem Tübinger Marktplatz gegen Oberbürgermeister Boris Palmer

Kundgebung auf dem Tübinger Marktplatz gegen Oberbürgermeister Boris Palmer

Foto: ULMER / imago images

Sauber bleiben! Vor allem: sauber bleiben! Bei einigen Reaktionen auf den jüngsten Skandal um Boris Palmer konnte man den Eindruck gewinnen, der Tübinger Oberbürgermeister habe sich vor allem eines Verstoßes gegen die Etikette schuldig gemacht. Das sagt viel über eine eigentümliche Sehnsucht nach korrekten, bürgerlichen Umgangsformen in Kreisen aus, die ihre Wurzeln im Kampf gegen das Establishment hatten. Und geht an der Sache vorbei – oder doch nicht? Es scheint jedenfalls erheblich einfacher zu sein, jemandem schlechtes Benehmen vorzuwerfen als die eigene Haltung zu Rassismus zu definieren.

Cem Özdemir, seit Jahrzehnten einer der prominentesten Politiker der Grünen, meinte, auch ein Oberbürgermeister habe die »verdammte Pflicht« auf seine Wortwahl zu achten. Der Parteivorsitzende Robert Habeck fand, Palmer habe »Sätze gepostet, die eines Oberbürgermeisters unwürdig sind.« Die »Süddeutsche Zeitung« befand, »gewählte Amtsträger« repräsentierten den Staat. Von ihnen dürfe man »elegante Umgangsformen« erwarten. Das hört sich an, als habe Boris Palmer unverzeihlicherweise zum Smoking eine bunt gemusterte Fliege getragen. Was er – so weit ich weiß – niemals getan hat.

Selbstverständlich blieb die Kritik nicht bei Stilfragen stehen. Palmer wurde Rassismus vorgeworfen, ein Parteiausschlussverfahren ist eingeleitet. Das dürfte in diesem besonderen Fall kompliziert werden. Ich finde es glaubwürdig, dass der Bürgermeister mit seinem umstrittenen Post auf Facebook in einem Dreifachsalto sowohl Rassismus wie auch den Vorwurf des Rassismus und noch manch anderes geißeln wollte. Klingt unübersichtlich? Ist unübersichtlich.

Also: Boris Palmer hat einen Facebook-Post zitiert, der vermutlich ein Fake ist. Darin wurde behauptet, Dennis Aogo, ein ehemaliger deutscher Fußball-Nationalspieler mit nigerianischem Vater, habe auf vulgäre und rassistische Weise über seinen eigenen Penis gesprochen und versucht, so Frauen zu verführen, vulgo: anzumachen. Palmer hat das Zitat weder überprüft noch auch nur als solches kenntlich gemacht. Aber er hielt es für eine ironische Pointe, einen Menschen mit dunkler Hautfarbe zum Rassisten zu erklären.

Schlägt allen ins Gesicht. Denen, die Rassismus hinter jedem Baumstamm vermuten, allen Rassisten, all denen, die er zur Sprachpolizei erklärt. Dachte Palmer offenbar. Ironie ist nicht seine Stärke. Und nun? Nun sind alle Schützengräben besetzt, alle können munter feuern. Unabhängig vom komplizierten Sachverhalt. Pech für die Grünen im Wahlkampf.

Die »Bild«-Zeitung kämpft, wen wundert's, an vorderster Front. Es gehe darum, so heißt es in einem Kommentar, dass die Parteilinke die Grünen auf Linie bringen und deshalb Palmer rausschmeißen wollte – »nicht, weil er Rassist ist. Denn das ist er nicht.« Keine weitere Begründung, kein Argument. Die Behauptung genügt.

Sie ist falsch. Boris Palmer ist ein Rassist. Nicht wegen seiner verschwurbelten Sätze zu Aogo, sondern wegen eines Posts und folgender Erklärungsversuche aus dem Jahr 2018, die allen Anforderungen der Etikette genügten. Und dennoch einfach nur rassistisch waren.

Boris Palmer hatte sich damals in einer Fußgängerzone von einem rücksichtslosen Fahrradfahrer mit schwarzer Hautfarbe belästigt gefühlt. Er war »zu 95 Prozent« sicher, dass der Mann ein Asylbewerber gewesen sei. »Weil der Typ mit nacktem Oberkörper, Kopfhörer und einer unglaublichen Dreistigkeit um die Leute rum gekurvt ist. Das gehört sich für niemanden und für einen Asylbewerber schon dreimal nicht.« Er wusste nicht, ob der junge Mann tatsächlich Asylbewerber war. Aber »ich wette, dass es ein Asylbewerber war. So benimmt sich niemand, der hier aufgewachsen ist mit schwarzer Hautfarbe. Das wäre völlig missglückte Integration.«

Jetzt wird's interessant. Integration? Warum genau sollte sich jemand, der oder die hierzulande mit einer anderen Hautfarbe geboren wurde als die Mehrheit »integrieren«? Wann musste er oder sie seiner Meinung nach damit anfangen, schon in der Kita oder durfte sich das Kind bis zur Grundschule damit Zeit lassen? Und warum war der Bürgermeister sicher, dass »niemand, der hier aufgewachsen ist mit schwarzer Hautfarbe« sich »so benimmt«? Weil vernünftige Leute mit dunkler Hautfarbe rechtzeitig das notwendige Maß an Demut lernen? Als ob es nicht jede Menge hellhäutiger Teenies gäbe, die sich auf dem Fahrrad so rücksichtslos benehmen, dass man sich nach der Polizei sehnte. Oder wenigstens nach einem Nummernschild auf dem blöden Gefährt.

Und wenn der Fahrrad-Rowdy tatsächlich ein Asylbewerber war? Dann gehörte es sich »schon dreimal nicht«, sich so zu verhalten wie ebenso dreiste deutsche Jugendliche, fand Boris Palmer. Weil er dankbarer und demütiger zu sein hat als junge Leute, die weder Krieg noch Flucht erleben mussten, sondern das Glück hatten, in einem sicheren Umfeld geboren worden zu sein?

Man stelle sich vor, Palmer hätte das Wort »jüdisch« benutzt. Also: »So benimmt sich niemand, der hier als Jude aufgewachsen ist. Das wäre völlig missglückte Integration.« Oder auch: »Das gehört sich für niemanden, und für einen Juden schon dreimal nicht.« Hätte irgendjemand – irgendjemand – den Schatten eines Zweifels, dass solche Sätze den reinen Antisemitismus widerspiegelten? Ich hoffe nicht.

Aber es sollte doch eigentlich nicht komplizierter sein, derlei Sätze als blanken Rassismus zu kennzeichnen. Ich glaube Boris Palmer, dass er sich selbst nicht für einen Rassisten hält. Wer tut das schon? Aber warum führt erst ein vulgärer Post zu allgemeiner Empörung – und warum gerät ein Post schleichend in Vergessenheit, der sprachlich keine Benimmregeln verletzte, aber inhaltlich viel dramatischer war?

Ich werde den Verdacht nicht los: Rassismus ist ein – auch – kokettes Thema. Solange Leute wissen, wann sie das Fischbesteck benutzen müssen, und solange die akademisch gebildete Mittelschicht unter sich bleibt: So lange können wir alle Rassismus ganz abgehoben diskutieren und immer wieder betonen, wie zauberhaft wir unser indisches Au-Pair-Mädchen finden.

Boris Palmer hat sich für Entgleisungen in öffentlichen Netzwerken schon mehrfach – mehr oder minder – entschuldigt. Auch jetzt wieder. Er will stets missverstanden worden sein. Das ist allmählich ziemlich langweilig. Aber er muss nicht verzweifeln: Für Talkshows wird's schon noch reichen.

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