Nikolaus Blome

Boykott der Fußball-WM Ablasshandel auf Kreisliganiveau

Nikolaus Blome
Eine Kolumne von Nikolaus Blome
Moralsucht wird zunehmend zur Seuche, ob bei China, Klima oder Panzern für die Ukraine. Könnten wir, bitte, die WM in Katar davon ausnehmen?
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Kirill Kudryavtsev / AFP

Es sind zwar noch 14 Tage hin, aber eines kann ich jetzt schon sagen: Ich werde Fußball-WM gucken. Natürlich ist Katar ein shithole mit Scharia, und den immensen Wohlstand gibt es nur für jene zehn Prozent der Bevölkerung, die einen katarischen Pass ihr Eigen nennen. Trotzdem ärgert mich das notorisch Nacheilende an der Moralisierung, die sich dieser Tage nun die Fußballweltmeisterschaft in Katar vornimmt.

In der wachsenden Aufmerksamkeit vor dem ersten Anstoß ist die Kritik in der Sache weiterhin berechtigt, wiewohl der Zeitpunkt eine Frechheit an aufgeblasenem Gratismut. Vor allem linksdeutsche Politmoralisten werfen sich sicherheitshalber mal wieder hinter den Zug, und zugleich ist man stolz auf eigene, vorauseilende Übellaunigkeit am Vorabend solcher Massenereignisse. Man erinnere sich an das Cover des SPIEGEL zur WM 2014 in Brasilien, (das ich leider nicht verhindern konnte): »Tod und Spiele« stand da, mit der Optik eines kometengleich verglühenden WM-Balles im Anflug auf Rio de Janeiro. Die Hälfte an publizistischer Moralanzeige hätte es damals auch getan. Am Ende kam Mario Götze in einer einzigen fließenden Bewegung, und die Nationalmannschaft wurde in einem episch rauschenden Fest schließlich Weltmeister.

Wer in Katar also diese deutsche Nationalmannschaft nicht spielen lassen will, oder will, dass die Menschen in Deutschland ihr nicht dabei zuschauen – der hätte verhindern müssen, dass Katar die WM überhaupt bekommt. Das wäre möglich gewesen, denn jeder wusste, wie es in dem Land zugeht, welche Verhältnisse und Cliquen dort herrschen. Aber ein Nein war entweder nicht gewollt, oder die Kraft hat nicht gereicht. Das soll Moral nun kompensieren? Jetzt? Im Ernst? Mit gerunzelter Stirn reisen Innenministerin Faeser und der DFB-Präsident an die Spielorte , geben dort treudeutsche Gravamina zu Protokoll – und wissen ganz genau, dass es rein gar nichts ändert. Solche Reisen sind Ablasshandel auf Kreisliganiveau.

Aber auch weit über die WM hinaus ist zu konstatieren, dass Moral derzeit mehr Menschen süchtig zu machen scheint als sonst. Liegt es daran, dass Wladimir Putin beim Bombardieren der Ukraine zur vorwinterlichen Fratze der Unmoral geworden ist? Und reizt uns das im Gegenzug zu einer erhöhten Dosis Gegenmoral, die freilich weit mehr imprägniert als nur die Debatte über künftige Beziehungen zu Russland oder die Lieferung schwerer Panzer an die ukrainischen Streitkräfte?

Auch weite Strecken der politischen Debatte über China und den Besuch des Kanzlers  dort wurde anhand moralischer Kontaktschuldkategorien geführt. Das gipfelte in der meines Erachtens schwachsinnigen Frage, ob Olaf Scholz wirklich der Erste sein dürfe, der Xi Jinping nach seiner Inthronisierung als neuer Mao-Kaiser in Peking besucht. Damit legte die neue Moralambition das extrem komplizierte Problem der künftigen Chinastrategie sechs Fuß tiefer auf das Niveau einer rein symbolischen Handlungsverweigerung. Dabei weiß jeder: Im Verhältnis mit China ist kluger Pragmatismus das Einzige, was dabei hilft, Anstand und Wohlstand gleichermaßen zu wahren. Sein politisches Mütchen hingegen an 24,9 Prozent eines Container-Terminals zu kühlen, hilft nichts und niemandem. Für »Wehret den Anfängen« ist es viel zu spät. Die Bundesregierung wird große Anstrengungen unternehmen müssen, damit nicht wieder alle Eier in einem Korb liegen (bleiben) wie beim Gasimport aus Russland. Bei seltenen Rohstoffen oder bestimmten Zulieferungen aus China ist das strategisch überlebenswichtig. Das wird schwer genug. Der Rest ist Kleinkram und nicht den Lärm wert, der darum gemacht wurde.

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Ich kann übrigens nicht recht glauben, dass Grüne und FDP sich gegen die Terminal-Investition gestemmt haben, weil diese eine relevante Weichenstellung darstellte. Sondern weil sie das nächstbeste Vorhaben auf der Genehmigungsliste war.

Und noch etwas zum Bundeskanzler und der neuen Welle der Moral: Auf einer Pressekonferenz zur konzertierten Aktion fragte meine ntv-Kollegin den Kanzler nach seiner Haltung zu den Klima-Klebe-Aktivisten. In seiner Antwort ließ sich Olaf Scholz nicht vom herbeimoralisierten Heiligenschein der jungen Leute »im Widerstand« irreführen. Ebenso vermied er jedwede Altherren-Fantasie, welche drakonischen Strafen den Blockierern am besten drohen sollten. Scholz vertrat indes ein bürgerliches Maß an Vernunft, Klarheit und Law and Order. Angela Merkel hätte es vermutlich genauso gesehen, aber erst einmal geschwiegen.

Es ist wie Paracelsus sagt: Die Dosis macht das Gift; das gilt auch für Moral. Der Bundeskanzler beherzigt dies; das muss man einfach sympathisch nennen. Oder konservativ.

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