Geschlechtergerechtigkeit im Brandenburger Landtag Pari-Pari auf der Probe

Eine strukturelle Benachteiligung von Frauen? Gibt es nicht, meinen AfD und NPD - und wollen das Paritätsgesetz in Brandenburg kippen. Vor Gericht zeigt sich: Ganz so einfach wird das nicht.
Aus Potsdam berichtet Milena Hassenkamp
Demonstrantinnen des Frauenpolitischen Rates Land Brandenburg e.V. in Potsdam

Demonstrantinnen des Frauenpolitischen Rates Land Brandenburg e.V. in Potsdam

Foto: Soeren Stache / dpa

An dem Tag, an dem das Brandenburger Landesverfassungsgericht über das erste Paritätsgesetz in Deutschland verhandeln soll, herrschen draußen 32 Grad. Im Saal ist die Klimaanlage wegen der Corona-Bestimmungen ausgeschaltet. Und weil die Anwesenden beim Betreten des Saals Maske tragen müssen, haben sich die Frauen, die vor dem Gericht protestieren, ihre Forderung einfach auf das weiße Stück Stoff in ihrem Gesicht gedruckt. "Pari, Pari" steht darauf. Halbe-halbe.

Es geht in dem Verfahren um die Frage, ob das Wahländerungsgesetz, das die Brandenburger Landesregierung im vergangenen Jahr beschlossen hat, verfassungskonform ist. Dann wären die Parteien zur nächsten Landtagswahl 2024 dazu verpflichtet, ihre Wahllisten zu gleichen Teilen mit Männern und Frauen zu besetzen.

Die Parteien NPD und AfD haben dagegen geklagt. Sie sehen durch das Gesetz die Freiheit der Wahl und die Organisationsfreiheit der Parteien beeinträchtigt. Vier Mitglieder der AfD haben außerdem Verfassungsbeschwerde eingelegt. Erst kürzlich hatte der Thüringer Verfassungsgerichtshof ein ähnliches Gesetz für nichtig erklärt. In der Begründung hieß es, Wählerinnen und Wähler könnten durch ein Paritätsgesetz nicht mehr frei entscheiden, ob sie etwa mehr Frauen oder mehr Männer ins Parlament schicken wollten. Doch drei der neun Richter stimmten in Sondervoten gegen die Entscheidung. Unterstützer des Paritätsgesetzes hoffen unter anderem deshalb auf ein anderes Urteil in Brandenburg. Denn nicht nur die Verfassungen beider Länder - auch die Wahländerungsgesetze sind inhaltlich verschieden.

Während die Frauen vor dem Gericht ihre Plakate zusammenpacken, nehmen im Saal bereits die Kläger und Verteidiger zwischen Trennscheiben Platz. Auf Klägerseite sind es auffällig viele Männer mit Glatze, die während der Verhandlung meistens dann lachen werden, wenn ihnen vom Gericht geraten wird, sich um mehr Frauen in ihren Parteien zu bemühen. Auf der anderen Seite sitzt Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke mit der Prozessbevollmächtigten Jelena von Achenbach. Hinter ihnen haben sich einige der Protestierenden von draußen eingefunden, die meistens dann lachen werden, wenn die Anwälte von AfD und NPD anführen, sie würden keine Frauen finden, weil Frauen auch Kinder hätten.

NPD und AfD sehen keine Benachteiligung von Frauen

Während der Verhandlung argumentieren die Anwälte von AfD und NPD, dass das Paritätsgesetz "die Axt an zentrale Wahlrechtsgrundsätze legt", wie NPD-Anwalt Peter Richter ausführt. Dass es keine strukturelle Benachteiligung von Frauen gebe und es schlicht um "Bestenauslese" gehe. Dabei dehnen die beiden Anwälte ihre Worte aus, sie reden laut, lehnen sich auf ihrem Stuhl zurück. Zwischendurch zitiert der Verfahrensbevollmächtigte der AfD, Karl Albrecht Schachtschneider, die Demokratietheorie von Jean-Jacques Rousseau. Später ruft er: "Die Würde des Menschen ist unantastbar!" Eine Würde, die das Paritätsgesetz verkenne.

Achenbach reagiert auf die Provokationen der Kläger meist kühl, betont immer wieder: Ein Paritätsgesetz sei zwar nicht verfassungsmäßig geboten, wie ihre Kollegin in Thüringen argumentiert hatte. Doch die Verfassung lasse ein solches Gesetz zu, es sei nicht explizit ausgeschlossen worden. So habe der Gesetzgeber die Gestaltungsaufgabe, Wahlgrundsätze auszulegen. Wahlrecht sei änderbar. Das Paritätsgesetz diene der tatsächlichen Gleichberechtigung, wie sie in der brandenburgischen Verfassung in Paragraf 12, Absatz 3 festgehalten ist. Anders als die Thüringer Landesverfassung, die "geeignete Maßnahmen" zur Durchsetzung der Gleichberechtigung verlangt, fordert die Brandenburger Verfassung "wirksame Maßnahmen" vom Land. Paritätische Listen, sagt Achenbach, bauten faktische Privilegien der Männer ab.

Die Parteien, argumentiert sie weiter, seien Mittler zwischen Volk und Politik: Es gehe deshalb bei der Besetzung paritätischer Listen nicht darum, wie viele Frauen eine Partei habe, wie etwa der Anwalt der NPD argumentiert. Sondern darum, dass 50 Prozent der Bevölkerung Frauen seien.

Wie das Brandenburger Gericht am Ende urteilen wird, ist schwer vorauszusagen. Anders als in Thüringen sitzen unter den neun Richtern am Brandenburger Verfassungsgericht vier Frauen. Es gilt vielen zudem als liberaler.

So weist der Vorsitzende Richter Markus Möller einige Teile der Verfassungsbeschwerde der AfD-Mitglieder zu Beginn der Verhandlung aus formalen Gründen zurück. Dann fragt er, ob ein Absatz des Wahländerungsgesetzes nicht darauf hinweise, dass der Eingriff der Gesetzesänderung viel geringer sei, als es die Kläger in ihrer Auslegung vermuteten. Möller will wissen: Ist eine Wahlliste auch dann zulässig, wenn sie nicht paritätisch besetzt ist?

Achenbach erklärt: Wenn eine Liste nicht quotiert sei, dann müsse der Wahlausschuss diese zurückweisen – anders als in Thüringen. Dort hätte die Liste an der Stelle abgeschnitten werden müssen, an der die Parität endet. Die NPD schäumt. Eine Liste mit zehn Männern würde somit zurückgewiesen. Diese zehn Männer würden von der Wahl ausgeschlossen, entgegnet NPD-Anwalt Richter.

Um kurz vor 18 Uhr am Donnerstag – knapp die Hälfte der Anwesenden hat den Saal bereits verlassen – wollen die Richter es dann noch einmal ganz genau wissen.

"Was sagen sie dem Bewerber von Listenplatz 3? Dass er nicht auf den Listenplatz 2 darf, weil er ein anderes Geschlecht hat?", fragen sie. "Was sagen sie dem auf Platz 2, wenn der Kandidat auf Platz 1 stirbt und der Kandidat von Platz 3 auf Platz 1 vorrückt, an ihm vorbei?"

Achenbach ist sichtlich müde. Es ist heiß im Raum. Sie wiederholt, was sie in den vergangenen acht Stunden bereits mehrfach gesagt hat: Es bestehe kein Anrecht auf einen Listenplatz. Es gebe eine demokratische Entscheidung der Partei, ob Männer oder Frauen den Spitzenkandidaten stellten. Schließlich sagt sie: "Ich möchte jetzt nicht noch mal darüber diskutieren, ob es faktische Nachteile für Frauen gibt."

Nach der Verhandlung beglückwünschen sich die Prozessbevollmächtigten von NPD und AfD vorm Saal. Vorm Gebäude nennen ein paar Frauen mit "Pari, Pari"-Masken Achenbach eine Heldin. Das Brandenburger Gericht will seine Entscheidung am 23. Oktober verkünden. Falls es der Entscheidung in Thüringen folgt, gäbe es kein Paritätsgesetz mehr in Deutschland.

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