Bremen Der Schuldenstaat steuert auf Rot-Grün zu
Bremen - "Wunder von der Weser" gibt es immer mal wieder. Die ereigneten sich immer dann, wenn es Werder Bremen im Europacup schaffte, schier unaufholbare Rückstände wettzumachen. Auf ein solches Wunder hofft im kleinsten deutschen Bundesland auch Thomas Röwekamp. Doch ist er kein Fußballer, sondern CDU-Politiker, und was seine Lage besonders prekär macht: Der 40-Jährige tritt bei der Landtagswahl am 13. Mai gegen Bürgermeister Jens Böhrnsen an.
Böhrnsen ist zwar kein charismatischer und volkstümlicher Politiker wie sein Vorgänger im Amt, Henning Scherf. Aber der SPD-Politiker macht seine Sache seit zwei Jahren offenbar so gut, dass die Wähler ihm deutlich mehr zutrauen als dem CDU-Kandidaten Röwekamp: Bei einer Umfrage von Infratest-Dimap für die Bürgerschaftswahl sprachen sich nur 19 Prozent für Röwekamp aus, wenn der Bürgermeister direkt gewählt werden könnte - aber 52 Prozent für den Gegner, Genosse Böhrnsen. Und selbst bei den CDU-Anhängern würden immerhin 30 Prozent den SPD-Mann bevorzugen.
"Röwekamp ist ein blasser Kandidat", sagt der Bremer Politologe Lothar Probst SPIEGEL ONLINE über den CDU-Spitzenmann, der in der Großen Koalition, die im Bremer Rathaus regiert, noch der Stellvertreter von Böhrnsen ist. Noch.
Denn wenn man den Umfragen und der Stimmung im Mini-Bundesland glaubt, kann es am übernächsten Sonntag nur einen hohen Sieg für Böhrnsen und seine SPD geben. Der Bürgermeister wird sich dann aussuchen können, mit wem er weiterregieren will: Mit Röwekamp und der CDU - oder mit den Grünen, deren erneuter Einzug ins Parlament als sicher gilt. Nur im aus Bremen und Bremerhaven bestehenden Bundesland gäbe es dann wieder eine rot-grüne Koalition als Regierung - was möglicherweise Einfluss nähme auf Planspiele der Sozialdemokraten bei kommenden Landtagswahlen - oder sogar später auf Bundesebene.
Die SPD kann mit 42 Prozent rechnen
Aber festlegen will sich Böhrnsen noch nicht. Die Frage nach dem Bündnispartner wird ihm nahezu täglich gestellt, aber er verweist immer darauf, dass zunächst einmal gewählt werden müsse im Zwei-Städte-Staat. "Böhrnsen tendiert zu Rot-Grün", glaubt Politologe Probst.
Seit Gründung der Bundesrepublik regiert in Bremen bislang immer ein Bürgermeister mit dem Parteibuch SPD. Legendär sind einige Namen der Würdenträger: Wilhelm Kaisen, Hans Koschnick und eben Henning Scherf hießen die Regenten an der Weser. Zunächst sah es danach aus, als könne Böhrnsen, der Parteisoldat, niemals in die Fußstapfen des Zwei-Meter-Mannes Scherf treten.
Aber Böhrnsen kämpfte, indem er von Veranstaltung zu Veranstaltung tingelte, um sich dem Bremer vorzustellen. "Er hat keine Gelegenheit ausgelassen, sich bekannt zu machen", sagt Probst. Das ist der Vorteil eines Ministerpräsidenten im kleinsten Bundesland: Man kann vormittags im Bundesrat in der großen Berliner Politik mitspielen, sich nachmittags aber auch beim Frühlingsfest eines Seniorenheims und anschließend beim Schützenverein blicken lassen. Für Kollegen Böhrnsens wie Stoiber, Koch oder Oettinger kaum vorstellbar.
Mit 42 Prozent darf Böhrnsen bei der Wahl rechnen. Und das in einem Land, das nach wie vor massive Probleme hat: Hohe Arbeitslosigkeit und vor allem hohe Schulden. Mit knapp 14 Milliarden Euro ist die Verschuldung sogar höher als am Anfang der Großen Koalition.
Hinzu kommen Skandale wie der Tod des kleinen jungen Kevin, weshalb Böhrnsens Sozialsenatorin Karin Röpke angesichts der Missstände in den Behörden zurücktrat. Böhrnsen selbst konnte das nichts anhaben. Er gelte als "ehrlicher Makler" in sozialen Fragen und habe glaubwürdig machen können, an dem Skandal schuldlos zu sein, sagt Politologe Probst.
Linkspartei auf dem Weg in die Bürgerschaft
Bis vor kurzem plätscherte der Wahlkampf in Bremen vor sich hin. Natürlich sorgte für Aufsehen, als Böhrnsen nach dem plötzlichen Tod seiner Frau nun als trauernder Witwer im Wahlkampf seinen Mann stehen musste. Aber das war es denn auch schon fast. SPD und Union widmeten sich vor allem sozialpolitischen Themen wie einer besseren Kinderbetreuung oder dem Mindestlohn.
Die CDU scheint erst jetzt bemerkt zu haben, dass sie den Sozialdemokraten auf diesen Themenfeldern keine Punkte abnehmen kann. Deshalb thematisierte sie nun im Endspurt ein anderes Thema, um Wählerstimmen dazu zu gewinnen: Es sei untragbar, dass mit Susanne Albrecht seit Jahren eine ehemalige RAF-Terroristen an einer Bremer Schule unterrichte.
Doch ob diese Notbremse im Wahlkampf noch eine Niederlage von Röwekamp und der CDU verhindern kann, ist fraglich. In anderen Bundesländern könnte die Union noch auf die Hilfe der FDP hoffen, um an die Macht zu kommen. Aber an der Weser macht das keinen Sinn. Zu groß ist der Vorsprung von SPD und auch Grünen. "Den Wählern ist klar, dass eine Stimme für die FDP eine verschenkte Stimme ist", sagt Politikwissenschaftler Probst.
In Umfragen dümpeln die Liberalen zurzeit bei fünf Prozent. Sie müssen sogar befürchten, von der Linkspartei aus der Bürgerschaft verdrängt zu werden, die damit erstmals den Sprung in ein westdeutsches Parlament schaffen würde. Das wäre angesichts des traditionell eher links ausgerichteten Bremer Wählervolks auch keines der "Wunder von der Weser".
Korrektur: In der ursprünglichen Version dieses Artikels behaupteten wir, eine Infratest-dimap-Umfrage habe ergeben, dass sich 40 Prozent der CDU-Anhänger für den SPD-Mann Böhrnsen entscheiden würden, wenn sie den Bürgermeister direkt wählen könnten, nur 30 Prozent dagegen für den CDU-Kandidaten Röwekamp. Dies ist falsch, die Werte verteilen sich genau umgekehrt. Wir bedauern diesen Fehler und haben ihn korrigiert.