Bremen-Wahl Wohin die Wähler der Grünen abgewandert sind

Eine Bremer Tradition wird aller Voraussicht nach fortgesetzt: Bürgermeister bleibt ein SPD-Politiker – seit 1945 war das immer so. Die Sozialdemokraten mit Spitzenkandidat Andreas Bovenschulte sind einer der beiden Sieger bei der Bürgerschaftswahl in Bremen. Rund fünf Prozentpunkte haben die Sozialdemokraten im Vergleich zu 2019 hinzugewonnen.
Bovenschulte, der auch amtierender Bürgermeister ist, möchte sich noch nicht festlegen, mit wem er künftig zusammen regieren möchte. Das werde man in den Gremien diskutieren, sagte er. Es gehe darum, eine Politik für ganz Bremen zu machen. »Im Mittelpunkt dürfen nicht irgendwelche Partikularinteressen stehen.«
Die Protestwählerpartei Bürger in Wut (BiW) ist der zweite Wahlsieger. Sie vervierfachte ihr Ergebnis von 2019, was allerdings vor allem an der Nichtteilnahme der AfD liegt. Die Grünen hingegen verloren mindestens fünf Prozentpunkte und haben damit die größten Stimmverluste zu verkraften.
Es sind auch diese drei Parteien, bei denen ein genaues Hinschauen besonders interessant ist: Woher kamen dieses Jahr die neuen Wählerinnen und Wähler? Wohin gingen die Stimmen derer, die 2019 den Grünen noch ein starkes Ergebnis beschert hatten? Das Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap hat auf Basis der Hochrechnung von Sonntagnacht eine erste Analyse vorgenommen.
Die größten Zugewinne bei dieser Wahl hat allerdings keine Partei verzeichnet, sondern die Gruppe der Nichtwähler. Hatten 2019 noch 177.500 Menschen keine Stimme abgegeben, lag diese Zahl nun bei 202.500. Die Wahlbeteiligung lag bei 57,5 Prozent – sieben Prozentpunkte niedriger als bei der vorigen Bürgerschaftswahl.
Keine Partei hat bei dieser Wahl so viele Stimmen verloren wie die Grünen. Nicht einmal die AfD, die dieses Jahr gar nicht antreten durfte: 18.500 AfD-Wähler mussten sich dieses Mal anders entscheiden oder auf ihr Wahlrecht verzichten. Die Grünen hingegen haben im Vergleich zu 2019 insgesamt 21.000 Wählerinnen und Wähler verloren – und allen Parteien gegenüber ein negatives Saldo.
Am stärksten hat die SPD von der Unzufriedenheit mit den Grünen profitiert: Rund 10.500 Personen wechselten von Grün zu Rot. Weil rund 1500 SPD-Wähler sich diesmal für die Grünen entschieden, beträgt der Saldo der Wählerwanderung von den Grünen zur SPD etwa 9000. Auch zu CDU und Linken wechselten viele Menschen, die 2019 noch die Grünen gewählt hatten.
Das Wahlforschungsinstitut Infratest dimap schätzt die sogenannten Wanderungsströme zwischen den Parteien: Wie viele Wählerinnen und Wähler konnte eine Partei im Vergleich zur vorherigen Wahl halten, wie viele sind zu anderen Parteien abgewandert, wie viele von dort zugewandert? Grundlage sind die amtlichen Wahlergebnisse und Nachwahlbefragungen, bei denen Wählerinnen und Wähler nach der Stimmabgabe unter anderem zu ihrem Stimmverhalten bei der aktuellen und bei der vorherigen Wahl befragt werden. Zudem fließen amtliche Statistiken zur Bevölkerungsentwicklung in die Berechnung ein (Erstwähler, verstorbene Wahlberechtigte, Zu- und Wegzüge). Die ermittelten Einzelströme werden gerundet, sodass sich in den Parteisummen Differenzen zum amtlichen Ergebnis ergeben können.
Die starken Gewinne der Bürgermeister-Partei SPD gehen also zu einem großen Teil auf das Konto von früheren Wählerinnen und Wählern der Grünen. Auch viele Menschen, die 2019 die Linke gewählt hatten, entschieden sich nun für die SPD. Darüber hinaus machten rund tausend beziehungsweise 500 ehemalige FDP- und AfD-Wähler dieses Mal bei der SPD ihr Kreuz.
4500 Stimmen von 2019 wanderten diesmal von der SPD an die CDU. Gleichzeitig setzten rund 4000 Ex-CDU-Wähler nun auf die SPD. In der Summe hat Bovenschultes Partei also etwa 500 Wähler an die bisherigen Oppositionsführer verloren.
Die Bürger in Wut haben die größten Gewinne eingefahren. Das geht unter anderem darauf zurück, dass die AfD dieses Jahr in Bremen nicht zur Wahl antreten durfte: Von den rund 24.000 Stimmen für die Rechtspopulisten stammen rund 7000 von ehemaligen AfD-Wählern. Doch die BiW gewannen nicht nur einstige AfD-Stimmen, sondern konnten auch 3000 ehemalige CDU-Wähler, 2000 vorige Nichtwähler und einige Personen von sich überzeugen, die sich vor vier Jahren noch für SPD (1500) oder FDP (1000) entschieden hatten.
Je älter, desto Volkspartei
Dass SPD und CDU die meisten Stimmen auf sich vereinigen, haben die beiden Volksparteien laut Infratest dimap vor allem den älteren Menschen zu verdanken. Umgekehrt gilt: Je jünger die Wähler sind, desto eher werden die Kreuze bei Grünen, Linken und FDP gemacht. Bei den Wählerinnen und Wählern von 16 bis 24 Jahren kommen die drei Parteien zusammen auf einen Stimmenanteil von 45 Prozent.
Menschen im Alter zwischen 35 und 69 Jahren waren am ehesten geneigt, die BiW zu wählen. Interessant ist zudem der Blick auf die Nordseeküste. In Bremerhaven holte die Partei laut Infratest dimap 22,4 Prozent – in der Stadt Bremen waren es nur 7,5.
Sowohl SPD als auch BiW waren besonders bei Wählerinnen und Wählern mit einfachem Bildungshintergrund erfolgreich. Nur sechs Prozent der Wähler mit hoher Bildung wählten die Wut-Partei. Demgegenüber stehen zehn Prozentpunkte mehr in der Gruppe der Bürgerinnen und Bürger mit einfacher Bildung.
Das Ergebnis der Grünen deckt sich mit vorigen Analysen: Einem Stimmenanteil von 17 Prozent bei den höher Gebildeten stehen nur fünf Prozent bei Menschen mit einfacher Bildung gegenüber. Auch die Linke erzielte bei Personen mit höherem Bildungsgrad ein besseres Ergebnis.
Zwischen Frauen und Männern sind die Unterschiede im Wahlverhalten relativ gering. SPD, Linke und Grüne verzeichnen allerdings mehr Wählerinnen als Wähler, während CDU, BiW und FDP leichte Vorteile bei Männern haben.