Bremens Bürgermeister Wahlkampf ohne Luise

Der Tod kam plötzlich: Vor fast vier Wochen verlor Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen seine Frau durch einen Hirnschlag. Der SPD-Ministerpräsident macht dennoch Wahlkampf. Eine gnadenlose Tour für den trauernden Witwer.

Bremen - Wenn am Abend des 13. Mai feststehen sollte, dass die SPD die Bürgerschaftswahlen in Bremen gewonnen hat, wird es keinen Gewinner geben, der in die Kameras strahlt. Denn Bürgermeister Jens Böhrnsen wird auch im Augenblick von Sieg oder Niederlage den Verlust des wichtigsten Menschen an seiner Seite spüren - seiner Frau Luise Morgenthal, die am 7. März im Alter von 58 Jahren an einer Hirnblutung starb.

"Ich glaube, ich werde vier Jahreszeiten lang um meine Frau trauern", sagt Böhrnsen, 57, im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "So lange, wie im Lauf eines Jahres all das wiederkehrt, was man gemeinsam erlebt hat."

Bis zu diesem Wahlsonntag im Mai wird Bremen einen Regierungschef erleben, der darum kämpft, die Macht im kleinsten Bundesland zu behalten. Zusammen mit der CDU regiert er in einer Großen Koalition an der Weser. Ob es nach der Wahl eine Neuauflage gibt, ist unklar. Auch ein rot-grünes Bündnis ist möglich. Böhrnsen lässt sich da nicht in die Karten schauen.

Den Kampf um seine geliebte Frau hat Böhrnsen aber am 7. März für immer verloren. "Ich habe einen jähen Abschied erlebt", sagt er. Und dann erzählt er vom letzten Wochenende, das er mit Luise Morgenthal verbringen durfte. "Wir waren auf zwei Bällen, hatten Freunde zum Frühstück da, und Sonntagabend waren wir noch im Kabarett."

Der Montag veränderte das Leben von Böhrnsen dann auf einen Schlag. Luise Morgenthal hatte sich am Morgen in die Justizvollzugsanstalt im Stadtteil Oslebshausen aufgemacht, wo sie Leiterin des Frauenvollzugs war. In seinem Büro bekam Böhrnsen dann einen Anruf aus dem Gefängnis: Seine Frau sei gerade zusammengebrochen und der Notarzt gerufen worden. Böhrnsen machte sich umgehend auf. "Am Anfang sah es wie ein Schwächeanfall aus", sagt er. Aber im Krankenhaus rangen die Ärzte vergeblich um das Leben von Bremens First Lady. Sie starb zwei Tage später an den Folgen der Hirnblutung. Knapp zehn Jahre war Böhrnsen mit Luise Morgenthal verheiratet.

Eine Woche lang betrat er sein Büro im Bremer Rathaus nicht. "Ich habe mir eine Unterbrechung genommen, um Zeit für meine Trauer, Gedanken und Gespräche zu haben", erklärt der Politiker, der aus seiner ersten Ehe zwei erwachsene Kinder hat. Dann kehrte Böhrnsen zurück an den Schreibtisch und - ein paar Tage später - in den Wahlkampf.

Als Witwer stellt er sich nun dem gnadenlosen, Kräfte und Nerven zehrenden Terminplan: An einem Tag geht es da zum Beispiel zuerst zum Sportverein im Stadtteil Marßel, der im Januar das Vereinsheim durch Brandstiftung verloren hat. Bei der Begehung wird weitgehend darauf verzichtet, Böhrnsen auf sein Schicksal anzusprechen. Nur einmal fragt einer: "Wie geht's, Jens?" Worauf Böhrnsen knapp antwortet: "Es geht so."

Bei der Rückkehr in die Öffentlichkeit hatte es diese Zurückhaltung nicht gegeben. Immer wieder wurde Böhrnsen das Beileid ausgesprochen. Manchmal habe man sich gewünscht, es wäre nicht so viele gewesen, die ihrem Chef kondolierten, heißt es in Böhrnsens Umfeld. Denn so wurde er permanent mit seiner Trauer konfrontiert.

"Ob am Morgen oder Abend, mich überkommt Traurigkeit beim Gedanken an den Verlust meiner geliebten Frau"

Er selbst sagt, er freue sich über die Anteilnahme der Menschen. "Ich habe hunderte Schreiben aus der Bevölkerung erhalten", berichtet der Ministerpräsident. Er habe sich die Zeit genommen, "abends und in der Nacht, und habe diese Briefe gelesen".

Böhrnsen wirkt gefasst und abgeklärt bei seinen Terminen. An einen Rücktritt habe er nie gedacht. "Meine Frau hätte mir auch den Rat gegeben: Mach weiter." Und er sagt, "das Sterben und der Tod gehören zum Leben dazu". Die Trauer um einen Menschen und die Arbeit im Alltag seien für ihn kein Widerspruch. "Das müssen alle Menschen, auch ich, zueinander bringen." Das sei eine Aufgabe. "Der banale Spruch 'Das Leben geht weiter' stimmt ja", sagt Böhrnsen.

Ein Bürgermeister, der seinen Kompass verloren hat

Und so mischt er sich auch unter die 160 Senioren, die nachmittags zum Frühlingsfest der Arbeiterwohlfahrt im Vegesack-Lesum gekommen sind. Es gibt Kaffee und Kuchen, und als der Musiker am Keyboard "Caprifischer" spielt, tanzen die alten Leute. Böhrnsen geht derweil von Tisch zu Tisch und plaudert, lächelt auch manchmal. Aber der Kummer ist dennoch sein ständiger Begleiter. "Ich habe große Trauer in mir, die ist Teil meines Lebens, die verdränge ich nicht."

Psychologische Betreuung kam für Böhrnsen nicht in Frage. "Ich habe ein Netzwerk guter Freunde, und ich habe in einem unglaublichem Maße Hilfe von ihnen erlebt", sagt er. Harte persönliche Attacken vom politischen Gegner muss Böhrnsen ohnehin nicht befürchten. Wahlkämpfe in Bremen werden seit jeher hanseatisch zurückhaltend geführt, und CDU-Spitzenkandidat Thomas Röwekamp stellt denn auch klar, dass es in diesem Wahlkampf ohnehin nicht um Personen, "sondern um Sachthemen" gehe.

"Auch im Wahlkampf, ob am Morgen oder Abend, überkommt mich Traurigkeit beim Gedanken an den Verlust meiner geliebten Frau", sagt Böhrnsen. Luise Morgenthal sei der "Kompass" Böhrnsens gewesen, beschreibt der Bremer Senatssprecher Klaus Schloesser die Beziehung des glücklichen Paares. Böhrnsen selbst sagt, seine Frau sei für ihn "keine politische Ratgeberin, sonder meine intensivste Gesprächspartnerin" gewesen. "Wir haben ganz viel miteinander gesprochen, morgens, abends. Das fehlt mir natürlich sehr."

Herbert Grönemeyer, der seine Frau Anna durch Krebs verlor, wurde Jahre nach ihrem Tod einmal gefragt, wann er das letzte Mal mit seiner Frau gesprochen habe. "Vor ein paar Tagen", antwortete der Sänger.

Böhrnsen kann das nach dem Tod von Luise nachvollziehen. "In Gedanken halte ich jeden Tag Zwiesprache mit ihr."

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