Bremer Bürgerschaftswahl Sieg für das Original

SPD und CDU haben beide verloren. Trotzdem ist die Entscheidung der Bremer Wähler ein Sieg für den sozialdemokratischen Bürgermeister und eine Niederlage für seinen CDU-Stellvertreter Röwekamp. Dabei sind sie beide nett - und unscheinbar.

Bremen - Für einen Moment ist es ziemlich still geworden, trotz der vielen Menschen hier, im Bremer Lokal "Friesenhof". Als punkt 18 Uhr die erste Prognose über die Leinwand bei der SPD-Wahlparty flimmert, sieht man vielen die Enttäuschung an. Mit einer 4 vornedran hat man gerechnet, nur eine 3 steht nun da. Aber dann klatschen die üblichen Verdächtigen auch schon los und jubeln. Etwas zu laut. "Wir sind präsent in der Stadt", ruft Jens Böhrnsen, 57, den SPD-Anhängern bei der Wahlparty zu, während sein Senator Willi Lemke - nebenbei Aufsichtsratschef von Werder Bremen - Sieges-Veitstänze vollführt, als habe der Verein eben die Champions League gewonnen.

Trotz des Jubels fragen sich manche Sozialdemokraten an diesem Abend, ob die fehlende Festlegung vor der Wahl ein Fehler war. Möglicherweise hätte ein klares Rot-Grün der SPD genutzt, sagen sie. Aber dem ist Bürgermeister und Spitzenmann Böhrnsen konsequent ausgewichen. Als hinge der Schatten seines populären Vorgängers Henning Scherf immer noch über ihm, der nie eine Alternative zur großen Koalition gesehen hatte.

Das Ergebnis, von 42,3 im Jahr 2003 auf heute 36,8 Prozent, ist trotzdem ein Erfolg für Böhnsen. Er wird in jedem Fall weiterregieren, egal mit wem. Wirklich müde scheint man der Sozialdemokraten hier nicht zu sein.

Es nieselte am Nachmittag, als sich Jens Böhrnsen für ein paar Minuten unter einen Schirm stellte und zu hörte. Er lächelte dabei. Da war es kurz nach fünf. Während einige Meter weiter in der Bürgerschaft der Countdown für den Wahlabend angezählt wurde, hatte Verdi zu einer Kundgebung gegen die Abbaupläne der Telekom gerufen. Ein paar hundert Männer und Frauen waren gekommen, hatten sich rote oder weiße Plastikumhänge mit dem Gewerkschaftslogo übergezogen, das Trillerpfeifenkonzert hörte erst auf, als "der Jens" erschien.

Nein, das Verdi-Mitglied Böhrnsen ließ es sich selbst an diesem Tag nicht nehmen, seine sozialdemokratische Ader zu demonstrieren. Auch wenn er in dem dunkelblauen Anzug und der randlosen Brille eher wie einer jener Telekom-Manager aussah, über die sie hier schimpften. Er hielt keine Rede, stand nur da, während ein Funktionär kämpferische Sätze über den Platz schrie. Dass man sich "vom Bürgermeister auch nach dieser Wahl Unterstützung" verspreche, sagte der Redner am Ende. Die versammelten Gewerkschafter klatschten, Böhrnsen nickte, winkte einmal freundlich, dann war er auch schon wieder weg.

So ist das als Bürgermeister in diesem eigenartigen Stadtstaat.

Man muss offenbar nicht wirklich erfolgreich sein, um hier erfolgreicher Politiker zu sein. Wenn man Sozialdemokrat ist. Man muss dazu auch nicht besonders charismatisch sein, brillante Reden halten können oder andere anderswo hilfreiche Politiker-Qualitäten aufbieten. In Bremen reicht es als SPD-Politiker - das zeigt diese Wahl - ein Kümmerer zu sein. Einer, bei dem die Leute, beispielsweise von Verdi, das Gefühl haben, er tue etwas für sie.

Dabei ist Bremen das höchstverschuldete deutsche Bundesland. Der Stadtstaat hat nach einer aktuellen Untersuchung auch eklatante Schwierigkeiten im europäischen Vergleich, Jugendliche aus sozial schwachen Milieus zu integrieren, nicht nur mit Migrantenhintergrund. Und der Rechtsextremismus ist hier enorm angestiegen.

"Der ist doch weg vom Fenster"

Thomas Röwekamp hätte all dies im Wahlkampf anprangern, der SPD den Kampf ansagen, wirkliche Alternativen aufzeigen können. Aber weil der Bürgermeister als Juniorpartner Böhrnsens gern weiter regieren wollte, hat er genau dies nicht getan. Er hat stattdessen ein bisschen versucht, den CDU-Kümmerer zu geben, eine kleine, jüngere Kopie des netten Herrn Böhrnsen. Das aber reicht in Bremen nicht. Und so muss Röwekamp, der auf den Plakaten mit seinen markanten Ohren dem Schauspieler Dominique Horwitz ähnelte, ein ziemlich übles Wahlergebnis erklären. Sein Wahlergebnis.

Ob er sich zu nett gegeben hätte? "Nein, die Bremer mögen doch nette Leute", sagt der 40-Jährige SPIEGEL ONLINE. Das habe andere Gründe gehabt, und dann erzählt Röwekamp von den Wahlkampf-Fehlern der SPD und der schwierigen allgemeinen Politik-Großwetterlage. "Schlecht sieht der aus ", sagt ein Bürger im grünen Anorak, als Röwekamps Tross an ihm vorüber geeilt ist, "der ist doch weg vom Fenster".

Möglicherweise ist das so. Ob Thomas Röwekamp nochmals als CDU-Spitzenkandidat antreten wird, darauf würden an diesem Abend wenige wetten.

Die interessantere Frage ist jedoch, welcher Art Röwekamps unmittelbare politische Zukunft nach dieser Wahl sein wird. Zwar gibt es Gerüchte, wonach SPD und CDU ihre weitere Zusammenarbeit schon vor Wochen besiegelt hätten. Aber die Wahrscheinlichkeit einer rot-grünen Koalition ist nun sicherlich gewachsen - und dann wäre Röwekamp höchstens neuer Oppositionschef.

Mit der CDU wie mit den Grünen reden

"Die CDU hätte diese Koalitionsoption nicht dämonisieren sollen", sagt Böhrnsen SPIEGEL ONLINE. Und dass er mit der CDU wie mit den Grünen reden werde. In welcher Reihenfolge, das hänge von terminlichen Dingen ab. Die Freunde von Rot-Grün werden es gerne hören.

Als das Gewimmel in der Bürgerschaft abebbt, verlässt auch der alte und neue Bürgermeister nach vielen Interviews das Gebäude: Drüben im "Friesenhof" wartet Besuch aus Hamburg, SPD-Spitzenkandidat Michael Naumann will mit den Bremer Genossen feiern. Naumann sollte sich von diesem Abend allerdings nicht blenden lassen - so leicht wird er es in Hamburg nicht haben.

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