Mord an Buback Verena Beckers Anwälte fordern Freispruch

Becker mit ihren Anwälten: "Am Attentat nicht in strafrechtlich relevanter Weise beteiligt"
Foto: dapdEndrunde im Prozess um den Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback gegen die Ex-RAF-Terroristin Verena Becker. Seit fast hundert Tagen verhandelt das Oberlandesgericht Stuttgart, an diesem Dienstag stellte die Verteidigung ihre Sicht dar. Sie schloss sich, was die Bewertung der Ergebnisse der Hauptverhandlung und des äußeren Sachverhalts angeht, "vollumfänglich" der Bundesanwaltschaft an. So viel Harmonie in einem RAF-Verfahren war wohl kaum jemals.
Trotzdem forderten die Verteidiger Walter Venedey und Hans Wolfgang Euler erwartungsgemäß Freispruch für die Angeklagte. Denn der von der Anklage abweichende Strafantrag der Bundesanwaltschaft - eine Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren wegen Beihilfe zum Mord an drei Repräsentanten des Staates, wovon zwei Jahre aufgrund eines Härteausgleichs als bereits vollstreckt anzusehen seien - beruht in ihren Augen auf einer keineswegs stabilen Grundlage.
Ursprünglich hatte die Bundesanwaltschaft Becker wegen Mittäterschaft angeklagt. Schriebe man nicht das Jahr 2012, sondern die zweite Hälfte der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, hätte es wegen der Nähe Beckers zu den Attentätern des "deutschen Herbstes" 1977 für "Mittäterschaft" möglicherweise gereicht. Denn damals kam es auf anderes an als den unwiderleglichen Nachweis jeder einzelnen Feststellung. Man war um jede Verurteilung von RAF-Mitgliedern froh, um dem Terror ein Ende zu bereiten.
Doch heute gibt es die RAF nicht mehr. Heute stehen wieder der Rechtsstaat und die Garantie eines fairen Verfahrens im Vordergrund. Heute kommt es darauf an, einem Angeklagten seine Schuld im einzelnen und auf objektiver Basis nachzuweisen.
"Es geht nicht darum, die RAF-Mitgliedschaft unserer Mandantin wegzureden"
Die Ausführungen der Bundesanwaltschaft zum Sachverhalt seien völlig richtig, sagte Verteidiger Venedey. Daran schloss er die Frage, wie es bei der Bundesanwaltschaft dann zum Wechsel der Einschätzung von Mittäterschaft zur Beihilfe gekommen sei. Denn die Hauptverhandlung habe keine neuen Erkenntnisse gebracht. "Nirgends gibt es neue Tatsachen, die die Beweislage geändert hätten", so Venedey.
In der Tat: Was seit mehr als eineinhalb Jahren in Stuttgart akribisch erörtert wurde, ist seit Jahrzehnten bekannt. Was hinzukam, als die Bundesanwaltschaft 2007 gegen Verena Becker zu ermitteln begann: eine DNA-Spur auf dem Kuvert eines Bekennerschreibens, das nach dem Attentat versandt wurde, und Aufzeichnungen der Angeklagten, die bei der Durchsuchung ihrer Wohnung gefunden wurden. Diese aber sind mutmaßlich eher als Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit zu interpretieren denn als Beleg für ein besonders vehementes Eintreten zur Ausführung des Mord-Attentats. So hatte es die Bundesanwaltschaft aus den vielfältigen Äußerungen des Zeugen Peter-Jürgen Boock, auch er ehemaliges RAF-Mitglied, abzuleiten versucht. Einen Bezug zum Buback-Attentat wiesen die Notizen jedenfalls nicht auf, so die Verteidigung.
"Es geht nicht darum", so Venedey, "die Mitgliedschaft unserer Mandantin in der RAF wegzureden. Auch hat sie wie die anderen das Attentat gebilligt. Aber: Gibt es einen objektiven Beweis dafür, dass sie einen besonderen Beitrag dazu geleistet oder den Tatentschluss anderer befördert hat?" Während des Attentats sei Becker nachweislich im Ausland, zuvor weitgehend in Haft gewesen. Boock wisse kaum etwas über sie. Aus seinen Angaben eine "herausgehobene Stellung Verena Beckers innerhalb der RAF" abzuleiten, sei unmöglich.
Boock ist kein Fels, auf den Ankläger zuverlässig bauen können, zu oft hat er "gelogen, dass sich die Balken bogen", wie es die Verteidigung nannte - oder sich selbst widersprochen, ohne es zu merken, weil er sich offensichtlich den Erwartungen seiner jeweiligen Gesprächspartner anpasste. Boock neigt dazu, so jedenfalls der Eindruck aus dieser Stuttgarter Hauptverhandlung, erst etwas zu behaupten, um in einem zweiten Schritt mit einem "wohl" oder "vermutlich" zu relativieren und schließlich zu bekennen, dass er das Behauptete nur vom Hörensagen wisse.
Michael Buback hört offenbar nur, was in sein Bild passt
"Nach unserer Überzeugung", so Rechtsanwalt Euler, "war Frau Becker an dem Buback-Attentat nicht in strafrechtlich relevanter Weise beteiligt". Dies ergebe sich "nahtlos" aus der Beweisaufnahme. "Dem wäre nichts hinzuzufügen, wenn die Nebenklage nicht eine Umdeutung des Beweisergebnisses vorgenommen hätte." Das Motto des Nebenklägers sei gewesen, den Gerichtssaal, wie er es nannte, "nicht zum logikfreien Raum" werden zu lassen. "Doch zur Logik eines Strafverfahrens gehört, zwischen festgestellten Tatsachen und Mutmaßungen zu unterscheiden. Hat Herr Buback nicht zugehört - oder hat er eine Wahrnehmungsproblematik?" fragte Euler. Eine rhetorische Frage, denn Michael Buback hört offenbar nur, was in sein Bild passt. Anderes nimmt er nicht mehr wahr.
Der Sohn des ermordeten Generalbundesanwalts war am Dienstag nicht da, dafür aber seine Frau und Rechtsanwalt Matthias Rätzlaff als Nebenklagevertreter. Es überraschte niemanden im Saal, dass Rätzlaff - ein offenbar überaus ergebener Diener seines Herrn - noch einmal versuchte, es war ein geradezu verzweifelter Versuch, ein Zipfelchen jener Verschwörungstheorie Bubacks zu retten, ohne die das ganze Verfahren vielleicht gar nicht oder zumindest nicht in dieser Ausführlichkeit geführt worden wäre.
In der vorigen Woche hatte ein Boulevardblatt gemeldet, Frau Becker sei 1983 mit Günter Sonnenberg - jenem RAF-Mann, der seinerzeit wohl das Motorrad gelenkt hatte, von dem aus der Generalbundesanwalt und seine zwei Begleiter erschossen worden waren - in der Schweiz gesichtet worden. Merkwürdig erscheint dies nur dem, der wie Michael Buback an eine "schützende Hand" über Verena Becker glaubt. Denn 1983 saß sie in Haft, nachdem sie wegen einer Schießerei im Mai 1977 in Begleitung Sonnenbergs in Singen festgenommen und deswegen zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Gleichzeitig in Haft und in der Schweiz - das passt nicht zusammen.
Bundesanwalt Walter Hemberger zeigte sich gelassen: "Das ist pure Spekulation. Frau Becker bekam 1988 erstmals Hafturlaub. Und Sonnenberg war wegen seiner schweren Verletzungen bei der Festnahme gewiss nicht in der Lage zu reisen. Dazu der Zeitpunkt der Veröffentlichung jetzt am Ende des Prozesses!" Hemberger winkte ab, und der Senatsvorsitzende stimmte ihm zu: "Wir wissen nicht, woher diese 'Information' stammt. Papier ist schließlich geduldig."
Pure Spekulation - das war der Tenor sämtlicher ernstzunehmender Plädoyers, was die Überzeugung Bubacks betraf, Verena Becker sei 1977 die Schützin gewesen. Die Bundesanwaltschaft, die Nebenklagevertreter Ulrich Endres (der im Lauf des Verfahrens von dem Mandat Abstand nahm, als den Obsessionen Bubacks nicht mehr zu folgen war), Jens Rabe und Stephan Lucas sowie die Verteidiger - sie alle kamen übereinstimmend zu dem Ergebnis, für die Hypothese, Frau Becker habe geschossen, gebe es keinerlei Beweis.
Wenn sich Familienangehörige eines Ermordeten ihr eigenes Bild machen von dem Unglück, das über sie hereinbrach, wenn sie versuchen, das Unbegreifliche in ihre Gedankenwelt irgendwie einzufügen und dabei Irrwege beschreiten, ist dies hinzunehmen, selbst wenn es bisweilen schwer fällt. Wenn aber ein Rechtsanwalt, der sich doch als Organ der Rechtspflege verstehen sollte, sich wider jede Vernunft die inbrünstige Überzeugung seines Auftraggebers zu eigen macht und, wie Rätzlaff es tat, am Ende über den Strafantrag der Ankläger sogar um ein Vielfaches hinausgeht und für die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe eintritt, dann gibt dies Anlass zur Frage, wie es eigentlich um das Selbstverständnis von Nebenklagevertretern bestellt ist. Zum guten Ton vor Gericht gehört es, den Strafantrag den Vertretern des Staates zu überlassen. Sie sind dazu berufen, nicht aber die Anwälte, die den Opfern oder ihren Hinterbliebenen beistehen sollen.
Spekulationen, Phantasien, Wunschvorstellungen
Verteidiger Euler warf Rätzlaff einen "unverantwortlichen Umgang mit den Pflichten eines Anwalts" vor, Rätzlaff wies dies zurück. "Sie maßen sich an zu bestimmen, was richtig ist und was falsch. Das weise ich zurück." Doch es gibt Regeln, geschriebene und ungeschriebene, die ein Anwalt kennen müsste.
Rätzlaff muss sich jedoch schon fragen lassen, warum er den Nebenkläger nicht wenigstens von einer Ungeheuerlichkeit abgehalten hat, die in der Flut der Vorwürfe gegen die Bundesanwaltschaft, das Bundeskriminalamt, ja sogar den Senat fast unterging. Dass Buback noch immer - und vermutlich auch weiterhin - von 27 Zeugen behauptet, sie hätten eine Frau auf dem Soziussitz des Motorrades gesehen, ist nicht zu erklären und eigentlich auch ohne Bedeutung. Denn das Gegenteil ist erwiesen. Bundesanwalt Hemberger zählte die Aussagen auf und analysierte sie überzeugend. Auch andere angebliche Hinweise auf Beckers Täterschaft: Spekulationen, Phantasien, Wunschvorstellungen ohne Grundlage.
Aber dass Buback am Ende seines zweitägigen Plädoyers sagte: "Es müssen sich nicht viele an der Verschwörung beteiligt haben - es genügen Rebmann und Boeden" - das hätte Rätzlaff verhindern müssen. Kurt Rebmann war der Nachfolger Siegfried Bubacks als Generalbundesanwalt, Gerhard Boeden war damals Vizepräsident des Bundeskriminalamts, später Präsident des Bundesverfassungsschutzes.
Wie ist die Aussage des Buback-Sohnes zu verstehen? Will er behaupten, die Bundesanwaltschaft und logischerweise alle Ermittler bei der Polizei und den Landeskriminalämtern seien 1977 und zuvor schon von der Stasi (oder dem KGB) unterwandert gewesen? Will er behaupten, der Generalbundesanwalt habe beseitigt werden müssen, weil der so erfolgreich DDR-Spione jagte? Will er behaupten, Rebmann sei inthronisiert worden, damit Westdeutschland vom Ostblock besser ausspioniert werden konnte? Rebmann und Boeden sind tot, sie können sich nicht mehr wehren gegen solche Unterstellungen.
Michael Buback beschädigt mit seinem Verdacht nicht nur das Andenken seines Vaters, sondern auch den Rechtsstaat. Zur Urteilsverkündung am 6. Juli will er voraussichtlich nicht kommen. "Wir brauchen das Urteil nicht. Wir wissen, was geschehen ist", sagte er abschließend. Das ist eine Respektlosigkeit einem Gericht gegenüber, das alles getan hat, um dem Nebenkläger Genugtuung zu verschaffen. Dass bis heute nicht bekannt ist, wer den Finger am Abzug hatte, ist nicht diesen Richtern anzulasten.