Buch über Ypsilanti-Debakel Abrechnung mit den Abweichlern

Jubel im Ypsilanti-Lager, Ärger bei den Parteirebellen: Der Journalist Volker Zastrow hat in einem Buch das Debakel der hessischen SPD aufgearbeitet. Dabei kommen vor allem die Abweichler schlecht weg - sie sollen das Linksbündnis entschieden vorangetrieben haben, um es dann zu kippen.

Berlin - So gut gelaunt hat man die hessischen Sozialdemokraten lange nicht erlebt. Scherzend und gelöst reagieren sie am Montag auf Telefonanfragen. Christoph Degen etwa. Der 29-Jährige hat im Januar sein Mandat verloren - nach nur einem Jahr. Er hat einen hoffnungslosen Wahlkampf gemacht und immer wieder Andrea Ypsilanti verteidigt. Obwohl er die Duldung durch die Linkspartei skeptisch sah.

SPD-Rebellen Metzger, Walter, Tesch und Everts (bei ihrer Pressekonferenz am 3. November 2008): "Sehr einseitiges Bild"

SPD-Rebellen Metzger, Walter, Tesch und Everts (bei ihrer Pressekonferenz am 3. November 2008): "Sehr einseitiges Bild"

Foto: DPA

Doch nun, ein halbes Jahr später, fühlt er sich bestätigt. Bestätigt in seiner Sicht auf die Abweichler Carmen Everts, Dagmar Metzger, Silke Tesch und Jürgen Walter. Deren Rolle bei der gescheiterten Machtübernahme Ypsilantis hat der Journalist Volker Zastrow herausgearbeitet - unter dem Titel: "Die Vier. Eine Intrige". Degen hat sich das Buch sofort bestellt, wie alle hessischen Genossen, mit denen SPIEGEL ONLINE am Montag sprach.

In einem zweiseitigen Artikel der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" macht Zastrow seine Stoßrichtung schon mal deutlich. Everts und Walter kommen dabei nicht besonders gut weg. Sie sollen innerparteilich einen zweiten Anlauf des Linksbündnisses gefordert haben, um es dann im letzten Moment scheitern zu lassen. Autor Zastrow sagte der "Bild"-Zeitung, ursprünglich habe er eine "Heldengeschichte" schreiben wollen. Doch Everts und Walter hätten sich eher als traurige Gestalten entpuppt.

Bei einem Treffen am 28. Juli 2008 sollen Parteirechte um Carmen Everts zusammen mit Linken um Generalsekretär Norbert Schmitt den Fahrplan für Ypsilantis zweiten Versuch aufgestellt haben. Ort des Treffens sei demnach die "Bauernschänke" in Eschborn gewesen, der Heimat Roland Kochs.

Neu sind Zastrows Ausführungen nicht. Bereits im Herbst vergangenen Jahres schrieb die "Süddeutsche Zeitung" über das Treffen in Eschborn. Doch überraschend ist die Verve, mit der gerade Zastrow zwei der Abweichler attackiert. Denn zuvor hatte er in seinen Artikeln und Kommentaren die Position der Parteirebellen verteidigt und gelobt. Doch nun schreibt er etwa, Everts Angabe, sie wäre von Ypsilantis Leuten erpresst worden, sei mit seinen Recherchen nicht vereinbar.

In der hessischen SPD stößt dies auf Applaus und Genugtuung. Der Ex-Abgeordnete Degen sagt, es sei wichtig für ihn, dass nun die wahren Abläufe im rechten Parteiflügel bekannt werden, dem auch er angehört. "Ich bin damals Jürgen Walter gefolgt und war kein linker Abweichler, als der ich teilweise bezeichnet wurde." Inzwischen habe er aber Abstand von dem Streit gewonnen, sagt Degen. "Ich promoviere und danach mache ich mein Referendariat als Sonderschullehrer." Eine Rückkehr in den Landtag kann er sich dennoch gut vorstellen.

Parteispitze will Kapitel abschließen

Auch die ehemalige Landeschefin und ihr Nachfolger dürften sich durch Zastrows Ausführungen bestätigt sehen. Öffentlich nachtreten wollen jedoch weder Thorsten Schäfer-Gümbel noch Andrea Ypsilanti. Beide stehen am Montag nicht für Interviews bereit. Auch der Generalsekretär Michael Roth sagt lediglich, er werte die Berichterstattung als "wichtige Korrektur zahlreicher Falschdarstellungen und Manipulationen der vier ehemaligen Abgeordneten".

Die Parteiführung sieht keinen Vorteil darin, die Schlammschlacht des vergangenen Jahres fortzusetzen. Das Kapitel sei "politisch abgeschlossen", sagt Roth.

Doch so sehr sich die Genossen bemühen - es wird ihnen kaum gelingen, die Debatte kleinzureden. Es wird weiter diskutiert über die Deutungshoheit der Geschehnisse am 3. November 2008 und davor. Wer hat Schuld an der geplatzten Regierungsübernahme, wie wurden Kritiker in der hessischen SPD behandelt - und wer hat wann angedeutet, die Zusammenarbeit mit der Linkspartei nicht mittragen zu wollen?

Everts und Walter wehren sich gegen Vorwürfe

Carmen Everts und Jürgen Walter wehren sich gegen die Darstellung Zastrows. Dieser zeichne "ein sehr einseitiges Bild", bei dem die Darstellung ihres "inneren Kampfes über viele Monate" völlig fehle und das ihrer Zerrissenheit nicht entspreche. Die Aufregung über das "angebliche Geheimtreffen" würden sie nicht verstehen, sagen Everts und Walter. "Es wird ja geradezu der absurde Eindruck erweckt, als ob wir beide den zweiten Anlauf erfunden hätten, dabei wusste jeder in Wiesbaden, dass dieser von anderen längst in Planung und auf dem Weg war."

Die Parteirebellen sehen sich nun neuen Attacken ausgesetzt: Ein langjähriger Mitstreiter Ypsilantis erhebt angesichts der hochkochenden Debatte schwere Vorwürfe. "Die Vier brauchen psychologische Beratung. Unter dem Deckmantel von Politik haben sie Persönlichkeitsstrukturen und persönliche Befindlichkeiten ausgetragen und haben damit die SPD ins Verderben gestürzt."

Klar ist: In den letzten beiden Jahren sind tiefe Verletzungen innerhalb der hessischen SPD entstanden. Diese zu überwinden, ist Schäfer-Gümbels Aufgabe. Doch die Debatte über die vier Abweichler wird weitergehen. Dafür sorgt nicht zuletzt Volker Zastrows Buch.

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