Aufbau Ost Klamme Städte im Ruhrgebiet wollen Solidarpakt kündigen

Geschlossene Schwimmbäder, kaputte Straßen, marode Gebäude. Seit Jahren leiden viele Kommunen unter massiven Schulden. Die Oberbürgermeister besonders betroffener Städte im Ruhrgebiet wollen nun den Solidarpakt für den Aufbau Ost kündigen.
Gasometer in Oberhausen: "Schluss mit der Verteilung nach Himmelsrichtung''

Gasometer in Oberhausen: "Schluss mit der Verteilung nach Himmelsrichtung''

Foto: Roland Weihrauch/ picture-alliance/ dpa

München - 156 Milliarden Euro Finanzhilfen sollen ostdeutsche Länder von 2005 bis 2019 durch den Solidarpakt II erhalten. Bund, Länder und Kommunen im Westen bezahlen, unabhängig von ihrer eigenen Finanzsituation. Gerade in Nordrhein-Westfalen ist die Situation in vielen Städten und Gemeinden dramatisch, nur acht von 400 Kommunen weisen einen ausgeglichenen Haushalt aus.

Die Stadt Essen etwa ist mit 2,1 Milliarden Euro verschuldet, ein Drittel davon wurde nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" durch die Beiträge für den Solidarpakt verursacht. Demnach nahm Duisburg in den vergangenen Jahren Kredite im Wert von einer halben Milliarde Euro auf, um die Finanzhilfen für den Osten zu bezahlen. In Oberhausen, der am höchsten verschuldeten Stadt Deutschlands, sind es 270 Millionen Euro. "Es muss Schluss sein mit der Verteilung nach Himmelsrichtung'', fordert Oberbürgermeister Wehling.

Gut 21 Jahre nach der Wiedervereinigung begehren viele Oberbürgermeister hochverschuldeter Städte des Ruhrgebiets gegen den Solidarpakt für den Aufbau Ost auf. Und das mitten im Landtagswahlkampf. "Der Solidarpakt Ost ist ein perverses System, das keinerlei inhaltliche Rechtfertigung mehr hat", sagte Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) der "SZ". Es sei nicht mehr zu vermitteln, dass die armen Städte des Ruhrgebiets sich hoch verschulden müssten, um ihren Anteil am Solidarpakt aufzubringen.

Der Gelsenkirchener Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD), forderte eine Bundesratsinitiative zur Abschaffung des Solidarpakts. "Wir können nicht bis 2019 warten", sagte er der "SZ". 2019 läuft der Solidarpakt Ost aus. Sein Dortmunder Kollege Sierau erklärte: "Der Osten ist mittlerweile so gut aufgestellt, dass die dort doch gar nicht mehr wissen, wohin mit dem Geld. Und bei uns im Ruhrgebiet brennt der Baum."

Die Solidaritätskeule zu spüren bekommen

Baranowski sagte, es sei an der Zeit, sich auf die Problemregionen im Westen zu konzentrieren. "Die Not ist hier viel größer. Das Ruhrgebiet braucht mehr Investitionen in Infrastruktur und Bildung.'' Ziel des Pakts sei die Angleichung der Infrastruktur des Ostens an das Niveau in Westdeutschland gewesen. "Das ist viel schneller erreicht worden, als wir uns das vorgestellt haben'', so Baranowski. Wer in den vergangenen Jahren über die Zukunft des Solidarpakts diskutieren wollte, habe die "Solidaritätskeule" zu spüren bekommen. "Wer den Soli kritisierte, wurde als Feind der Einheit dargestellt", klagte der Gelsenkirchener Oberbürgermeister. "Diejenigen, die den Soli erhalten wollen, müssen sagen, wo sie uns an anderer Stelle entlasten wollen. Sonst sparen wir uns noch kaputt."

Oberhausens Oberbürgermeister Klaus Wehling (SPD) sagte der Zeitung, während in seiner Stadt Einrichtungen schließen müssten, sanierten die Kommunen im Osten ihre Etats. Und Essens Oberbürgermeister Reinhard Paß (SPD) sagte: "Der Solidaritätspakt ist nicht mehr zeitgemäß." Künftig müsse die finanzielle Situation als Kriterium für die Hilfe entscheidend sein.

Umgehend regt sich Widerstand auf Landesebene. Nordrhein-Westfalens CDU-Fraktionsvize Armin Laschet will am Solidarpakt festhalten. Es sei wichtig, Vereinbarungen einzuhalten, das gebe Planungssicherheit, sagte er am Dienstag im Deutschlandfunk. Auf Dauer dürfe man aber "nicht nach Geografie" Geld verteilen - das müsse nach Bedürftigkeit geschehen. Deshalb will er den laufenden Solidarpakt nicht vorzeitig aufkündigen. Allerdings sprach er sich dafür aus, den nächsten anders zu verhandeln.

Kämmerer bekommen kaum noch Kredit

Schlechte Nachrichten für die verschuldeten Städte kommen auch von Seiten der Banken. Die Städte könnten in den kommenden Jahren Probleme bei der Aufnahme neuer Kredite bekommen, berichtet die "Financial Times Deutschland". Demnach spielten viele Banken das Szenario möglicher Stadtpleiten durch. "Gemessen an ihrer Leistungsfähigkeit sind die Schulden vieler Kommunen gigantisch", zitierte das Blatt einen nicht genannten Manager einer Frankfurter Großbank. Der Ausfall von Krediten sei künftig nicht auszuschließen.

Der "FTD" zufolge wird es für die Kämmerer immer schwieriger, einen Kreditgeber zu finden. Klassische europäische Städtefinanzierer wie die Pleitebanken Dexia und Depfa hätten sich aus dem Geschäft zurückgezogen. Private Geldhäuser wie die Commerzbank führen die Kommunaldarlehen herunter. Der Kommunalfinanzierer der Düsseldorfer Genossenschaftsbank WGZ gebe klammen Kommunen grundsätzlich keine Kredite mehr. Und die staatliche Förderbank KfW habe beschlossen, ihre Darlehen auf 750 Euro pro Einwohner zu deckeln, heißt es in dem Artikel weiter.

ler/dapd
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