Neuer Geheimdienstskandal Die willigen Helfer vom BND

BND-Chef Schindler vor Abhöranlagen der NSA (Archivbild): Viele Fragen zu klären
Foto: MICHAELA REHLE/ REUTERSSo viel Auflauf wie am Donnerstagnachmittag herrschte lange nicht mehr beim NSA-Untersuchungsausschuss im Bundestag. Kamerateams drängeln sich um die besten Plätze, die Handys der Journalisten klingeln Sturm. Alle warten, dass die Mitglieder des Ausschusses vor die Mikrofone treten. Jeder will wissen, was dran ist am neuen Skandal beim Bundesnachrichtendienstes (BND), den der SPIEGEL am Mittag publik gemacht hatte.
Die Reaktionen der Politiker sind heftig. Clemens Binninger, für die CDU im Geheimdienstkontrollgremium, spricht noch abstrakt von "sehr schwerwiegenden" Vorwürfen. Sein Kollege André Hahn von den Linken wittert schon Landesverrat durch den BND. Und so geht es weiter: Die Linken sprechen außerdem von einem "Spionage-Skandal sondergleichen", die SPD sieht Hinweise auf Wirtschaftsspionage durch die USA, die Grünen auf ein gefährliches Eigenleben beim BND.
Es hatte eine Weile gedauert, bis die Mitglieder des NSA-Ausschusses die Tragweite der aktuellen Entwicklung erfasst hatten. Während der Zeugenvernehmung eines Beamten aus dem Kanzleramt reichten sie sich am Morgen zunächst ungläubig Handys herum. Das war kurz nach der Veröffentlichung des SPIEGEL-Berichts.
Wenig später wurde die Sitzung unterbrochen, der Zeuge nach Hause geschickt. Stattdessen wollte der Ausschuss nun den Chef des Kanzleramts, Peter Altmeier, sprechen. Er steht formal dem BND vor.
Was Altmeier schon am Abend zuvor den Obleuten des Ausschusses und dem Geheimdienst-Kontrollgremium gestanden hatte, ist in der Tat Stoff für eine neue BND-Affäre: Jahrelang hat der Dienst auf Wunsch der amerikanischen NSA seine eigenen Daten aus der elektronischen Überwachung von Telefon- und Internetverkehr nach sogenannten Selektoren, also Telefonnummern, E-Mail- oder IP-Adressen, durchsucht und den US-Partnern die gefundenen Überwachungsdaten weitergeleitet. Die Suchbegriffe kamen aus den USA.
Kontrolliert, was die Amerikaner da im deutschen Datenfundus suchten, wurde allerdings kaum. Bis heute hatte der BND behauptet, man schaue sich die Suchbegriffe der Amerikaner genau an, schließlich gebe man sie ja im zentralen Horch-Zentrum im bayerischen Bad Aibling selbst ein. Erst dann würden die Datenbanken durchsucht. Bei Tausenden solcher Selektoren aus den USA, aktuell ist sogar von bis zu 40.000 die Rede, klingt das reichlich unwahrscheinlich.
Erst als der Ausschuss, ins Leben gerufen nach den Snowden-Enthüllungen, es genauer wissen wollte, wurde der Freundschaftsdienst des BND von einer Task-Force genau durchleuchtet.
Schon 2008 die ersten Unregelmäßigkeiten
Und der Skandal nahm seinen Lauf: Bei der Kontrolle stellte diese Task-Force schon im Herbst 2013 fest, dass die Amerikaner mit ihren Anfragen nicht nur Terrorkommandeure oder Bombenbauer suchten. Sondern offenbar auch Informationen über Wirtschaftsriesen wie den Rüstungskonzern EADS oder von Politikern aus der EU abgegriffen haben sollen. Der Ausschuss erfuhr davon bis heute nichts.
Die internen Nachforschungen brachten sogar ans Licht, dass die Zweifel an den US-Wünschen nicht neu waren. Spätestens 2008 hatte die zuständige Abteilung Auffälligkeiten entdeckt, diese aber angeblich nie an die Hausspitze gemeldet. Auch das für die Kontrolle des BND zuständige Kanzleramt erfuhr von dem Vorgang erst kürzlich: Im März 2015 wandte sich BND-Präsident Gerhard Schindler mit der peinlichen Enthüllung, dass Tausende US-Filterdaten gegen die vereinbarten Regeln verstoßen, an seine Berliner Vorgesetzten.
Eigentlich ein Rücktrittsgrund
Für Schindler wird es nun ungemütlich. Noch am Donnerstag gab das Kanzleramt eine seiner seltenen Presseerklärungen zu Geheimdienstfragen heraus. Darin fordert das Kontrollorgan vom BND eine vollständige Aufklärung des "komplexen Sachverhalts", konstatiert aber schon jetzt "technische und organisatorische Defizite beim BND", die es umgehend zu beheben gelte. Die Worte klingen nüchtern, doch im Hintergrund kritisieren die verantwortlichen Beamten das lange Schweigen des BND-Chefs scharf.
An den Nachrichtendienst richten sich drängende Fragen. Schindler will von den skandalösen Vorgängen in Bad Aibling zwar erst im März erfahren haben und sofort das Kanzleramt unterrichtet haben. Doch selbst wenn man dieser Version glaubt, wird es eng für ihn. Eine Vertuschung in der für den BND extrem wichtigen Einheit in Bad Aibling würde zeigen, dass Schindler seinen Laden nicht unter Kontrolle hat. Ein Eigenleben in der Schnittstelle zur NSA - es wäre ein Rücktrittsgrund erster Klasse.
Der NSA-Ausschuss will sich nun intensiv um Aufklärung bemühen. Verständlicherweise forderten die Abgeordneten vom Kanzleramt umgehend die Herausgabe der von den USA übermittelten Selektoren. Nur an ihnen kann man ablesen, welche Ziele der US-Dienst mit den BND-Daten wirklich verfolgte.
Ob die Daten jedoch je eingesehen werden können, ist ungewiss. Die Bundesregierung hat zwar in den USA angefragt, ob man die Listen dem Ausschuss geben könne. Grünes Licht aus Washington aber gibt es noch nicht.