Bundespräsidenten-Wahl Wie die Professorin die SPD überzeugte

Horst Köhler hat sich erklärt, nun zieht die SPD nach: Gesine Schwan wird wohl als Gegenkandidatin bei der Bundespräsidentenwahl antreten - trotz der Bedenken der Parteispitze. Sie selbst half mit Eigen-PR kräftig nach.

Berlin - Das Ambiente ist wenig feierlich, eher nah bei den Menschen. Studenten hocken vor der Mensa im Schneidersitz auf dem Boden, und mittendrin tänzelt Gesine Schwan zu den Klängen eines Orchesters. Es ist der 65. Geburtstag der scheidenden Uni-Präsidentin, und sie lacht ihr Lachen, als der Oberbürgermeister von Frankfurt an der Oder ihr "viel, viel Unruhe" in den kommenden Jahren wünscht.

Schwan ist noch besser gelaunt als sonst. Hunderte sind zur Geburtstagsfeier in der Viadrina-Universität in Frankfurt an der Oder erschienen. Altkanzler Gerhard Schröder hat bereits am Morgen gratuliert - per Zeitungsbeitrag. Und so wie es aussieht, wird die SPD ihr den größten Geburtstagswunsch erfüllen: Schwan darf nächstes Jahr zum zweiten Mal gegen Horst Köhler zur Bundespräsidentenwahl antreten.

SPD-Chef Kurt Beck und Generalsekretär Hubertus Heil betonten zwar heute, der Parteivorstand werde erst am kommenden Montag entscheiden. Aber wie das Gremium abstimmen wird, ist längst kein Geheimnis mehr. Der Beschluss sei nur noch Formsache, heißt es in Parteikreisen.

Steinmeier: Gegenkandidatur "nicht verwerflich"

Biszum kommenden Montag haben sich die führenden Genossen zum Schweigen verpflichtet. Doch brachen die ersten schon heute dieses Gelübde. Parteivize Frank-Walter Steinmeier sagte, eine Gegenkandidatur sei in einer Demokratie "nicht verwerflich". Die SPD-Landesvorsitzenden von Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sprachen sich für eine Kandidatur Schwans aus. Weitere Solidaritätsbekundungen sind am kommenden Wochenende zu erwarten.

Die Debatte um Schwan kam scheinbar aus dem Nichts. Noch vor wenigen Wochen gingen die meisten Beobachter in Berlin davon aus, dass die SPD Horst Köhler mitwählen werde. Dann meldeten einige sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete via SPIEGEL Bedenken an und brachten den Namen Schwan ins Spiel. Seitdem gewann der Schwan-Express so rasant an Fahrt, dass die Parteispitze aufschreckte. Parteichef Beck sowie seine Vizes Steinmeier und Steinbrück, die auf Köhlers Wiederwahl gesetzt hatten, beeilten sich, auf den Zug aufzuspringen. Nun ist es bereits eine Frage des "Selbstbewusstseins der SPD", wie Beck es formulierte.

Schwan telefonierte herum

So unaufhaltsam die Kandidatur inzwischen scheint - ein Selbstläufer war sie nicht. Vielmehr steuerte Schwan selbst nach Kräften mit. Nach außen tat sie zwar so, als beobachtete sie die Debatte nur. Doch schon Wochen vor dem entscheidenden Treffen der Parteiführung im Potsdamer Cecilienhof überließ Schwan nichts dem Zufall: Systematisch telefonierte sie alle wichtigen Leute in der Partei ab und kündigte ihr Interesse an. Man habe es mit einer "sehr umtriebigen Kandidatin" zu tun, sagt einer der Angerufenen.

Einen der eifrigsten Helfer hatte Schwan in dem SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy. Der sprach schon vor Monaten andere Abgeordnete der SPD-Fraktion an und warb dafür, Schwan gegen Köhler ins Rennen zu schicken. Erste Unterstützer fand er in der SPD-Gruppierung Netzwerk, die er einst mitgegründet hatte. Aber auch auf dem linken Flügel rannte Edathy offene Türen ein. "Köhler ist in der Fraktion unbeliebt", sagt ein Abgeordneter. Den Kandidaten von Union und FDP zu unterstützen, wäre zudem ein "Signal der Mutlosigkeit" gewesen.

"Positive Assoziation für 2009"

Mit der eigenen Kandidatin hingegen will die SPD die eigene Depression überwinden und endlich das Verlierer-Image loswerden. Die Professorin, die schon 2004 die Deutschen mit ihrem Charisma einzunehmen wusste, soll neue Begeisterung in der Partei entfachen. "2009 fängt dann mit einer positiven Assoziation an", erklärt ein Parteistratege.

Die wütenden Reaktionen aus den Reihen von Union und FDP verstärken die Entschlossenheit der Sozialdemokraten eher noch. Die SPD werde sich keine Vorschriften von anderen Parteien machen lassen, verkündete SPD-Generalsekretär Hubertus Heil heute trotzig. "Selbstverständlich" habe eine so traditionsreiche Partei wie die SPD das Recht, eine eigene Kandidatin aufzustellen.

Der Sinneswandel kommt plötzlich: Noch vor wenigen Tagen hatte es geheißen, Beck könne sich so ein Manöver gar nicht leisten. Eine Schwan-Kandidatur wäre ein Signal für Rot-rot-grün, und das wollte Beck nach dem Hessen-Debakel eigentlich kein zweites Mal senden. Zwar hatte Beck sich nie öffentlich auf Köhler festgelegt. Doch kann er kaum behaupten, alles laufe nach Plan. Die engere Parteiführung wurde von den Schwan-Rufen aus der Partei überrascht und gibt nun nach. Darin zeige sich Becks Gespür für die Parteiseele, heißt es beschönigend in der Parteizentrale.

Seeheimer Kreis uneins

Längst nicht alle sind überzeugt von der heilsamen Wirkung einer Schwan-Kandidatur. Verheerend sei der Eindruck, den die SPD mit dieser Debatte hinterlasse, sagt ein führender Genosse. Wieder einmal werde ein Nebenkriegsschauplatz für zu wichtig genommen. Die chaotische Kandidatenkür zeige, dass der SPD ein strategisches Zentrum fehle.

Auch der konservative Seeheimer Kreis, dem Schwan zugerechnet wird, kann sich bisher nicht zu einer einheitlichen Meinung durchringen. Während ältere Seeheimer-Frauen wie Susanne Kastner und Barbara Hendricks sich intern für Schwan stark gemacht haben, hüllen sich die jungen Sprecher des Kreises, Johannes Kahrs und Klaas Hübner, in auffälliges Schweigen. Parteifreunde vermuten, dass sie ihren Gesinnungsgenossen Frank-Walter Steinmeier nicht brüskieren wollen. Der als Kanzlerkandidat gehandelte Außenminister fürchtet das Signal für Rot-rot-grün ganz besonders, weil es ihm den Bundestagswahlkampf erschweren könnte.

Schwan lässt sich von den Bedenkenträgern ihrer Partei jedoch die Laune nicht verderben. Als der Abgesandte der Universität Posen ihr bei der Feier einen Elefanten zum Geburtstag überreicht, übersetzt sie dessen Glückwünsche fürs Publikum. Viel Glück "für die heutigen neuen Herausforderungen" habe der Pole ihr gewünscht, sagt sie. Und setzt verschmitzt hinzu: "Wie immer man das interpretieren mag".

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren