Bundespräsidenten-Wahlkampf Demokratie-Stunde mit SPD-Kandidatin Schwan
Frankfurt/Oder - Natürlich könnte man es für einen Zufall halten.
Die Professorin ist eben eine besonders engagierte Vortragende, "so was passiert mir immer mal", sagt sie. Aber dass Gesine Schwan genau in dem Moment so sehr mit dem Arm wedelt und damit das halbvolle Wasserglas vom Redner-Pult befördert, als sie von ihrer Zuneigung für Lothar Bisky spricht?
Schließlich liegt ihre berufliche Zukunft nicht zuletzt in der Hand des freundlichen Parteichefs der Linken. Von den Wahlleuten seiner Partei wird es abhängen, ob Gesine Schwan, die Kandidatin von SPD und Grünen, tatsächlich Horst Köhler im Bundespräsidenten-Amt ablösen wird.
Natürlich würde Gesine Schwan gerne. Aber bis zur Wahl im Herbst kommenden Jahres geht einige Zeit ins Land. Jetzt ist sie erst mal noch ein paar Wochen Präsidentin der Viadrina-Universität in Frankfurt/Oder, und deshalb steht Schwan hier an diesem schwül-frühsommerlichen Abend und doziert. Dabei trägt sie wieder einmal groß auf, optisch, heute ein sehr rotes Kostüm, darunter schwarze Bluse. Farblich würde sich in Bellevue jedenfalls einiges ändern.
"Good Governance. Die Zukunft demokratischer Politik". So heißt das Thema, mit dem sie ihre vierteilige Abschiedsvorlesung einleitet. Natürlich war das schon lange geplant, bevor Andrea Nahles und einige linke Freunde in der SPD Parteichef Kurt Beck davon überzeugten, Schwan nach ihrer Kandidatur 2004 noch einmal ins Rennen um das Bundespräsidenten-Amt zu schicken.
Aber auch das ist ein schöner Zufall.
Das findet übrigens auch ihr persönlicher Referent. "Ist er nicht nett", sagt seine Chefin, nachdem der junge Mann in der ersten Reihe wegen ihres Malheurs aufgesprungen ist, mit einer Packung Taschentücher in der Hand. Sie richtet das Glas wieder auf, wischt die Tropfen von Holz und Bluse. Und dann ist sie auch schon wieder beim Thema, bei "Montesquieu und der Gleichheit in der Politik " Denn so ist Schwan überhaupt auf Bisky gekommen, wegen der aus ihrer Sicht beneidenswerten Gleichheits-Tradition der skandinavischen Staaten. Nicht einverstanden ist sie hingegen, wenn manche im Osten Deutschlands damit ihre DDR-Traditionen romantisch verbrämen.
Obwohl es sehr akademisch zugeht, im Hörsaal 1 des "Gräfin-Dönhoff"-Gebäudes, kann man dennoch erkennen, warum Gesine Schwan sich in dieser Region so viele Freunde gemacht hat: Weil sie klar ihre Meinung sagt, auch wenn es nicht opportun ist - aber dabei nie überheblich wirkt.
Dafür schätzt man Schwan an der Grenze zu Polen, auf der anderen Seite der Oder ebenso. Weil sie so die örtliche Universität, und damit ein bisschen auch die Region, wieder aufgemöbelt hat. Zu dieser Beharrlichkeit kamen ihre Kontakte, die unter Gerhard Schröder direkt bis ins Kanzleramt reichten. Polen-Beauftragte der Bundesregierung ist sie immer noch. Aber bald ist eben Schluss in Frankfurt/Oder. Sie ist 65.
Und nach wie vor sehr ehrgeizig.
Eigentlich verbietet sich ein Wahlkampf um Schloss Bellevue - doch in Wirklichkeit sind der Bundespräsident und seine Herausforderin schon mittendrin. Köhlers Berliner Rede vom Dienstag war zu Teilen sein Vorsprechen für eine zweite Amtszeit. Und genauso wird nun bei Gesine Schwan ganz genau hingehört.
Ihre These, wonach die Demoskopie in der repräsentativen Demokratie eigentlich nichts zu suchen habe, weil die Abgeordneten eben nicht den verlängerten Arm des Volks darstellten - das dürfte mancher im Willy-Brandt-Haus gerne hören. Aber dass die deutsche Sozialdemokratie mies da steht, stimmt in jedem Fall - ob man jetzt auf die 20 Prozent in den letzten Umfragen linst oder nicht.
Schwan könnte, das wünschen sich führende Parteifreunde, daran etwas ändern. Mit ihrer Schnoddrigkeit, ihrer Direktheit, ihrer klaren Sprache. Die ist selbst in einer Vorlesung noch deutlich fesselnder als die Phrasen des Bundespräsidenten. Und: Gesine Schwan kann tatsächlich über eine Stunde lang frei sprechen - ohne Hilfe eines Teleprompters wie Köhler bei seiner Berliner Rede.
Geschenkt, dass Gesine Schwan einmal Chruschtschow mit Gorbatschow verwechselt oder sich mitunter in Details verliert. Und auch, wenn die Kandidatin davon berichtet, wie gerne sie in Berlin nach den abendlichen TV-Terminen S-Bahn fahre, "obwohl mich die Leute da in den letzten Wochen immer ganz überrascht anschauen, aber das ist doch ein prima Verkehrsmittel". Wenngleich es doch ein klein wenig anbiedernd wirkt - ob sie wohl auch die Staatsgäste per Bus und Bahn vom Flughafen abholen würde?
Aber genau darin liegt ihre Chance: Sie ist der Underdog. Und weil Köhler gar nicht so weit weg von den Leuten ist, wie manche denken - deshalb hat er so hohe Zustimmungsraten - muss sie noch näher ran. Auch das liegt ihr, Schwan ist ziemlich gut im Nahdran-Sein. An diesem Abend umarmt und küsst sie vor ihrem Vortrag Studenten, Bekannte und Mitarbeiter. Danach geht es gerade so weiter.
Energie, so scheint es, hat diese Frau mehr, als im Moment ihre ganze Partei. Und dass Gesine Schwan Deutschlands nächste Bundespräsidentin wird, scheint in der Tat um einiges realistischer, als ein SPD-Mann im Kanzleramt. So wirkt auch die Zuversicht der Kandidatin einigermaßen glaubwürdig. "Die Demokratie ist ein Thema, das mich mein ganzes Leben beschäftigt hat", sagt sie. "Und es wird mich wohl auch künftig beschäftigen."
Dann aber anders.