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Joachim Gauck: Bürgerrechtler für Bellevue

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Bundespräsidentenwahl Gauck kritisiert Parteiengeschacher

Kanzlerin Merkel hat Christian Wulff als neuen Bundespräsidenten auserkoren, doch seine Wahl ist keinesfalls sicher. Der CDU-Politiker wirbt nun um schwarz-gelbe Geschlossenheit. Sein Rivale Gauck geht auf überparteiliche Stimmenjagd - und erhält unerwartete Schützenhilfe aus der CSU.

Joachim Gauck

Berlin - Der Bundespräsidentenkandidat von SPD und Grünen, , warnt vor Parteiengeschacher um das höchste Staatsamt. "Es geht in dem Amt, für das ich kandidiere, darum, Mut zu machen und zu versöhnen. Deshalb ist es gut, wenn der Bundespräsident mitten aus dem Volk kommt. So wichtig Parteien sind, dieses Amt sollte keine Beute von Parteien sein", sagte Gauck der "Bild am Sonntag".

In der CSU gibt es derweil tatsächlich Überlegungen zur Direktwahl. Der Chef der Grundsatzkommission und Europapolitiker Manfred Weber sagte: "Der Bundespräsident hat gerade in Krisenzeiten eine wichtige Rolle, er entfaltet vor allem seine Wirkung, wenn die Menschen Orientierung brauchen", so der Vizefraktionschef der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament.

"Ich glaube, dass man ernsthaft über eine Direktwahl des Bundespräsidenten nachdenken sollte", so Weber. "Für die gesellschaftliche Ausrichtung ist das Amt von großer Bedeutung. Die Bundespräsidenten übernehmen ohnehin immer stärker die Rolle von Bürgerpräsidenten." Daher glaube er, dass die Bürger stärker an der Auswahl des Staatsoberhaupts beteiligt werden sollten. "Wir sollten uns überlegen, unter welchen Voraussetzungen eine Direktwahl möglich wäre."

"Ich habe die Gabe, Menschen zu ermutigen"

Bewerber Gauck, ehemaliger Chef der Stasi-Unterlagen-Behörde, hätte gegen diese Variante wohl nichts einzuwenden, er ist überzeugt, dass er dann gute Chancen hätte. "Ich habe die Gabe, Menschen zu ermutigen und sie dazu zu bringen, sich nicht von ihrer Angst bestimmen zu lassen. Wir sind geschaffen, für die Gemeinschaft Verantwortung zu übernehmen und nicht nach dem Prinzip 'Ich darf alles' zu leben."

Seine Nominierung begreift der ehemalige DDR-Bürgerrechtler als "Signal der Öffnung". Zugleich räumte er Differenzen zu SPD und Grünen ein. Er wisse, "dass in beiden Parteien auch linke Positionen vertreten werden, die nicht völlig zu meinen politischen Grundüberzeugungen passen", so Gauck. Für ihn sei der Wert der Freiheit von allergrößter Bedeutung. Das sehe man im linken Spektrum zuweilen ganz anders, weil dort Werte wie Solidarität und staatliche Fürsorglichkeit vertreten würden.

Zur schwierigen Haushaltssituation und der Staatsverschuldung sagte Gauck, es sei nicht zu erwarten, dass Politiker die Motoren dieser "dringend notwendigen öffentlichen Debatte sein werden". Die Politik müsse lernen, deutlich über den nächsten Wahltermin hinauszudenken. Es sei Aufgabe der Bürger und Intellektuellen, Schwung in diese Diskussion zu bringen. Die Politik stehe öffentlichen Konflikten ungeheuer furchtsam gegenüber.

Wulff geht nicht von sicherem Sieg aus

Gaucks Konkurrent, der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff, geht trotz der Mehrheit von Union und FDP in der Bundesversammlung nicht von einem sicheren Sieg bei der Wahl zum Staatsoberhaupt am 30. Juni aus. "Es kommt auf die Geschlossenheit von CDU, CSU und FDP an. Sicher bin ich mir erst, wenn die Mehrheit verkündet ist", sagte er der "BamS", trotz Parteibindung betrachte er sich als "breit wählbar". In ostdeutschen FDP-Landesverbänden gibt es Kritik an der Nominierung Wulffs und Sympathie für Gauck.

"Mit Wulff, von der Leyen, Lammert und Schäuble standen von Anfang an nur CDU-Parteisoldaten zur Auswahl", kritisierte Thüringens FDP-Generalsekretär Patrick Kurth im SPIEGEL die Kandidatenkür. "Die Parteiführung muss deutlich machen, welche strategischen Vorteile die Kür Wulffs für uns bringt." Sein Landesverband habe noch nicht entschieden, ob er Wulff oder den Gegenkandidaten Gauck unterstütze. In Sachsen sieht man es ähnlich.

"Es gibt von uns keinen Freibrief für einen Kandidaten", sagte auch der sächsische FDP-Parteichef Holger Zastrow dem SPIEGEL. Zwar seien beide vorstellbar, doch spreche Gauck die ostdeutsche Seele besonders an. Der Kandidat der Opposition sei "sehr respektabel" und "eine Identifikationsfigur für die Wende in Ostdeutschland".

"Überparteilich und bürgernah"

Der niedersächsische Ministerpräsident fühlt sich durch seine Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten von Union und FDP geehrt: "Die Perspektive für ein solches Amt eröffnet zu bekommen, zeugt von großem Vertrauen und ist eine Ehre." Einen guten Bundespräsidenten zeichnet nach Ansicht Wulffs die Nähe zu den Menschen aus: "Er muss überparteilich, bürgernah sein und zuhören können."

Einer Emnid-Umfrage zufolge liegt Wulff in der Gunst der Bevölkerung nur knapp vor Gauck. 41 Prozent der Bundesbürger sind danach für den niedersächsischen Ministerpräsidenten als nächstes Staatsoberhaupt. 32 Prozent sind für Gauck. Nach Überzeugung von 83 Prozent der Bundesbürger wäre es besser gewesen, Horst Köhler wäre im Amt geblieben. Nur elf Prozent fanden das nicht. Emnid hatte am Freitag insgesamt 501 Personen befragt.

Selbst Unionspolitiker äußerten Sympathien für Gauck. Der langjährige brandenburgische CDU-Vorsitzende Jörg Schönbohm stellte im SPIEGEL die Frage, warum es nicht möglich gewesen sei, "sich im bürgerlichen Lager mit der SPD auf Gauck zu einigen". Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) würdigte Gauck in der "Bild am Sonntag" als "seriösen und intelligenten Mann mit großen Verdiensten".

Dessen ungeachtet will die Linke Anfang der Woche einen eigenen Kandidaten vorstellen. Der Linkspartei-Vorsitzende Klaus Ernst sagte in der "Thüringer Allgemeinen", mit höchster Wahrscheinlichkeit werde eine Frau nominiert. Die Parlamentsgeschäftsführerin der Linken im Bundestag, Dagmar Enkelmann, sprach sich hingegen in der "Rheinpfalz am Sonntag" für einen Verzicht auf einen eigenen Kandidaten aus.

jdl/ddp/AFP/dpa
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