
Bundespräsidentenwahl: Machtkampf in der Linken
Bundespräsidentenwahl Linke sucht Ausweg aus Kandidaten-Dilemma
Hamburg - Montagmorgen, 10 Uhr, Karl-Liebknecht-Haus, Kleine Alexanderstraße 28 in Berlin-Mitte - das ist der Termin, vor dem es derzeit vielen Linken graut. In der Parteizentrale wollen die Genossen eine endgültige Entscheidung in der Frage treffen, die intern bei vielen nur noch als "verfahrene Kiste" gilt: Wie hält es die Linke mit der Bundespräsidentenwahl?
Mit schlechter Stimmung plagt sich die Partei wegen dürftiger Umfragewerte und mehrerer Wahlniederlagen schon länger herum, aber selten war die Atmosphäre so vergiftet wie in diesen Tagen. Das unglückliche Taktieren bei der Suche nach einem möglichen Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl am 18. März lässt so manchen Genossen an der Zurechnungsfähigkeit der eigenen Partei zweifeln: "Wir hatten einen sicheren Elfmeter vor uns liegen - und was ist daraus geworden? Wir haben uns den Ball ins eigene Tor gejagt", sagt einer.
Das Dilemma: Die Linke verfügte zuletzt mit der Nazi-Jägerin Beate Klarsfeld, 73, dem Armutsforscher Christoph Butterwegge, 61, und der Bundestagsabgeordneten Luc Jochimsen, 75, gleich über drei mögliche Kandidaten gegen Joachim Gauck. Am Sonntagabend sagte dann Butterwegge ab: "Ich stehe nicht zur Verfügung, weil ich morgen Vormittag nicht in eine Kampfabstimmung gegen zwei so honorige Persönlichkeiten reingehen will."
Versuch der Schadensbegrenzung
Zuvor hatte SPIEGEL ONLINE aus Parteikreisen berichtet, dass in der Linken nach Möglichkeiten zur Schadensbegrenzung gesucht wurde. Dazu wurde offenbar überlegt, zwei von drei Bewerbern zum Rückzug zu bewegen, um unwürdige Kampfkandidaturen zu verhindern. Auch der komplette Verzicht auf eine eigenen eigenen Kandidaten samt Boykott der Bundespräsidentenwahl war demnach im Gespräch.
Diese Variante hatte zuletzt Jochimsen ins Spiel gebracht. Die Linke sei "von der ersten Minute an vom Auswahlprozess des nächsten Bundespräsidenten systematisch und undemokratisch ausgeschlossen worden. Wieso sollen wir dann am Schluss mitspielen?" Damit kritisierte Jochimsen die Entscheidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die Linke nicht zu den Parteiengesprächen zur Suche nach einem Konsenskandidaten einzuladen.
Jochimsen, so ist es in Kreisen der Linken zu hören, will nicht um jeden Preis für das höchste Staatsamt antreten. Sie hat sich demnach lediglich von Parteifreunden überreden lassen. Die frühere Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks war bereits bei der Bundespräsidentenwahl 2010 die Kandidatin ihrer Partei.
"Schwer nachvollziehbar und ausgesprochen kleingeistig"
In der Linken gibt es sehr unterschiedliche Sichtweisen dazu, wer die Kandidatenposse der Genossen zu verantworten hat. Kritiker von Gesine Lötzsch werfen der Parteichefin unprofessionelles Vorgehen vor. Die Berlinerin hatte in einer Rede auf dem Parteitag der Brandenburger Linken am 19. Februar ohne Rücksprache die Nazi-Jägerin Klarsfeld als ihre Wunschkandidatin ins Spiel gebracht. Klarsfeld erfuhr davon durch einen Zeitungsbericht, meldete sich bei Lötzsch und erklärte in dem Gespräch ihre Bereitschaft.
Die Personalie stieß bei vielen Linken auf große Zustimmung, trotzdem scheiterte vergangenen Donnerstag der Versuch einer Einigung, überraschend wurden in einer Parteisitzung auch die möglichen Kandidaten Butterwegge und Jochimsen ins Spiel gebracht: Die Entscheidung über einen Gauck-Herausforderer hat sich in der Linken zu einem Machtkampf entwickelt, so galten unter anderem Lafontaine und Lötzschs Co-Chef Klaus Ernst zunächst als Unterstützer des Kölner Hochschullehrers.
Befürworter einer möglichen Kandidatur von Klarsfeld machen unter anderem Lafontaine und Ernst für die verfahrene Situation verantwortlich. Es sei "schwer nachvollziehbar und ausgesprochen kleingeistig" gewesen, Lötzschs Personalvorschlag zu durchkreuzen, sagte ein einflussreicher Linker SPIEGEL ONLINE. Klarsfelds Bereitschaft zu einer Kandidatur sei "eine große Ehre" für die Partei - "aber bei uns ist manchen offenbar die eigene Eitelkeit wichtiger als das Wohl der Partei".
Am Montag will der geschäftsführende Parteivorstand zusammen mit Lafontaine, Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi und Dora Heyenn, der Vorsitzenden der Fraktionsvorsitzendenkonferenz, eine verbindliche Entscheidung treffen. Für 13 Uhr ist eine Pressekonferenz anberaumt. "Die Sache ist völlig offen", sagt ein Linker.
Sicher ist derzeit nur dies: Lötzsch und Gysi haben zuletzt Gespräche mit Klarsfeld in Paris geführt. Nach einem ersten Treffen am Freitag habe es am Samstag ein rund zweistündiges Gespräch gegeben, sagte eine Parteisprecherin. Auch mit Butterwegge sei am Samstag gesprochen worden. Dafür seien die beiden Parteichefs Lötzsch und Ernst nach Köln gereist. Die Gespräche mit Butterwegge und Klarsfeld seien "fair und gut" gewesen.
Die Zeit der Bewerbergespräche dürfte damit beendet sein, jetzt geht es um eine Entscheidung. Ein Linker sagt: "Wir dürfen uns nicht noch weiter in die Grütze reiten."