Verkürzte Fristen für Gesetze Bundesrat kritisiert Zeitdruck durch Regierung und Bundestag

Abstimmung im Bundesrat in Berlin: »Wer die Länder lediglich als lästige Hürde im Gesetzgebungsverfahren behandelt, hat den Föderalismus nicht verstanden«
Foto: Michele Tantussi / REUTERSDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Seitdem die Ampel im vergangenen Jahr ihre Arbeit aufnahm, werden immer mehr Gesetze, die von Bundestag und Bundesregierung dem Bundesrat zugeleitet werden, mit verkürzten Fristen für Beratung und Verabschiedung versehen. Das geht aus einer statistischen Übersicht der Länderkammer hervor, die dem SPIEGEL vorliegt.
Demnach waren im vergangenen Jahr 44 Prozent aller Gesetzeszuleitungen, darunter auch Verordnungen und allgemeine Verwaltungsvorschriften, für ein Schnellverfahren vorgesehen. 2021 lag der Anteil noch bei 28 Prozent.

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Wegen des Zeitdrucks hatte sich bereits Ende letzten Jahres die Vorsitzende des Ständigen Beirats des Bundesrats, Lucia Puttrich (CDU), an die Parlamentarischen Geschäftsführer der Ampelfraktionen im Bundestag gewandt. »Die Länder helfen selbstverständlich in Notlagen. Der Bundesrat ist aber nicht dazu da, den selbst produzierten Zeitdruck der Bundesregierung zu reparieren«, erneuerte die hessische Staatsministerin für Europa- und Bundesangelegenheiten jetzt auf Nachfrage des SPIEGEL ihre Kritik. Die Regierung solle daher zu einem »respektvollen Umgang der Verfassungsorgane zurückkehren«.
Späte und zum Teil fehlerhafte Vorlagen an den Bundesrat zu liefern und gleichzeitig darum zu bitten, diese ohne angemessene Prüfung durchzuwinken, dürfe nicht der Regelfall werden. »Wer die Länder lediglich als lästige Hürde im Gesetzgebungsverfahren behandelt, hat den Föderalismus nicht verstanden. Die Beteiligung der Länder ist ein verfassungsmäßiges Recht und dient der Prüfung und Verbesserung von Gesetzen. Ohne diese Mitwirkung leidet die Qualität«, sagte die CDU-Politikerin.
Kritik auch aus dem Bundestag
Auch im Bundestag selbst sorgt die Eilbedürftigkeit bei Gesetzesvorhaben für Ärger. Die Oppositionsparteien hatten zuletzt im Ältestenrat beklagt, zu wenig Zeit zu haben, sich mit den Texten und Vorlagen zu befassen.
Erst jüngst wandte sich deswegen Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) in einem Brief an den Chef des Kanzleramts, Wolfgang Schmidt, und die Fraktionschefs von SPD, Grünen und FDP. Sie warnte in ihrem Schreiben vor negativen Folgen für die Demokratie. »Trotz der regelmäßig erfolgten Zusicherungen der Vertreterinnen der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen lässt eine in dem gebotenen Maße erforderliche Rückkehr zu ordentlichen Abläufen auf sich warten«, so Bas.
Sie bitte daher die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen »sehr eindringlich«, auf die bewährten Verfahren zu achten und Eilverfahren auf das »unbedingt notwendige Minimum« zu beschränken.
»Wir dürfen nicht zulassen, dass der Deutsche Bundestag als zentrales Verfassungsorgan und damit auch das Vertrauen in die repräsentative Demokratie geschwächt werden«, mahnte Bas in ihrem Brief an die Ampelpolitiker.
Das Problem vermehrter Eilbedürftigkeit ist jedoch keinesfalls nur auf die Arbeit der jetzigen Ampelkoalition beschränkt. Laut der Statistik des Bundesrats zeigte sich dieses Phänomen schon unter der Großen Koalition. So lag seit 2017 der Anteil von Fristverkürzungen in der Länderkammer zu Zeiten der Koalition von CDU, CSU und SPD-Koalition in der Regel über 20 Prozent. Im Jahr 2012 hatte die Quote noch bei sieben Prozent gelegen.