Rüge für Bundestag
Rechnungshof zweifelt an Verfassungsmäßigkeit von Fraktionsfinanzen
Die Bundestagsfraktionen erhalten jährlich 120 Millionen Euro für ihre Parlamentsarbeit. Doch immer wieder wird Steuergeld für Wahlkampfzwecke missbraucht. Der Rechnungshof schlägt Alarm und fordert klare Regeln.
Debatte im Bundestag (2019): »Defizite im Kontrollsystem«
Foto: JOHN MACDOUGALL/ AFP
Der Bundesrechnungshof übt scharfe Kritik an der Finanzierung der Bundestagsfraktionen. In einem 14-seitigen Sonderbericht an den Bundestag monieren die Prüfer »strukturelle Defizite im Kontroll- und Sanktionssystem«. Diese stellten gar die »verfassungsrechtliche Legitimation des Systems der Fraktionsfinanzierung in Frage«. Der Bericht liegt dem SPIEGEL vor.
Diese ist zwar grundsätzlich erlaubt. Aber in den vergangenen Jahren haben die Rechnungsprüfer immer wieder festgestellt, dass die Fraktionen bisweilen große Teile des ihnen anvertrauten Steuergelds für Parteiaufgaben zweckentfremden, obwohl das laut Parteiengesetz streng verboten ist. Die Prüfer stießen etwa auf Kinowerbespots, Briefaktionen und Veranstaltungen, die den Parteien im Wahlkampf zugutekamen und Millionen kosteten.
Doch die Verstöße blieben oftmals folgenlos: Denn der Rechnungshof kann nur prüfen und rügen, die Parteien aber nicht bestrafen. Dies fällt in den Zuständigkeitsbereich der Bundestagsverwaltung unter Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU), der bislang eher Milde walten ließ.
Seit 25 Jahren keine eindeutigen Regeln
Der Bundesrechnungshof fordert nun eine Klarstellung. Aus Sicht der Kontrollbehörde fehlen »eindeutige und praxistaugliche Regeln«, wofür die Fraktionen ihre Mittel ausgeben dürfen – und wofür nicht. Seit 1995 schreibe das Abgeordnetengesetz vor, dass der Ältestenrat des Bundestags »Ausführungsbestimmungen zur Haushalts- und Wirtschaftsführung der Fraktionen« erlassen soll. Doch bis heute, mehr als 25 Jahre später, sei dies nicht geschehen.
»Das ist bedenklich und birgt die Gefahr, dass Fraktionen diese Mittel für Parteiaufgaben oder gar Wahlkampfzwecke einsetzen«, sagt der Präsident des Bundesrechnungshofs, Kay Scheller. Damit würden sie die strengen Vorgaben der staatlichen Parteienfinanzierung verletzen.
Der neue Sonderbericht setzt sich vor allem mit den wachsenden Aktivitäten der Fraktionen im Internet auseinander. Früher gaben die Fraktionen ihr Geld oft für unzulässige Zeitungsanzeigen, Veranstaltungsreihen oder Broschüren aus. Mittlerweile seien neue Formen der Öffentlichkeitsarbeit hinzugekommen, etwa moderierte Shows, Talkformate, Dokumentarfilme oder Nachrichtenmagazine. Viele Beiträge ließen aber den erforderlichen »eindeutigen Bezug« zur Tätigkeit der Fraktion »nicht erkennen«, so die Prüfer.
Konkrete Beispiele nennt das Papier nicht. Doch wer sich auf den Kanälen der Fraktionen umsieht, wird schnell fündig. Vor Kurzem lud etwa die AfD-Fraktion eine »große Dokumentation« über das Coronavirus bei YouTube hoch. Der knapp einstündige Film (»Eine Produktion im Auftrag der AfD-Bundestagsfraktion«) war aufwendig hergestellt, hatte mit Parlamentsarbeit aber nur bedingt zu tun.
Die AfD-Fraktion hatte nach dem Einzug in den Bundestag sogar den Aufbau eines eigenen »Newsrooms« angekündigt. Andere Fraktionen wie die Union zogen nach. Auch sie treten bei Instagram, Twitter oder YouTube bisweilen deutlich offensiver auf als früher.
Seltsam muten etwa die Spots der CSU-Landesgruppe unter dem Motto »CSYou« an. Darin tritt ein junger Mann namens Armin auf, der wohl die Antwort auf den unionskritischen YouTuber Rezo darstellen soll. Armin will angeblich über »unsere Arbeit im Bundestag« informieren. Doch seine Filme polemisieren auch gegen Greta Thunberg oder die »Irrungen und Wirrungen« der Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer. Auch hier ist der Bezug zur Fraktionsarbeit nur schwer erkennbar.
Aus Sicht der Prüfer könnten die Fraktionen mit ihrer fragwürdigen PR-Arbeit gegen das Grundgesetz verstoßen. Vor einigen Jahren war die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) wegen der zweifelhaften Fraktionsfinanzen vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Sie sah darin eine »verschleierte Finanzierung der im Bundestag vertretenen Parteien« und ihr Recht auf Chancengleichheit verletzt, da sie nicht im Bundestag sitze.
Parteien profitieren
Das Verfassungsgericht wies den Antrag der ÖDP zwar 2015 zurück, verlangte jedoch, dass das Gesetz eine zweckwidrige Verwendung der Fraktionsmittel wirksam verhindert. Laut Bundesrechnungshof fehle im Moment aber eine Abgrenzung der zulässigen Unterrichtung der Öffentlichkeit durch die Fraktionen von der unzulässigen Parteiwerbung: »Ohne Kontrolle und Sanktionen steht die Legitimation des Systems der Fraktionsfinanzierung infrage«, sagt Rechnungshofpräsident Scheller.
Ob sich an der gegenwärtigen Praxis so schnell etwas ändert, ist fraglich. Alle im Parlament vertretenen Parteien profitieren von den üppigen PR-Budgets ihrer Fraktionen. Die Abgeordneten hoben die Ausgaben für die Finanzen ihrer Fraktionen in den vergangenen Jahren deutlich an. Vor der anstehenden Bundestagswahl im Herbst dürfte die indirekte Wahlwerbung der eigenen Fraktionen den Parteien wieder sehr willkommen sein.