Anti-Terror-Kampf im Internet Bundesregierung sucht Nerds

Bundesregierung sucht IT-Experten für verschlüsselte Chats
Foto: KACPER PEMPEL/ REUTERSDie deutschen Behörden werden noch Jahre brauchen, um verschlüsselte Internet-Chats von Terrorverdächtigen zu knacken oder gar mitlesen zu können. In Sicherheitskreisen heißt es, der von Kanzlerin Angela Merkel angekündigte schnelle Aufbau einer neuen Einheit speziell zur Entschlüsselung solcher Kommunikation sei nicht vor 2020 zu realisieren. "Wir werden noch lange frustriert zusehen müssen, wie Verdächtige von unserem Radar verschwinden", so ein hochrangiger Beamter zu SPIEGEL ONLINE.
Als Grund dafür wird in Sicherheitskreisen vor allem das Personalproblem genannt. So sei es schwierig, gut geschulte IT-Experten auf dem freien Markt anzuwerben, diese würden in der Wirtschaft viel mehr Geld verdienen als die Behörden ihnen anbieten könnten. "Wir suchen verzweifelt nach Nerds, gerade für die neue Einheit wird das besonders schwierig", warnt ein Top-Beamter. Folglich sei nicht mit schnellen Erfolgen zu rechnen.
Kanzlerin Merkel hatte den Aufbau der Entschlüsselungseinheit vergangene Woche als Teil ihres Neun-Punkte-Plans zur Bekämpfung der Terrorgefahr prominent vorgestellt. Demnach solle "schnellstmöglich" eine Task Force geschaffen werden, die chiffrierte Internetkommunikation von Terrorverdächtigen entschlüsselt und es den Fahndern erlaubt, von Planungen für Attacken vorab zu erfahren.
Spezialeinheit soll raffinierte Codes knacken
Neu sind die Pläne nicht. Seit Jahren will die Bundesregierung Terrorfahndern ermöglichen, verschlüsselte Chats zu knacken. Schon im Juni stellten das Innenministerium ausgewählten Koalitionspolitikern vertraulich den Plan für die "Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich" vor, kurz Zitis genannt. 400 IT-Experten sollen die Verschlüsselung von Chats aufbrechen und so Bundeskriminalamt (BKA) oder Verfassungsschutz bei der Gefahrenabwehr helfen.
Das Problem der kryptierten Chats beschäftigt die Fahnder sowohl im Fall Würzburg als auch in Ansbach. Beide Täter kommunizierten bis kurz vor ihrer Tat verschlüsselt mit Hintermännern im Nahen Osten, bisher können die Fahnder diese aber nicht ausfindig machen. Die Sicherheitsmaßnahmen sprechen dafür, dass der IS hinter den Attacken steht. Seit Jahren verfeinern Terroristen ihren Schutz vor Abhörmaßnahmen, kommunizieren international fast ausschließlich über chiffrierte Chats.
Auf dem Papier hört sich der Aufbau von Zitis einfach an. Statt bei einer Behörde sollen rund 400 Experten in einer Art Agentur die raffinierten Codes von Anbietern wie Telegram oder auch Herstellern wie Apple knacken, damit Polizei und Verfassungsschutz weiterhin bei Terror-Chats mitlesen können. Zitis soll dabei als Dienstleister fungieren, der Bundespolizei, Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz dabei hilft, aber nicht selbst Chats mitliest oder auswertet.
Ermittler sind seit Jahren frustriert wegen des Verschlüsselungsbooms. Immer wieder beobachten sie das Phänomen des "going dark", also des Abtauchens von Verdächtigen und ihrer Kommunikation in geschützte Bereiche des Internets. Probleme macht den Behörden auch, dass sich bei immer mehr Programmen starke Verschlüsselung als Standard durchsetzt - und zwar nicht nur bei Nischen-Apps wie etwa Threema aus der Schweiz.
Immer mehr Programme verschlüsseln Chats
Auch in der Breite wird immer mehr encodiert: Der Messenger-Dienst WhatsApp hat im April auf die sogenannte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung umgestellt. Das bedeutet, dass die Inhalte nur für Chat-Teilnehmer sichtbar sind. Nicht einmal WhatsApp selbst weiß, was genau mit der App verschickt wird, eine Wiederherstellung der Unterhaltungen ist schwierig. Um die Verschlüsselung möglichst sicher zu machen, arbeitet WhatsApp mit dem bei Krypto-Experten angesehenen Signal-Protokoll.
Die Auswirkungen sind enorm. WhatsApp hat rund eine Milliarde Nutzer weltweit. Mit seiner neuen Technik übertrifft es nun sogar die Chat-Software Telegram, die wegen ihrer Verschlüsselungsfunktion zeitweise als Lieblings-App von Terroristen galt. Dort ist die Verschlüsselung anders als bei WhatsApp nicht automatisch eingeschaltet, sondern muss erst aktiviert werden.
Auch WhatsApp-Besitzer Facebook setzt bei seinem eigenen Messenger künftig auf eine Funktion namens "Geheime Konversationen". Damit können ausgewählte Chats komplett verschlüsselt werden. Die Funktion soll bis zum Ende des Sommers oder spätestens im Herbst für die rund 900 Millionen Messenger-Nutzer freigeschaltet werden. Außerdem werden einzelne Beiträge mit einem "Timer" versehen werden können, damit sie sich nach einer bestimmten Zeit automatisch löschen.
Wenn die Ermittler künftig bei Facebook die Herausgabe von Chat-Protokollen anfordern, kann das Unternehmen sich wohl in immer mehr Fällen darauf berufen, dass dies nicht möglich sei. Ohnehin sind die großen Tech-Konzerne aus Angst um das Vertrauen der Kunden zurückhaltend, wenn Ermittler Daten von ihnen wollen. Das zeigt etwa der Streit zwischen Apple und dem FBI um die Entsperrung des iPhones des Attentäters von San Bernardino.
Apple entschied, den US-Ermittlern nicht mit einem Hack zu helfen und bekam für diese Linie viel Unterstützung, etwa von Google und Twitter. Apple-Chef Tim Cook argumentierte in Interviews und offenen Briefen stets, man wolle auch Ermittlern keine Hintertür zum Ausspähen gewähren, weil man damit die Sicherheit für alle Nutzer senke. Ganz ähnlich dürfte sich Apple wohl auch verhalten, wenn die deutsche Einheit Zitis sich dort meldet.
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