Nach hitziger Debatte Bundestag stimmt für umstrittene Wahlrechtsreform

Bald wieder mehr Platz? Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag
Foto: Wolfgang Kumm / dpaDer Bundestag wird ausgedünnt – künftig sollen dem Parlament maximal noch 630 Abgeordnete angehören dürfen. Erreicht werden soll die Verkleinerung, indem auf Überhang- und Ausgleichsmandate ganz verzichtet wird. Die entsprechende Reform ist heute nach einer hitzigen Debatte mit Stimmen der Ampelkoalition verabschiedet worden. 400 Abgeordnete stimmten für die Reform, 261 dagegen, 23 Parlamentarier enthielten sich. Vor allem die Union und die Linke lehnen die Reform strikt ab – und kündigten Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht an.
Die Reform soll ab der nächsten Wahl den Bundestag verkleinern. Zuletzt hatten Überhang- und Ausgleichsmandate das Parlament aufgebläht, statt der vorgesehenen 598 Sitze gibt es aktuell 736 Mitglieder. Die neuen Regeln wollen dem ein Ende bereiten: Direkt gewählte Kandidaten ziehen nur noch ein, wenn ihre Mandate auch durch das Zweitstimmenergebnis ihrer Partei gedeckt sind (lesen Sie hier Hintergründe zur Wahlrechtsreform).
Grundmandatsklausel entfällt
Künftig entfällt darüber hinaus auch die sogenannte Grundmandatsklausel. Nach ihr zogen Parteien bisher auch dann in Fraktionsstärke gemäß ihrem Zweitstimmenergebnis in den Bundestag ein, wenn sie unter fünf Prozent lagen, aber mindestens drei Direktmandate gewannen. Davon profitierte bei der Wahl 2021 die Linkspartei.
Die Opposition sieht in den Änderungen eine grobe Ungerechtigkeit: Es kann nun zum einen vorkommen, dass in einem Wahlkreis eine Bewerberin oder ein Bewerber das Direktmandat gewinnt, aber trotzdem nicht in den Bundestag einzieht, weil seine Partei nicht genügend Zweitstimmen erhalten hat.
Zum anderen kann die Partei der Gewinnerin oder des Gewinners, die bei den Zweistimmen unter fünf Prozent liegt, selbst dann nicht mehr mit ihren Listenkandidaten in den Bundestag einziehen, wenn sie mehr als drei Direktmandate erhalten hat. Dies erzürnt vor allem Linke und die CSU. Letztere fürchtet massive Mandatsverluste, da ihre zahlreichen Direktmandate aus Bayern verfallen würden.
»Beschädigung des Vertrauens in unsere Demokratie«
Die Debatte vor der namentlichen Abstimmung war entsprechend aufgeladen. CDU-Chef Friedrich Merz sprach von einer »Beschädigung des Vertrauens in unsere Demokratie«, der man zu keinem Zeitpunkt zustimmen werde. »Wir werden jederzeit jede Gelegenheit nutzen, das wieder zu ändern.« Einen Appell, die Abstimmung für eine erneute Gesetzüberarbeitung noch mal um zwei Wochen zu verschieben, lehnten die Ampelfraktionen jedoch ab.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprach von einem Wahlrecht, »das mit dem deutschen Föderalismus bricht.« Die Grundmandatsklausel, welche die Koalition abschaffen wolle, sei Ausdruck »der regionalen Besonderheiten unseres Landes«. Dobrindt kündigte an, Bayern werde in der Frage vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.
Merz kündigte an, die Reform per Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht zu Fall bringen zu wollen. Einen entsprechenden Vorschlag werde er seiner Fraktion unterbreiten. Über das erforderliche Quorum – ein Viertel der Stimmen im Bundestag – verfüge seine Fraktion. Bei einer Normenkontrolle prüft das Bundesverfassungsgericht die Vereinbarkeit der neuen gesetzlichen Regelung mit dem Grundgesetz.
Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Linkenfraktion, Jan Korte, empörte sich über die Streichung der Grundmandatsklausel. Die Linke, traditionell im Osten stärker verankert, muss künftig um ihren Fraktionsstatus bangen.
»Wir werden uns in Karlsruhe sehen«
Die Reform nannte Korte »hingerotzt«. Der Sinn der Grundmandatsklausel sei gewesen, dass regional verankerte Strömungen im Bundestag vertreten sind. Es handele sich um einen Anschlag auf die Demokratie. »Sie überlassen der AfD den Osten«, so Korte. »Ich wünsche Ihnen politisch alles erdenklich Schlechte. Wir werden uns in Karlsruhe sehen.«
Die Ampel hingegen verteidigte ihre Reform. Sebastian Hartmann, SPD-Obmann in der Wahlrechtskommission, bezeichnete die Reform als »überfällig«. Sie werde dazu beitragen, dass es wieder mehr Vertrauen in die Demokratie gebe. Das Wahlrecht sei aus Sicht der Wählerinnen und Wähler zu beurteilen. »Es muss einfach, transparent und nachvollziehbar sein.« Das seien die Ideen der Reform. Hartmann beklagte den Tonfall der Debatte »von einzelnen politischen Kräften aus der konservativen Ecke« als unwürdig. Dies gelte etwa für »Schurkenstaat«-Vergleiche. Einen solchen hatte CSU-Generalsekretär Martin Huber gezogen.