Bundestag Union wirft SPD Putschversuch vor

Mit Empörung hat die Union die Absicht der SPD aufgenommen, durch eine Änderung der Geschäftsordnung die Fraktionen von CDU und CSU zu trennen, um so zur stärksten Gruppierung im Bundestag zu werden. Der Vorstoß trage "putschartige Züge". SPD-Chef Müntefering dementierte die Pläne, die sein Parteifreund Erler zuvor jedoch bestätigt hatte.

Berlin - Mit Verwunderung und Kopfschütteln wurde der Plan der Sozialdemokraten bei der CDU aufgenommen - zumal in wenigen Stunden die ersten Sondierungsgespräche der beiden großen Parteien beginnen. "Nur weil sich die SPD nicht mit dem Wahlergebnis und ihrer Niederlage abfinden kann, will sie nun mit alten und eingespielten Traditionen brechen, um so mit allen Tricks irgendwie doch noch den Kanzler zu stellen", sagte der Spitzenkandidat der CDU in Niedersachsen, Friedbert Pflüger, im Interview mit SPIEGEL ONLINE. Pflüger sprach von "putschartigen Zügen" beim Verhalten des politischen Gegners.

Die Vorstellungen aus den SPD-Kreisen seien eine Fortsetzung des "absurden Schauspiels", das Kanzler Gerhard Schröder nach der Wahl am vergangenen Sonntag inszeniere, sagte Pflüger. In der sogenannten Elefantenrunde nach der Wahl hatte Schröder auf die Frage, wer denn nun Kanzler werden könnte, nur sich selbst als möglichen Kandidaten genannt. "Wer denn sonst", lautete seine flapsige Reaktion auf eine Nachfrage der beiden Moderatoren. Pflüger, der auch Mitglied im CDU-Bundesvorstand ist, betonte jedoch, dass der Bundeskanzler in Deutschland nicht aus formalen Gründen, sondern aufgrund von Mehrheiten, gewählt würde. "Ich empfehle der Führung der SPD dringend, mit diesem Spuk aufzuhören, sonst nimmt die Demokratie schweren Schaden."

Die SPD offenbare damit einen "Mangel an demokratischer Kultur", sagte Unions-Fraktionsvize Wolfgang Schäuble im Nordwestradio. Er appellierte an Schröder und seine Partei, die Regeln zu akzeptieren, dass die stärkere Fraktion den Regierungschef stellt.

Der parlamentarische Geschäftsführer der CSU- Landesgruppe, Peter Ramsauer, bezeichnete die angeblichen SPD-Pläne zu einer Spaltung der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU als "eiskalten Erpressungsversuch". Sollte die SPD einen solchen Beschluss noch mit ihrer alten rot-grünen Mehrheit herbeiführen, verfalle er in wenigen Wochen, sagte Ramsauer der dpa.

Sollte der neue Bundestag über eine entsprechende Änderung der Geschäftsordnung befinden, sei die SPD bereits bei der allerersten parlamentarischen Entscheidung auf Unterstützung der Linkspartei angewiesen. "Dann steht das Linksbündnis. Viel Spaß!", sagte Ramsauer.

Die SPD habe ihre Pläne damit begründet, dass die gemeinsame Fraktion von CDU/CSU erst durch eine Änderung der Bundestagsgeschäftsordnung vor etwa 30 Jahren als damaliges Entgegenkommen an die Schwesterparteien eingeführt worden sei, heißt es weiter in dem Bericht. Würde die Unionsfraktion gespalten, wäre die SPD stärkste Fraktion und könnte ihren Anspruch untermauern, auch künftig den Kanzler zu stellen. SPD-Fraktionsvize Gernot Erler bestätigte entsprechenden Bericht der "Süddeutschen Zeitung".

Parteichef Franz Müntefering dementierte dagegen. "Entgegen heutigen Presseberichten betreibt die SPD-Bundestagsfraktion bisher keine Änderung der Geschäftsordnung des Bundestages mit dem Ziel, die Bildung von Fraktionsgemeinschaften - wie die von CDU und CSU - zu behindern oder zu verhindern und sie beabsichtigt auch nicht, dies zu tun", sagte Müntefering.

Er kritisierte aber, dass die Union der "klassischen Rosinenpickertheorie" folge. "Wo die Partei vorteilhaft ist, wie im Wahlkampf, bei Talkshows, öffentlichen Debatten, bei Spenden, wird von CDU und CSU die Karte Partei gespielt, wo ein Machtanspruch im Parlament angemeldet wird, wird die Karte Fraktion gespielt", sagte der SPD Chef. "Darauf darf man hinweisen. Und diese Art akzeptieren wir nicht", sagte Müntefering.

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) forderte ein Ende der Debatte. Thierse sagte der "Leipziger Volkszeitung": "Eine Änderung der Geschäftsordnung sollte einvernehmlich erfolgen. Das ist illusorisch. Deshalb lohnt es nicht, diese Debatte zu führen."

"Lex Union" soll abgeschafft werden

Die Geschäftsordnung des Bundestages bestimmt in ihrer aktuellen Fassung, dass Fraktionen Vereinigungen von Mitgliedern einer Partei im Bundestag sind oder "solche Parteien", "die aufgrund gleichgerichteter Ziele in keinem Land miteinander in Wettbewerb stehen". Dieser Passus gilt als "Lex Union", die Ende der sechziger Jahre so im Parlament beschlossen wurde. Nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" aus der SPD-Spitze und der Spitze der Bundestagsfraktion streben die Sozialdemokraten nun an, bei der Geschäftsordnung zur alten Formulierung zurückzukehren. Demnach müssten Angehörige einer Fraktion in der Regel derselben Partei angehören. Abweichungen müssten jeweils im Einzelfall von der Parlamentsmehrheit genehmigt werden.

Für eine Änderung der Geschäftsordnung bräuchte die SPD im Parlament eine Mehrheit. Offen sei, ob diese Änderung noch vom Bundestag in der alten Zusammensetzung beschlossen werden müsste, in der Rot-Grün über eine Mehrheit verfügt, oder erst bei der Konstituierung des nächsten Bundestages.

Die Grüne lehnen die Änderung der Geschäftsordnung ab. Änderungen der Geschäftsordnung seien nur statthaft, wenn hierzu erheblicher Änderungsbedarf bestehe, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, heute in Berlin. "Erhebliche Gründe für eine Änderung sehen wir gegenwärtig nicht." Auch Beck bezeichnete es allerdings als Ärgernis, dass die Union sich etwa bei der Sendezeit im Fernsehen oder der Finanzierung von Parteistiftungen die für sie günstigere Version herauspicke, wenn es darum gehe, ob CDU und CSU zwei Parteien seien oder eine einheitliche Fraktion.

Die Mehrheitsverhältnisse nach der Bundestagswahl werden laut Erler das Hauptthema des heutigen Sondierungsgesprächs zwischen SPD und CDU/CSU sein. Es gehe darum, dass "man tatsächlich mal fragt, wie ist eigentlich dieses Ergebnis zu lesen, was kann man eigentlich aus den Mehrheitsverhältnissen ableiten, die es da jetzt im Bundestag gibt und dass man exakt diese Ansprüche, die beide Seiten stellen, miteinander vergleicht". Wenn man die Abgeordneten der Linkspartei berücksichtige, gebe es "einfach keine Mehrheit" für Schwarz-Gelb, sagte der SPD-Fraktionsvize.

Auch die Linkspartei-Abgeordnete Petra Pau wandte sich strikt gegen eine Änderung der Geschäftsordnung. Die SPD könne bei einem entsprechenden Antrag "auf keinen Fall" mit den Stimmen der Linkspartei rechnen, sagte Pau in der ARD. "Das zeigt eigentlich nur, dass die SPD und offensichtlich auch der Kanzler immer noch nicht verstanden haben, dass Schluss ist mit seiner Basta-Politik."

Der Berliner Politikwissenschaftler Oskar Niedermeyer bezeichnete die Überlegungen der SPD als "Taschenspielertrick". Er sehe "keine sinnvollen Möglichkeiten", die Unionsfraktion in CDU und CSU aufzubrechen, sagte Niedermeyer der Hörfunkagentur dpa/Rufa. Die Schwesterparteien als eine Fraktion zu begreifen, sei "guter Brauch, und die SPD hat das auch nie in Frage gestellt".

Fraktions- und Parteiebene dürften nicht vermischt werden, so Niedermeyer. CDU und CSU müssten demnach "als Einheit gezählt" werden. "Auf der Parteiebene sind es zwei getrennte Parteien, deswegen bekommen sie auch getrennt Wahlkampfkostenerstattung."

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