Die Sondersitzung des Bundestages begann mit stehendem Applaus für den ukrainischen Botschafter und einer Geste des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck. Solidarität und Mitgefühl für die Ukrainerin und Ukrainer zogen sich durch nahezu alle Reden der emotionalen und entschlossenen Sitzung.
Annalena Baerbock, Bundesaußenministerin
»Botschafter Melnyk, ich begrüße Sie hier im Saal stellvertretend für die über 40 Millionen mutigen Ukrainer und Ukrainer. Eltern mit Kleinkindern verbringen in U-Bahn-Schächten ihre Nächte, um Schutz vor Bomben und Raketen zu suchen. Das könnten wir in diesen U-Bahn-Schächten sein. Das könnten unsere Kinder sein.«
Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister
»Es ist die Freiheit, die Putin fürchtet. Und er hat es selbst gesagt in einer Nebenbedeutung in einem Gespräch mit dem französischen Präsidenten Macron, als er ein russisches Kinderlied zitiert, das Mädchen vorgesungen wird, wenn die Haarige manchmal ziepen, wenn sie gekämmt werden, das aber ein Synonym für Vergewaltigung ist. Die Ukraine soll sich nicht so anstellen, sie würde jetzt halt vergewaltigt werden. So hat der Präsident gesprochen. Er weiß, was er tut. Und wer bei einer militärischen Vergewaltigung zuschaut, macht sich schuldig daran. Deswegen müssen wir Handeln und müssen wir unsere Position so stark machen, dass wir der Ukraine helfen in dieser Stunde der militärischen Vergewaltigungsnot.«
In seiner Regierungserklärung zu Beginn setzte Bundeskanzler Olaf Scholz den Ton.
Olaf Scholz, Bundeskanzler
»Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents. Im Kern geht es um die Frage, ob Macht das Recht brechen darf, ob wir es Putin gestatten, die Uhren zurückzudrehen in die Zeit der Großmächte des 19. Jahrhunderts oder ob wir die Kraft aufbringen, Kriegstreibern wie Putin Grenzen zu setzen. Die schrecklichen Bilder aus Kiew, Charkiw, Odessa und Mariupol zeigen die ganze Skrupellosigkeit Putins, die himmelschreiende Ungerechtigkeit. Der Schmerz der Ukrainerin und Ukrainer. Sie gehen uns allen sehr nahe.«
Dann erläuterte Scholz, was die Bundesregierung nun tun wird. Die Ampelkoalition hat sich viel vorgenommen.
Olaf Scholz, Bundeskanzler
»Am Donnerstag hat Präsident Putin mit seinem Überfall auf die Ukraine eine neue Realität geschaffen. Diese neue Realität erfordert eine klare Antwort Wir haben sie gegeben. Wie Sie wissen, haben wir gestern entschieden, dass Deutschland der Ukraine Waffen zur Verteidigung des Landes liefern wird. Ich habe bei der Münchner Sicherheitskonferenz vor einer Woche gesagt: Wir brauchen Flugzeuge, die fliegen, Schiffe, die in See stechen und Soldatinnen, Soldaten, die für ihre Einsätze optimal ausführen. Wir werden dafür ein Sondervermögen Bundeswehr einrichten. Der Bundeshaushalt 2022 wird dieses Sondervermögen einmalig mit 100 Milliarden Euro ausstatten. Die Mittel werden wir für notwendige Investitionen und Rüstungsvorhaben nutzen. Meine Damen und Herren, unser zweiter Handlungsauftrag ist, Putin von seinem Kriegskurs abzubringen. Der Krieg ist eine Katastrophe für die Ukraine, aber der Krieg wird sich auch als Katastrophe für Russland erweisen.«
Annalena Baerbock, Bundesaußenministerin
»Was unsere Sanktionen leisten, und das ist zentral, ist Putin zu zeigen: Mittel- und langfristig wird dieser Krieg Ihr Land ruinieren. Putins perfides Spiel ist auf Strecke angelegt. Deswegen müssen das auch unsere Sanktionen sein. Und deswegen müssen wir so sicherstellen, dass uns nicht nach drei Monaten die Puste ausgeht, sondern diese Sanktionen müssen das System Putin im Kern treffen. Und deswegen haben wir SWIFT, und ich kann verstehen, dass da einige etwas nervös geworden sind, aber ich bitte in diesen Zeiten um Vertrauen. Deswegen haben wir SWIFT so angelegt, dass sie das System Putin treffen und nicht als Bumerang auf uns zurückkommen.«
Christian Lindner, Bundesfinanzminister
»Die Bedeutung der Energiesicherheit erfährt eine neue Priorität. Unsere Planungen der nächsten Jahre werden wir an die veränderte Lage anpassen müssen. Dabei werden wir nicht setzen auf die Antworten der Vergangenheit, sondern im Gegenteil den Weg in die Zukunft entschlossener fortsetzen. Erneuerbare Energien leisten nicht nur einen Beitrag zur Energie, Sicherheit und Versorgung, erneuerbare Energien lösen uns von Abhängigkeiten. Erneuerbare Energien sind deshalb Freiheitsenergien.«
Der Unionsfraktion Vorsitzende Friedrich Merz stellte sich hinter die Pläne der Ampelkoalition.
Friedrich Merz, Fraktionsvorsitzender CDU/CSU
»Und deshalb, Herr Bundeskanzler, bieten wir Ihnen heute an dieser Stelle Ihnen und Ihrer Regierung umfassende konkrete Hilfe und Unterstützung an. Wenn Sie um Unterstützung und Zustimmung für die jetzt notwendigen umfassenden Sanktionen werben und Sie tun es ja heute Morgen, dann werden wir das unterstützen und nicht im Kleinen Herummäkeln.«
Von den anderen Oppositionsparteien Die Linke und AfD kam Kritik.
Alice Weidel, AfD-Fraktionsvorsitzende
»Dass eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine eine Rote Linie darstellt, deren Überschreiten Russland nicht hinnehmen würde wie die vorangegangenen Nato-Osterweiterungsrunden, liegt seit fast zwei Jahrzehnten klar auf dem Tisch. Unzählige Gelegenheiten wurden seither versäumt, einen Status gesicherter Neutralität für die Ukraine auszuhandeln, der den Sicherheitsinteressen aller Rechnung getragen und der Ukraine ermöglicht hätte, vom Zankapfel zu einer Brücke zwischen Ost und West zu werden.«
Christian Lindner, Bundesfinanzminister
»Was haben wir hier gerade gehört? Was für ein Bild der Gründe, warum es zu diesem Krieg gekommen ist. Sagen wir es in aller Klarheit: Putin hat die Ukraine angegriffen, weil sich ein souveräner Staat in freier Selbstbestimmung dafür entschieden hat, seinen Weg nach Westen zu gehen. Die Ukraine ist ein souveräner Staat.«
Amira Mohamed Ali, Fraktionsvorsitzende Die Linke
»Für meine Partei Die Linke räume ich in aller Deutlichkeit ein, dass wir die Absichten der russischen Regierung falsch eingeschätzt haben. Was sich bei uns bei aller Nachdenklichkeit und Neubewertung der Lage nicht geändert hat, ist unsere tiefe Überzeugung, dass Abrüstung und Diplomatie der Weg zum Frieden sind. Darum können wir niemals zustimmen, dass Waffen in Krisengebiete geliefert werden und aufgerüstet. Herr Scholz, Sie haben in Ihrer Rede gesagt, dass es ein Sondervermögen geben soll 100 Milliarden Euro. Das Grundgesetz soll dafür geändert werden. Und ich muss es einfach in der Deutlichkeit sagen: Dieses Hochrüsten, diese Militarisierung, die können und werden wir als Linke nicht mittragen.«
Annalena Baerbock, Bundesaußenministerin
»Bei der Wahl zwischen Krieg und Frieden, bei der Wahl zwischen einem Aggressor und Kindern auf der anderen Seite, die sich in U-Bahn-Schächten verstecken, da kann niemand neutral sein. Danke, dass wir das heute hier gemeinsam deutlich machen.«
In einem gemeinsamen Entschließungsantrag von SPD, Grünen, FDP und CDU/CSU wurde das Vorgehen der russischen Regierung aufs Schärfste verurteilt und der Ukraine volle Solidarität zugesichert. AfD und Linke stimmten dagegen.