Ohne Twitter geht nix im Bundestag: Die Berliner Politik ist vernarrt in die 140 Zeichen. Doch wer zwitschert am fleißigsten? Wessen Retweet schlägt ein? Unsere Datenanalyse schaut den Abgeordneten auf den Daumen.
134. In Worten: Einhundertvierunddreißig. Mit so vielen Zeichen hat Heiko Maas vor einigen Wochen auf den Brand einer geplanten Flüchtlingsunterkunft reagiert:
Heiko Maas hätte an diesem Samstag im April viele andere Möglichkeiten gehabt, eine erste Stellungnahme abzugeben: per Pressemitteilung, im Interview mit einer Nachrichtenagentur, bei einer Pressekonferenz. Doch der Justizminister und sein Team haben sich für Twitter entschieden. Politik in 134 Zeichen. Ist das flach? Oder modern?
Politisch relevant wurde Twitter erstmals im Kampf um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten in den USA im Jahr 2007. Der damalige Bewerber Barack Obama setzte seinen ersten Tweet am 29. April 2007 ab. Mittlerweile hat Obama mehr als 62 Millionen Follower. Aber auch im biederen Deutschen Bundestag wird der Kurznachrichtendienst genutzt. Doch wer schreibt da eigentlich? Und mit wem?
SPIEGEL ONLINE hat die Twitter-Aktivität von Abgeordneten aller Fraktionen des Bundestags untersucht. Unsere Recherche zeigt, dass die Politiker Twitter ganz unterschiedlich nutzen: jeden Tag oder nur gelegentlich, für Statements oder politische Diskussionen. Damit ließen sich die Abgeordneten in fünf Kategorien einteilen: die Twitter-Typen im Bundestag.
Typ 1 - die Quasselstrippe
Sie kann die Finger nicht stillhalten, hat das Handy immer in der Tasche und teilt den lieben langen Tag ihre Gedanken mit den Nutzern: die Quasselstrippe. Ganz vorne dabei ist Johannes Kahrs (@kahrs ) von der SPD. Durchschnittlich 16 Tweets setzt Kahrs pro Tag ab, dicht gefolgt von Volker Beck (@Volker_Beck ) von den Grünen mit 15 Tweets.
Analysieren Sie hier die Quasselstrippen im interaktiven Netzwerk (kann auf Mobilgeräten langsam reagieren):
- Jeder Punkt steht für einen Politiker. Klicken Sie darauf, um dessen Verbindungen auf Twitter in der Einzelansicht zu sehen. Stellen Sie im Menü ein, welche Art von Verbindungen Sie sehen möchten.
- Je größer ein Punkt, desto mehr Tweets schreibt der Abgeordnete. Fahren Sie mit der Maus darüber, um die Zahl der Tweets pro Tag anzuzeigen.
- Verschieben Sie einen Punkt. Die Position des Politikers innerhalb des Netzwerks wird dann neu berechnet. Dabei wird der Abgeordnete immer in der Nähe von Kollegen landen, mit denen er gut vernetzt ist. Testen Sie doch mal, was passiert, wenn Sie jemanden in eine fremde Fraktion ziehen.
Typ 2 - der Leithammel
Seine Tweets sind bei den Kollegen gefragt. Was der Leithammel schreibt, wird vom Großteil der Politiker auf Twitter gelesen. An der Spitze steht Peter Altmaier (CDU, @peteraltmaier ) mit 167 Followern im Bundestag. Auch Dorothee Bär (CSU, @DoroBaer ) und Thomas Oppermann (SPD, @ThomasOppermann ) gehören zu dieser Kategorie.
Bei den Twitter-Usern insgesamt ist hingegen Sahra Wagenknecht (@SWagenknecht ) von der Linkspartei am beliebtesten. Was sie schreibt, haben zum Zeitpunkt der Datenerhebung Ende Juni mehr als 77.000 Follower gelesen. Mittlerweile sind es sogar mehr als 84.000. Während sich Altmaier und Bär auf Twitter immer wieder mit anderen Nutzern "unterhalten", nutzt Wagenkecht den Kanal vor allem für politische Statements:
Typ 3 - der Netzwerker
Der Netzwerker folgt nahezu jedem und macht auch vor Parteigrenzen nicht halt. Allerdings stößt seine Folgebereitschaft nur auf wenig Gegenliebe. Bedeutend weniger Kollegen klicken beim Netzwerker auf "Follow". Beste Beispiele: Stefan Liebich (Die Linke, @berlinliebich ) und Martin Rabanus (SPD, @MartinRabanus ). Beide folgen 242 von 261 Polit-Twitterern. Umgekehrt taucht Liebich aber nur bei 94 Kollegen in der Timeline auf, bei Martin Rabanus sind es 67.
Typ 4 - der Wahlkampfstratege
Er wollte eigentlich nie bei Twitter sein, hielt soziale Netzwerke sowieso immer für überflüssig - und hat im Wahlkampf dann doch einen Account angelegt. Nach der Wahl wurde die Zahl der neuen Tweets schnell wieder kleiner. So wie bei der SPD-Abgeordneten Karin Evers-Meyer (SPD, @KarinEversMeyer ) aus Friesland. Evers-Meyer legte ihren Account am 17. März 2009 an, ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl. Ihren vorerst letzten Tweet schrieb die SPD-Abgeordnete am 20. Mai 2010:
Viel zu erwarten haben die Follower von Evers-Meyer offensichtlich nicht mehr. Damit steht sie aber nicht alleine da. Rund die Hälfte der 631 Abgeordneten hat gar keinen Account, darunter auch Kanzlerin Angela Merkel. Und so ein bisschen Wahlkampfstratege steckt offenbar in vielen Politkern. Das zeigt die Grafik. Pünktlich vor der Bundestagswahl im September 2009 haben mehr als hundert heutige Abgeordnete ihren Account angelegt.
Typ 5 - der Fraktionsfolger
Er wagt sich auf Twitter nur selten aus dem Kreis seiner Fraktion. Mit den Twitter-Accounts anderer Politiker möchte der Fraktionsfolger lieber nicht so viel zu tun haben. Der Slider zeigt einige Fraktionsfolger im Überblick: