Bundestagsdebatte Müntefering und die Nobodys

Die Arbeitslosigkeit gilt als Hauptproblem Deutschlands, doch die heutige Debatte im Bundestag verlief merkwürdig uninspiriert: Auf die Mini-Regierungserklärung von Vizekanzler Müntefering antworteten nur Hinterbänkler.

Berlin - Fragende Blicke empfingen Franz Müntefering, als er heute Morgen mit einem roten Schal auf der Regierungsbank neben der Kanzlerin Platz nahm. Angela Merkel lächelte und machte eine Bemerkung, woraufhin Müntefering den Schal - sein politisches Markenzeichen, das er auch nach dem Rücktritt als SPD-Chef nicht abgelegt hat - unter der Bank verschwinden ließ.

Nach der Regierungserklärung der Kanzlerin vor zwei Tagen gab heute der Vizekanzler im Bundestag seine Visitenkarte ab. Das Kabinett war fast vollzählig erschienen, um die Mini-Regierungserklärung zum Thema Arbeit und Soziales zu hören, doch das Plenum blieb auffällig leer. Die meisten Fraktionschefs fehlten, weder Guido Westerwelle (FDP) noch Oskar Lafontaine (Linkspartei) oder Peter Struck (SPD) waren zu sehen.

Müntefering blieb sich treu: Er zündete kein rhetorisches Feuerwerk, sondern wiederholte größtenteils Passagen jener Rede, mit der er vor der Wahl über die Marktplätze gezogen war. Der kleine Unterschied: Heute applaudierte auch die Unionsfraktion heftig, wenn Müntefering gegen die Schwarzarbeit wetterte und eine Lanze für die "ehrlichen Arbeitnehmer" brach. Oder wenn er die soziale Verantwortung der Wirtschaft bei der Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen anmahnte. Der Vizekanzler vermied jegliche "Heuschrecken"-Polemik, doch seine Worte gefielen sogar der Linkspartei, deren Vertreterin ihm hinterher zur "ersten sozialdemokratischen Rede seit drei Jahren" gratulierte.

Über mangelndes Glück kann sich der neue Arbeitsminister bisher nicht beklagen. Gestern waren die neuen Arbeitslosenzahlen veröffentlicht worden: Zum ersten Mal seit elf Jahren ist die Zahl der Arbeitslosen in einem November nicht gestiegen, sondern um 25.000 zurückgegangen. Dies sei eine günstigere Entwicklung als erwartet, freute sich Müntefering. Eine Lösung des Problems sei es aber noch nicht. Der Staat könne nur bedingt Arbeitsplätze schaffen. Mit dem angekündigten 25-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm leiste er immerhin einen Beitrag.

Den Ausbildungspakt bezeichnete Müntefering als Erfolg, erinnerte aber daran, dass viele junge Menschen auch weiterhin "in Warteschleifen" seien. Zur niedrigen Erwerbsquote bei den über 55-Jährigen erklärte er, viel zu lange habe man sich eingeredet, mit Vorruhestandsregelungen die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. In Wirklichkeit seien viele Frührentner schlicht Arbeitslose. "Da dürfen wir uns nicht vormachen."

Die anschließende Aussprache war merkwürdig uninspiriert. Die Arbeitslosigkeit gilt als Hauptproblem des Landes, doch die Debatte wurde vor allem von Hinterbänklern geführt. FDP-Generalsekretär Dirk Niebel war noch der prominenteste unter den Rednern, die auf Müntefering antworteten. Für die Union trat Ilse Falck an, gerade erst zur stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden für den Bereich Arbeit und Soziales gewählt. Für die Rednerinnen von Linkspartei, Kornelia Möller, und der Grünen, Brigitte Pothmer, war es gar die erste Rede im Bundestag.

Sie alle warfen Müntefering die geplante Mehrwertsteuererhöhung vor, die die SPD im Wahlkampf abgelehnt hatte. Niebel kritisierte auch die Aufspaltung des Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Dies schaffe nur neue Arbeitsplätze in der Regierung.

Müntefering plädierte indirekt für eine "Politik der kleinen Schritte" auch in seinem Bereich. So hatte Merkel am Mittwoch die Arbeitsweise der Großen Koalition beschrieben. In den nächsten Monaten werde man eine Debatte über "Existenz sichernde Löhne" führen, kündigte Müntefering an. Dies könnten Mindestlöhne oder Kombilöhne sein. Eine Entscheidung solle im ersten Halbjahr 2006 fallen, bis dahin werde man diskutieren. "Diese Freiheit nehmen wir uns."

Auch die Aufbruch-Rhetorik, die das Ost-Duo Merkel und SPD-Chef Matthias Platzeck zum Markenzeichen gemacht hat, eignete Müntefering sich an. Die "Lust im Lande" wachse, sagte er. "Die notorischen Quengler haben keine Chance, sie bleiben allein zurück."

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