Debatte zu Hanau im Bundestag "Sie haben sich schuldig gemacht"
Gut zwei Wochen nach dem Angriff in Hanau und dem Mord an zehn Menschen in dem hessischen Ort hat der Bundestag über Rechtsextremismus debattiert. Zwischen den meisten Rednern herrschte große Einigkeit: Das Problem sei die größte Bedrohung der Demokratie in diesem Land.
Stephan Tomae
FDP-Bundestagsabgeordneter
"Es war keine Einzeltat. Sie reiht sich ein in eine Blutspur rechtsextremistischer Taten in Deutschland und der Welt."
Christine Lambrecht
Justizministerin, SPD
"Der Befund ist ganz klar: Rechtsextremismus ist die größte Gefahr in unserer offenen und friedlichen Gesellschaft."
Ralph Brinkhaus
Fraktionsvorsitzender CDU/CSU
"Der Feind unserer Demokratie steht in diesen Tagen rechts und nirgendwo anders."
Wolfgang Schäuble
Bundestagspräsident, CDU
"Hanau fordert vor allem Aufrichtigigkeit. Aufrechtigkeit vom Staat, der sich eingestehen muss, die rechtsextremistische Gefahr zu lange unterschätzt zu haben."
Off:
Dieser Konsens zog sich allerdings nicht durch die gesamte Debatte. Die Redebeiträge der AfD sorgten für hitzige Reaktionen. Roland Hartwig relativerte das Problem durch Rechtsextremismus in seinem Vortrag.
O-Ton Hartwig:
„Wir werden heute wieder viel Einigkeit erleben. Das ist doch schön, wenn man einen gemeinsamen Feind hat und man auch einig ist, wo man ihn suchen muss. Extremismus entwickelt sich aber an allen Rändern, rechts eben so wie links.“
Der AfD-Mann sprach anschließend kaum über Hanau, sondern über Linksextremismus, soziale Ungerechtigkeit und Spaltung im Land – und über Moral. Die Rede rief zahlreiche empörte Zwischenrufe hervor. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble sah sich gezwungen, einzugreifen.
Schäuble:
"Liebe Kolleginnen und Kollegen, mein Rat wäre, in dieser Debatte auf allen Seiten des Hauses dem Ernst der Lage entsprechend, sich zu verhalten."
Mehrere Abgeordnete attackierten die AfD nach Hartwigs Rede direkt und scharf.
Rolf Mützenich
SPD-Fraktionschef
„Mit Ihren Reden haben Sie Täter, wie jetzt in Hanau, im Glauben gelassen, dass es eine große Zahl gibt, die genau so denken. Sie haben den Boden bereitet, Sie haben sich schuldig gemacht.“
Dietmar Bartsch
Fraktionschef Die Linke
„Noch heute geht einigen das Wort Rechtsterrorismus nicht über die Lippen, ohne Linke im selben Zug zu erwähnen. Und es war eben auch hier eine Peinlichkeit, Herr Hartwig.“
Trotz der hitzigen Debatte war der Bundestag bemüht, das eigentliche Thema - Hanau - immer wieder in den Fokus zu rücken. Mehrfach wurden die Namen der Opfer verlesen. Schon in seiner Eröffnungsrede gedachte Bundestagspräsident Schäuble der Toten.
Schäuble O-Ton:
„Wir trauern um Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Haschemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kenan Kurtovic, Vili Viorel Paun, Fatih Saracoglu,Ferhat Unver, Kaloyan Velokov. Wir gedenken der Mutter des Attentäters, getötet vom eigenen Sohn."
Schäuble warnte einmal mehr vor der gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland – und forderte zum Handeln auf.
O-Ton Schäuble:
„Hanau fordert auch aufrichtige Selbstkritik der Politik. Solche Wahnsinnstaten geschehen nicht imluftleerren Raum. Sie wachsen in einem vergifteten gesellschaftlichen Klima, in dem das Ressentiment gegenüber dem Fremden und abwegigste Verschwörungstheorien geschürt werden, bis Minderheiten als Bedrohung empfunden und in sozialen Medien Hetzjagden oder sogar Morde von perversen Beifallsbekundungen begleitet werden. Es braucht deshalb wirksame Maßnahmen gegen diese unerträgliche Verrohung, nicht zuletzt im Netz.“
Off:
Und schon bevor die Diskussion im Bundestag hitzig wurde, rief Schäuble auch zu einer vernünftigen, abgeklärten Debattenkultur auf.
O-Ton Schäuble:
"Verunsicherung und gesellschaftliche Konflikte dürfen wir nicht beschweigen. Aber wie wir politisch darüber diskutieren, um Wege für ein menschliches Miteinander zu finden, das bestimmt mit darüber, rassistischen Taten wie in Hanau vorzubeugen.“