Bundestagsfraktion Grüne verschleppen den Generationenwechsel

Die Grünen wollen die Kraft des Neuen sein - aber mit alten Köpfen. Die Ex-Minister Künast und Trittin werden die Bundestagsfraktion führen, auch bei den Stellvertretern sind keine Überraschungen zu erwarten: Verjüngung sieht anders aus, kritisiert der Parteinachwuchs.
Grünes Spitzenquartett Roth, Özdemir, Künast, Trittin: Kein Generationenwechsel in Sicht

Grünes Spitzenquartett Roth, Özdemir, Künast, Trittin: Kein Generationenwechsel in Sicht

Foto: DDP

Berlin - Dass die Grünen immer noch auf jüngere Wähler bauen können, zeigte der Wahlsonntag vor gut einer Woche: Ihr Rekordergebnis verdankt die Partei vor allem den unter 30-Jährigen. Und das, obwohl die Piratenpartei den Grünen in diesem Wählerspektrum einiges abjagte. 10,7 Prozent bedeuten eine Bundestagsfraktion von 68 Abgeordneten - 17 mehr als bisher.

Renate Künast

Jürgen Trittin

Fritz Kuhn

Volker Beck

Trotz zweier verpasster Wahlziele - Schwarz-Gelb verhindern, dritte Kraft werden - fühlen sich die Spitzenkandidaten und stark genug, die grünen Abgeordneten zu führen. Künast stand in den vergangenen vier Jahren gemeinsam mit an der Spitze der Fraktion, dessen Platz soll nun Trittin einnehmen. Wenn die Abgeordneten am Dienstagnachmittag zur Abstimmung gebeten werden, stellt sich auch abermals zur Wahl, bereits seit 2002 Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion. Katrin Göring-Eckardt, seit vier Jahren Bundestagsvizepräsidentin, will ebenso erneut für ihr Amt nominiert werden.

Zur Erinnerung: Künast war unter Rot-Grün Bundesministerin für Verbraucherschutz und Landwirtschaft, Trittin verantwortete das Umweltressort, Göring-Eckardt führte von 2002 bis 2005 die Grünen-Abgeordneten im Bundestag, damals assistiert von Beck als Fraktionsmanager.

Es ist also nicht eben eine Formation des Aufbruchs, mit denen die Grünen in vier weitere Oppositionsjahre gehen wollen.

"Grüne Jugendrevolte"?

Und genau dieses Dilemma dämmert inzwischen auch dem einen oder anderen in der Partei, besonders beim Nachwuchs. Die "taz" spricht bereits von der "Grünen Jugendrevolte". Das Parteiratsmitglied Arvid Bell sagte der Zeitung, man vertrete die neuen Positionen der Grünen nicht "glaubwürdig, wenn sich beim Start in diese Oppositionsperiode wieder nur die alte rot-grüne Garde gegenseitig mit Posten versorgt".

Dabei weiß Bell genau, dass zunächst wohl eben das passieren wird: Die Spitzenposten dürften bei der Wahl am Dienstag unfallfrei verteilt werden.

Cem Özdemir

Allerdings - es gibt auch kaum Alternativen. Die jüngeren, wirklich profilierten Grünen sind beinahe allesamt in den Ländern - oder schafften es wie Parteichef nicht in den Bundestag. Beispiel Tarek Al-Wazir: Er entschied sich im März gegen einen Wechsel in die Bundespolitik, nachdem die hessischen Grünen mit ihm als Spitzenkandidaten ein Rekordergebnis erreicht hatten. Oder der Ober-Realo Boris Palmer: Er macht weiter von sich reden - aber weit weg von Berlin als Oberbürgermeister im schwäbischen Tübingen. Und Robert Habeck, vor anderthalb Jahren als Bundeschef gehandelt, führte die schleswig-holsteinischen Grünen vor gut einer Woche zu historischen 12,4 Prozent bei der Landtagswahl.

Wenn Arvid Bell sagt, man solle jetzt "unsere fähigen neuen Leute nach vorne schieben", kann das höchstens die zweite Reihe sein: die fünf Fraktionsvizes, die gleichzeitig den Abgeordneten-Arbeitskreisen vorstehen. Diese Positionen werden am Dienstag allerdings noch nicht gewählt, weil sich die Zuschnitte der Arbeitskreise (AK) nach denen der künftigen Bundesministerien richten wird.

Im Groben steht die Struktur jedoch, genau wie das Personalangebot. Und auch da wird der Generationenwechsel wohl gleich an der wichtigsten Stelle aufgeschoben: Für den Arbeitskreis 1 - bisher zuständig für Wirtschaft, Arbeit, Finanzen und Haushalt - tritt der bisherige Fraktionschef Kuhn an. Weil Künast wie Trittin bei ihm im Wort stehen sollen, dürfte es jeder Gegenkandidat schwer haben. Auch Gerhard Schick, 37, bisher finanzpolitischer Sprecher der Fraktion. Der promovierte Volkswirt wird wegen seiner Kompetenz flügelübergreifend geschätzt - und von den jüngeren Grünen geradezu verehrt. "Gerhard Schick muss künftig eine wichtigere Rolle spielen", sagt Max Löffler, Sprecher der Grünen Jugend. Schick verkörpere einen neuen Ansatz bei der Bekämpfung der Wirtschafts- und Finanzkrise, sagte er SPIEGEL ONLINE.

Wenig Erneuerung in den Arbeitskreisen

Auch beim AK 2 (Umwelt und Agrar) ist wenig Erneuerung zu erwarten: Für den Vorsitz tritt erneut Bärbel Höhn an, in Nordrhein-Westfalen einst Umweltministerin. Als Gegenkandidat wird der bayerische Abgeordnete Anton Hofreiter, 39, gehandelt - allerdings werden ihm kaum Chancen ausgerechnet.

Krista Sager

Hans-Christian Ströbele

Mehr Bewegung könnte es im AK 5 (Bildung und Familie) geben, den erneut - unter Rot-Grün Fraktionschefin - führen will. Gegen sie könnte die bayerische Abgeordnete Ekin Delizgöz antreten, die wohl nicht chancenlos wäre. Sie stünde genauso für Erneuerung wie Konstantin von Notz im AK 3 (Innen- und Rechtspolitik). Für dessen Vorsitz will nicht erneut kandidieren, außer dem frischgewählten schleswig-holsteinischen Bundestagsabgeordneten Notz könnte allerdings auch der ehemalige Berliner Justizsenator Wolfgang Wieland antreten.

Alt gegen Jung - darauf scheint es auch beim AK 4 (Außenpolitik und Verteidigung) hinauszulaufen: Um die Nachfolge des bisherigen Vorsitzenden Trittin streiten sich hier wohl der hessische Abgeordnete Omid Nouripour und der ehemalige NRW-Landeschef Frithjof Schmidt, zuletzt Europaabgeordneter. Dieses Rennen wird von manchem Grünen allerdings als Beispiel dafür angeführt, dass Jugend an sich noch kein zwingendes Argument sein könne. Nouripour, 34, fehle schlicht die Erfahrung für diese sensible Aufgabe, heißt es.

Inzwischen ist aus der designierten Fraktionsspitze zu hören, Künast und Trittin hätten "ein Interesse daran, eine gute Mischung in den Führungspositionen hinzubekommen". Aber klar ist: Der große Generationenwechsel wird vertagt. Grüne-Jugend-Sprecher Löffler findet, umso mehr müsse man nun "inhaltlich den Aufbruch verkörpern". Denn: "Nur so kann man sich in der Opposition von SPD und Linke absetzen."

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