Macht im Bundestag Lammert-Papier räumt Opposition mehr Rechte ein

Parlamentspräsident Lammert: "In der Natur der Sache"
Foto: Bernd von Jutrczenka/ dpaBerlin - Seit Monaten schwelt der Konflikt um die sogenannten Minderheitenrechte im Bundestag. Es geht um Grundsätze des Parlamentarismus und der Demokratie, denn Wahlergebnis und Bildung der Großen Koalition schlagen sich in einer ungewöhnlich kleinen Opposition nieder. Bleiben die Regelungen so, wie sie sind, sind Linken und Grünen zentrale Rechte der Kontrolle und des Einspruchs verwehrt.
Ihm kommt die Rolle des Chefvermittlers zu: Norbert Lammert. Weil sich die Fraktionen nicht auf eine Lösung einigen konnten, hatte der Parlamentspräsident angeboten, einen eigenen Vorschlag zu formulieren. Diesen präsentierte Lammert am Donnerstag dem Ältestenrat im Bundestag.
Lammerts Entwurf, der SPIEGEL ONLINE vorliegt, sieht eine Stärkung wesentlicher Minderheitenrechte per Bundestagsbeschluss vor. "Der Bundestag verpflichtet sich, [...] in der 18. Wahlperiode sicherzustellen, dass die Opposition ihre parlamentarischen Aufgaben wirksam wahrnehmen kann." Insgesamt regelt das Papier sechs Knackpunkte:
- So sollen Grüne und Linke gemeinsam einen Untersuchungsausschuss erwirken können, auch wenn sie dafür eigentlich zu wenig Sitze im Bundestag haben. "Auf Antrag der Mitglieder der Fraktionen, die nicht die Bundesregierung tragen, hat der Bundestag die Pflicht [...] einen Untersuchungsausschuss einzusetzen", heißt es in dem Papier.
- Die Opposition soll in der Lage sein, den Verteidigungsausschuss zum Untersuchungsausschuss umwandeln zu können und dort mit Minderheit Untersuchungsgegenstände festlegen zu können.
- Auch soll die Opposition eine Sondersitzung des Bundestags verpflichtend beantragen können, auch wenn sie laut Wahlergebnis auch dafür streng genommen zu klein ist.
- Die Mitwirkungsrechte der Opposition in Europa-Angelegenheiten sollen gestärkt werden, ebenso die Möglichkeit für Grüne und Linke, geschlossen öffentliche Anhörungen in Ausschüssen und die Einrichtung einer Enquete-Kommission durchsetzen zu können.
Ein detaillierter Katalog auf neun Seiten - doch die Opposition bekommt nicht alles, was sie will. Linke und Grüne pochen auf Änderungen in der Geschäftsordnung des Bundestags oder im Grundgesetz. Auch Rechtsexperten meinen: Ein reiner Beschluss ist rechtlich nicht bindend, im Streitfall könne die Opposition ihre Rechte nicht einklagen. Das räumt auch das Papier an mehreren Stellen ein.
Lammert verteidigte seinen Lösungsvorschlag gegen die zu erwartende Kritik. "Ich halte es nicht für sinnvoll, dass wir je nach Wahlergebnis die Quoren für Minderheitenansprüche neu festlegen", sagte er SPIEGEL ONLINE am Donnerstag. Er warnte vor einer "Eigendynamik", die man nur schwer kontrollieren könne.
Zugleich zeigte er Verständnis für die Sorgen der Opposition. "Nämlich dass immer dann, wenn Minderheitenrechte konkret eingefordert werden, die Koalition mal so verfährt, mal anders." Diese Gefahr würde durch einen solchen Beschluss gebannt. "Wenn der Bundestag das so beschließt, dann legt er sich auf diese wichtigen Minderheitenrechte fest", so Lammert weiter.
Längere Debatten, mehr Redezeit
Möglicherweise geht sein Papier so manchem Mitglied der Koalition sogar zu weit. Vor allem in der Unionsfraktion gibt es viele Anhänger einer weniger detaillierten Regelung, Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erteilte erweiterten Oppositionsrechten sogar gänzlich eine Absage.
Der Parlamentspräsident betonte am Donnerstag, er habe unabhängig entschieden - und drängt nun auf eine rasche Einigung: "Wir wollen und müssen schnell sicherstellen, dass die Minderheitenrechte tatsächlich wahrgenommen werden können."
Die wichtige Frage der Organklage bliebe allerdings weiter ungeklärt. Ein sogenanntes Normenkontrollverfahren ist ein mächtiges Instrument der Opposition, sie kann damit in Karlsruhe prüfen lassen, ob ein Gesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Doch das notwendige Viertel bekommt die Opposition nicht mehr zusammen. Dieses Problem klammerte Lammert "aus gutem Grund" aus seinem Kompromissvorschlag aus. "Wir können Verfassungsrecht nicht durch eine Beschlusslage des Bundestags verändern. Ein solches Verfahren bedarf verfassungsändernder Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat. Das ist ein Thema für sich", erklärte er.
Union und SPD waren der Opposition an anderer Stelle entgegengekommen. Sie stellten Grünen und Linken mehr Redezeit im Parlament in Aussicht, auch wurde die Dauer von Debatten verlängert und die Rednerreihenfolge abwechslungsreicher gestaltet.
Die Fraktionen werden nun auf Grundlage der Lammert-Vorschläge weiter beraten. Die öffentliche Wahrnehmung, der Bundestag beschäftige sich seit Wochen mit eigenen Problemen, sieht Lammert übrigens gelassen: "Dass ein neu gewählter Bundestag sich erst einmal mit sich selbst beschäftigt, liegt in der Natur der Sache."