Barbara Hans

Deutschland nach der Wahl Lauter Verlierer

Angela Merkel hat die Wahl gewonnen, Martin Schulz in der Niederlage eine neue Rolle gefunden. Die AfD taumelt vor Freude, die erstarkte FDP, weil sie sich in die Regierung gezwungen sieht. Ein Abend der Niederlagen.
Berliner Runde zur Wahl

Berliner Runde zur Wahl

Foto: TR/ POOL/ EPA-EFE/ REX/ Shutterstock

Es gibt etwas, das sie alle gemein haben an diesem Abend: Angela Merkel, Martin Schulz, Horst Seehofer. Sie alle haben ihren Parteien historische Niederlagen beschert. Am Tisch sitzen dann in der "Elefantenrunde", man reibt sich die Augen: lauter Gewinner.

Merkel hat gewonnen, weil sie mehr Stimmen hat als die anderen, wenn auch mit einem Rekordverlust für die Union.

Schulz hat gewonnen, weil er endlich glaubt, eine Rolle gefunden zu haben - lieber würdevoll in der Opposition als bis zur Unkenntlichkeit gestaucht in der Regierung.

Die CSU hat gewonnen, weil die meisten der bayerischen Wähler für sie stimmten. Wenn auch wohl mit dem zweitschlechtesten Ergebnis ihrer Geschichte.

Verlierer aber sind auch die anderen, die Grünen, die Linken. Denn mit am Tisch sitzt die AfD. Und die anderen haben das nicht verhindert. Sie sind nun eifrig bemüht, damit möglichst wenig zu tun zu haben.

Aber was nutzt ein Denkzettel, den keiner liest?

Die SPD versucht, Land zu gewinnen, kaum sind die ersten Hochrechnungen bekannt. Von der Großen Koalition, in deren Zeit die AfD an Zuspruch gewonnen hat, will man sich abwenden wie von einem ansteckenden Infekt. Ab 18:01 Uhr, achtzehn-Uhr-eins: Opposition. Doch kann man in Opposition gehen zu eigenen Entscheidungen, zur eigenen Verantwortung? Das Erstarken der AfD ist ein Ergebnis der Großen Koalition, in der auch die SPD regierte.

Schulz wählt einen komfortablen Weg: Die AfD, so seine Botschaft, ist Merkels Problem und eines der Union. Doch auf einem zu schlanken Fuß kann man schlecht stehen. Es scheint an diesem Abend ein wenig so, als sei die Opposition die noblere Regierung. Auf der Strecke bleibt dabei die SPD selbst, als einst so stolze Partei. Sie tut so, als übernähme sie die Verantwortung, in Wahrheit stiehlt sie sich fort.

Seit Jahren war die Linke die Antithese zur Regierungsverantwortung, manchmal hatte man gar das Gefühl: Es war ihr nicht unlieb. Als Protestpartei kann man im Bund gegen alles sein, ohne je deutlich zu belegen, ob die eigenen Ideen der Realität standhalten würden. Nun bleibt ihr nicht einmal mehr dieses Alleinstellungsmerkmal: Die Linke als Protestpartei, das war einmal. Nun keifen andere lauter, nun inszeniert sich die AfD deutlich erfolgreicher als Rächerin der zu kurz Gekommenen. Die Linke braucht nicht weniger als eine eigene Identität. Das ist nicht so wenig.

Die Grünen haben es nicht geschafft, deutlich zu punkten - in Jahren, die geprägt waren durch Debatten über Integration und Klimawandel. Schaut man sich das Ergebnis der Grünen an, dann ist es gerade so, als sei in den vergangenen vier Jahren nichts passiert.

Am Ende bleiben zwei Gewinner: die FDP und die AfD. Die AfD, weil sie sich von einer Partei der Euroskeptiker gewandelt hat zu einer wahrhaft fremdenfeindlichen Partei. Und weil sie es geschafft hat, während sie sich intern in Machtkämpfen zerlegte, dennoch Ängste der Menschen zu schüren und sie erfolgreich für ihre eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. Die anderen Parteien haben sich nicht ausreichend um diese Ängste bemüht. Die AfD war, wenn man so will, näher dran am Volkszorn.

Für Lindner und die FDP ist es ein wahres Dilemma: Er hat den Wiedereinzug in den Bundestag geschafft. Und nun wird er, bevor er sich überhaupt richtig hat freuen können, zum Lückenbüßer degradiert. Schulz räumt das Feld, und Lindner, auferstanden aus Ruinen, soll es bestellen. Undankbar könnte man das nennen. Er ist zur Konstruktivität verdammt.

Die Rolle, die Schulz im Wahlkampf nicht finden konnte, die fand er in den Sekunden nach der ersten Hochrechnung. Gelöst wirkte er, irritierend gelöst. Wie jemand, der gerade noch Teil des Systems war und sich nun anmaßt, es zu verlachen für seine Unzulänglichkeiten. Schulz münzt die Niederlage um in einen Moment größter innerer Freiheit. Endlich nicht mehr eingequetscht von Merkel und der Union, sondern wieder in der Lage, eine Entscheidung zu treffen: und sei es die, der Regierungsverantwortung erst einmal den Rücken zu kehren. Mag sein, dass sich das für die SPD in der Rückschau als richtig, gar als überlebenswichtig erweisen wird.

Es war nicht nur ein Abend der Verlierer. Es war ein zynischer Abend. Für Deutschland und die deutsche Politik.

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