Kampf um Platz drei Extrem aufgeladen

Jeder gegen jeden: Im Kampf um Rang drei bei der Bundestagswahl wird der Ton schärfer. Es geht um viel mehr als nur eine Platzierung.
Christian Lindner

Christian Lindner

Foto: Steffi Loos/ Getty Images

Platz Drei, Platz 3, Platz drei: Die Schreibweisen, die vor der Bundestagswahl kursieren, sind nebensächlich. Denn als Schlagwort ist das "Rennen um Platz drei" (so schreibt es SPIEGEL ONLINE) in diesem Wahlkampf etabliert, als Oberbegriff für den Sieger hinter den Siegern. Während Angela Merkel (CDU) und Martin Schulz (SPD) zumindest formal noch um das Kanzleramt buhlen, konkurrieren die kleinen Parteien in einem Parallel-Wettlauf miteinander. Je nach Umfrage erreichen Linke, FDP, Grüne und AfD Werte zwischen 6,5 und 11 Prozent, noch nie gab es so viele Anwärter auf Platz drei.

Und auch wenn Drittplatzierter irgendwie traurig klingt, nach Bronze und Trostpreis und heimlichen Tränen, ist dieser Wettlauf enorm wichtig. Er entscheidet über Macht, Mobilisierung und die Frage: Wer von den kleinen Parteien, die gute Chancen auf den Bundestagseinzug haben, wird wirklich gebraucht?

Darum geht es beim Kampf der Knirpse:

1. Sie entscheiden über die nächste Regierung: Noch mal Große Koalition gilt als Notoption. Platz drei bestimmt deshalb wohl, wer als größte der kleinen Parteien mit der Union über eine Regierung verhandelt (nach einer Führung der SPD sieht es gut zwei Wochen vor der Wahl nicht aus). In Frage kommen vor allem FDP und Grüne. Die Linke hätte nur unter SPD-Führung eine vage Regierungschance, mit der AfD will niemand koalieren.

2. Jede Stelle hinter dem Komma zählt: Wird die Große Koalition beerdigt, ist ein Bündnis aus Union und FDP denkbar, theoretisch auch zwischen Union und Grünen. Wenn es dafür nicht reicht, und für eine SPD-geführte Regierung auch nicht, wäre unter Umständen ein Jamaika-Bündnis aus Union, FDP und Grünen realisierbar. Der Trend zu knappen Mehrheiten zeichnete sich schon bei Landtagswahlen ab, was zu vielen Dreierbündnissen führte (siehe Grafik).

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3. Wer gut verhandeln will, muss stark sein: Gehen Kleinparteien in Sondierungs- oder Koalitionsgespräche, entscheidet ihr Ergebnis über den Einfluss in der künftigen Regierung. Je stärker ein Juniorpartner ist, desto mehr Posten kann er besetzen. Es geht auch um das Zugriffsrecht auf wichtige Ministerien wie Außen, Innen, Wirtschaft und Finanzen, und um die Vizekanzlerschaft. Trotz Paarbeziehung mit der CDU strebt selbst die CSU ein möglichst gutes eigenes Ergebnis bei der Bundestagswahl an (letztes Mal: 7,4 Prozent) - um möglichst viele eigene Interessen in Berlin durchsetzen zu können.

4. Wer wird Oppositionsführer? Im Fall einer weiteren Großen Koalition gehen alle kleinen Parteien, die es in den Bundestag geschafft haben, in die Opposition. Die ist mitnichten machtlos, sondern treibt mit Anträgen oder Fragestunden die Regierung vor sich her. Ihre größte Fraktion steht besonders im Fokus, hat die längsten Redezeiten und darf die meisten Ausschussvorsitze belegen. Auch deshalb kämpfen Linke, Grüne, FDP und AfD um jede Stimme.

5. Platz drei ist eine Existenzfrage: Welche politische Kraft nach den Volksparteien kann die meisten Menschen für sich begeistern: eine liberale, ökologische, linke oder rechtspopulistische? Platz drei ist in dieser Hinsicht symbolisch extrem aufgeladen. Außerdem schafft eine Wahl harte Fakten: Ist eine Partei relevant oder überflüssig? Beim letzten Mal flog die FDP aus dem Bundestag und steckte danach in der Krise. 2013 besiegelte das Ende der Piraten, die es nie in den Bundestag schafften. Nun zittern die Grünen, weil sie in vielen Umfragen auf dem letzten Platz liegen.


Alle kleinen Parteien hoffen, in den Tagen bis zur Bundestagswahl viele unentschlossene Wähler zu überzeugen. Auch wenn das Potenzial sehr schwer zu berechnen ist: Das Umfrageinstitut Civey schätzt die Zahl der Unentschlossenen auf "zwischen 35 und 40" Prozent.

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Der Kampf um Platz drei ist deshalb ungewöhnlich aggressiv:

  • Die AfD setzt auf kalkulierte Eklats, die ihr auf den letzten Metern Aufmerksamkeit bringen sollen: Die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel verließ vorzeitig ein Fernsehstudio, der AfD-Politiker Alexander Gauland wollte die türkischstämmige SPD-Spitzenpolitikerin Aydan Özoguz "in Anatolien entsorgen" lassen.
  • FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner brach mit einem Tabu und forderte, den Status quo der von Russland annektierten Krim vorerst zu akzeptieren. Jetzt drängte er in der "Bild" darauf, selbst syrische Kriegsflüchtlinge in ihre Heimat zurückzuschicken, "sobald die Lage es dort zulässt". "Lindner fischt im braunen Teich", schimpfte die Linke. Die Grünen warfen ihm vor, sich "auf dem Rücken der Geflüchteten" zu profilieren. Die FDP fordert in ihrem Wahlprogramm ein klares Unterscheiden zwischen Einwanderern und Asylbewerbern, Lindners Position ist also nicht neu. In der Schlussphase hat er sie aber noch mal rhetorisch verschärft.
  • Die Linke will die Oppositionsführung verteidigen. Seit die Option Rot-Rot-Grün wieder in weite Ferne gerückt ist, kann man auch wieder herzhaft die SPD attackieren: Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht beschimpfte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz als "Zauselbart". Weil die Linke mit der AfD um Protestwähler buhlt, muss sie sich auch von ihr abgrenzen: Die Partei sei voller "handfester Halbnazis", sagte Wagenknecht zu Weidel.
  • Die Grünen wollen in der Abgrenzung zur FDP Stammwähler mobilisieren (auch wenn man am Ende in einer Regierung sitzen könnte). In den verbleibenden Wochen soll der Ökomarkenkern ins Zentrum gestellt werden, etwa der Ausstieg aus Kohle und Diesel. Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt hielt der FDP vor, ins Lager der Klimaleugner gewechselt zu sein: Lindner hatte Schadstoff-Grenzwerte in Frage gestellt, FDP-Generalsekretärin Nicola Beer das "angebliche Auftreten von mehr Extremwetterereignissen" als "Fake News" bezeichnet.
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Tatsächlich ist das Ziel "Platz drei" ein relativ neues Phänomen. 2013 spielte der dritte Platz kaum eine Rolle: Grüne und Linke landeten fast gleichauf in der Opposition, AfD und FDP kamen nicht in den Bundestag - jetzt könnten sie an Grünen und Linken vorbeiziehen.

Als sich die AfD 2016 konstant zweistellig hielt, wurde ein Ergebnis über zehn Prozent bei der Bundestagswahl die Zielmarke anderer Kleinparteien - auch als Signal gegen den Rechtspopulismus. "Im Bund ist ein deutlich zweistelliges Ergebnis möglich. Das wollen wir erreichen", sagten die Grünen noch Ende Januar im SPIEGEL.

Doch dann sackten alle kleinen Parteien unter die Zehnprozenthürde, wochenlang, monatelang. Um ihr Gesicht zu wahren, riefen die Grünen ab Mai den "Kampf um Platz drei" aus. Die Konkurrenz zog nach.

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