Bundestagswahl Kanzlerin von Guidos Gnaden
Berlin - strahlt. Ein, zweimal wackelt sie mit dem Kopf, wippt kurz auf den Zehenspitzen, so, als wolle sie vor Freude am liebsten einen kleinen Hüpfer machen. Im roten Blazer steht sie um kurz nach 19 Uhr auf der Bühne des Konrad-Adenauer-Hauses. Eben noch war auf den Leinwänden SPD-Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier zu sehen, wie er den Genossen die bittere Schlappe zu erklären versuchte, und die Menge in der CDU-Zentrale lachte spöttisch über die entsetzten Gesichter im Willy-Brandt-Haus. Nun schallt es "Angie, Angie" durch das voll besetzte Foyer. Mehrfach muss die CDU-Chefin ansetzen, um sich Gehör zu verschaffen. "Nicht nur Ihr und Sie sind heute Abend glücklich - ich bin es auch. Wir haben etwas Tolles geschafft."
Es reicht, es reicht für Schwarz-Gelb, das sagen die Wahlforscher in ihren Hochrechnungen übereinstimmend voraus. Es reicht sogar für eine stabile Mehrheit - "und das ist gut", freut sich Merkel. Es reicht allerdings nicht, weil Angela Merkel und Horst Seehofer ihre Union endlich wieder an die 40 Prozentmarke herangeführt hätten. Im Gegenteil: CDU und CSU erreichen mit gerade einmal 33,8 Prozent nicht einmal das Niveau von vor vier Jahren. Damit fährt Merkel das schlechteste Ergebnis für die Union bei einer Bundestagswahl seit der Wahl 1949 ein. Die CSU erleidet für ihre Verhältnisse gar ein Desaster: Bei 42,6 Prozent liegen die Christsozialen in Bayern.
Es reicht also vor allem für , weil die FDP so stark ist. 14,6 Prozent holen die Liberalen. ist der eigentliche große Sieger dieser Wahl, darum überlässt ihm Merkel am Abend sogar den letzten Auftritt in der Reihe der TV-Liveschaltungen.
Westerwelle nimmt seinen Lebenspartner mit
Um 19.11 betritt der FDP-Chef dann das Foyer in den "Römischen Höfen" in Berlin. Die Anhänger rufen "Guido, Guido", irgendwann singen sie wie im Fußballstadion "So sehen Sieger aus, Schalalala". Westerwelle steht auf dem Podest mit dem Führungspersonal seiner Partei, plötzlich umarmt ihn sein Lebenspartner Michael Mronz. Westerwelle strahlt in die Kameras, es ist der Augenblick, auf den er hingearbeitet hat - die FDP ist wieder zurück an der Macht, nach elf Jahren in der Opposition. Neben ihm steht , der Ex-Außenminister und FDP-Ehrenvorsitzende, er wirkt fast ein wenig entrückt. Genscher, der die sozial-liberale und schwarz-gelbe Koalition in seiner Zeit mitgeprägt hat, hat Wahlkampf für den FDP-Chef gemacht. Genscher hat ihm im Präsidium an diesem Abend noch vor der ersten Hochrechnung gedankt: Der Erfolg sei auch ein Verdienst Westerwelles als Person.

Mehrheit für Schwarz-Gelb: Jubel bei FDP, Erleichterung bei der Union
Westerwelle hält eine, für seine Verhältnisse, kurze Rede. Er lobt das beste Ergebnis seiner Partei in der Nachkriegszeit. "Wir werden jetzt Deutschland mitregieren, mit einem fairen Steuersystem, besseren Bildungschancen, Bürgerrechten..." - der Rest geht im Jubel der Anhänger unter. "Wir freuen uns, aber wir bleiben auf dem Teppich. Jetzt geht die Arbeit erst richtig los." Wieder Jubel. "Wer Verluste erklären muss, braucht lange Reden. Wer einen Sieg feiern kann, kann sich kurz fassen", witzelt der strahlende Sieger.
Westerwelle hatte seit 17 Uhr mit dem FDP-Präsidium in den "Römischen Höfen" in Berlin zusammengesessen, sich die Zwischenergebnisse der Institute reinreichen lassen, dann auf zwei Monitoren Prognosen und erste Hochrechnungen verfolgt. Die FDP hatte wegen des enormen Andrangs auf ein Ersatzquartier Unter den Linden ausweichen müssen, die Bundeszentrale reichte nicht aus für die über 2000 Gäste.
Mitten unter ihnen gibt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Interviews. Im Freistaat Bayern hat ihre FDP 15 Prozent erreicht, ein neues Rekordergebnis. Leutheusser-Schnarrenberger, die bayerische Landesvorsitzende, war schon einmal Bundesjustizministerin, ihr Name wird auch unter potentiellen Neuministern genannt. "Jetzt denken wir nicht an Ministerposten, auch nicht an Personen", wehrt sie ab. Am Montag, so erwartet FDP-Generalsekretär Dirk Niebel, werden FDP und Union erste Terminabsprachen für Koalitionsgespräche treffen.
Dass die FDP ein selbstbewusster Partner werden will, zeigt sich bereits in der Elefantenrunde von ARD und ZDF. Da spricht der CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer, zugeschaltet aus München, von den Leihstimmen der CSU, die die FDP in Bayern erst stark gemacht hätten. Das lässt sich Westerwelle nicht sagen: Es gebe keine Leihstimmen von Parteien, die Bürger entschieden. Wer jetzt FDP gewählt habe, sei ein FDP- und kein CSU-Wähler. "So einfach ist das nämlich", blafft Westerwelle.
Schwamm-Drüber-Stimmung
Bei der CDU sieht man das enorme Selbstbewusstsein des neuen Koalitionspartners gelassen. Es herrscht eine Schwamm-drüber-Stimmung mit Blick auf das eigene, mäßige Ergebnis. Angela Merkel bleibt Kanzlerin, die Große Koalition ist zu Ende. "Wir haben doch das Wahlziel erreicht", dieser Satz ist an allen Ecken zu hören. Und die alte und wahrscheinlich neue Kanzlerin sagt: "Da finde ich, ist die Union doch in einer Art und Weise mit einem Ergebnis noch dabei, das uns sehr zufrieden stimmen kann." Unionsfraktionschef Volker Kauder glaubt gar, dass am Ende viele Unionswähler ihre Zweitstimme taktisch vergeben haben. "Da sind viele Merkel-Stimmen bei", ist sich Kauder sicher.
Sicher ist aber auch, dass das Regieren für Merkel im schwarz-gelben Bündnis nicht einfacher werden wird. Die Präsidialkanzlerin der vergangenen vier Jahre, die abwartende, moderierende Chefin der Großen Koalition, diese Rolle wird Merkel nun aller Voraussicht nach nicht mehr spielen können. Schon in den Koalitionsverhandlungen werden sich die Liberalen teuer verkaufen. Der zuletzt so oft enttäuschte Wirtschaftsflügel dürfte sich freuen, das die ordnungspolitischen Prinzipien dank der FDP nun wieder lautstärker zu hören sein werden, auch wenn Merkel betont, dass sie auch künftig auf soziale Ausgewogenheit ihrer Politik achten will.

Sieger und Verlierer: Die besten Bilder des Wahlabends
Dazu kommt, dass die bayerische Schwester ihr Störfeuer nach ihrem schwachen Ergebnis mit Sicherheit nicht einstellt. Im Gegenteil: CSU-Chef Horst Seehofer, dessen Landesgruppe im Bundestag nunmehr halb so stark wie die FDP-Fraktion sein wird, muss nun noch mehr auf Krawall setzen, um als kleinster Partner in der Koalition nicht unterzugehen.
Und auch die anderen Ministerpräsidenten der Union werden nicht ruhiger werden. Die Union hat das Wahlziel erreicht, aber wahrlich kein Traumresultat geholt. Zwar wird es so schnell keine Diskussion über die Kanzlerin und Parteichefin geben. Doch viele werden darauf drängen, dass das Ergebnis diesmal bei allem Jubel auch angemessen analysiert wird. "Dass wir uns das ein bisschen besser gewünscht hätten", sagt der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers am Abend, "das ist auch klar. Das wird man sich anschauen müssen."
Merkel hat eine genaue Analyse des Ergebnisses zugesagt. Als sie vor den jubelnden Anhängern mahnt, dass schon bald "harte Arbeit" auf die Union warte, wird es kurz still im Foyer des Adenauer-Hauses. Schnell schiebt sie entschuldigend hinterher: "Ich wollte die Stimmung hier jetzt nicht runterreden." Die Menge johlt wieder, "eine schöne Party", ruft Merkel. Arbeit und Analyse müssen an diesem Abend warten.