Bundesverfassungsgericht Köhler schimpft über Klagewut deutscher Politiker

Wenn ein Politiker scheitert, gibt er nicht auf - sondern klagt vor dem Verfassungsgericht: Diese "Anomalie im demokratischen Prozess" prangert jetzt Bundespräsident Köhler an. Viel zu oft müsse die Justiz anstelle des Parlaments entscheiden.
Angela Merkel, Hans-Jürgen Papier, Andreas Voßkuhle und Horst Köhler (v.l.n.r.): Amtseinführung des neuen Gerichtspräsidenten

Angela Merkel, Hans-Jürgen Papier, Andreas Voßkuhle und Horst Köhler (v.l.n.r.): Amtseinführung des neuen Gerichtspräsidenten

Foto: Uli Deck/ dpa

Köhler

Andreas Voßkuhle

Karlsruhe - Horst Köhler hat die deutsche Politik als zu klagefreudig kritisiert. Zu oft würden politische Debatten an das Verfassungsgericht verlagert - dieses sei aber "nicht gedacht als Ersatz für Politik", sagte bei der offiziellen Amtseinführung des neuen Gerichtspräsidenten .

Bundesverfassungsgericht

Wenn eine politische Gruppe etwas nicht erreiche, rufe sie das an, sagte Köhler. Es sei eine "Anomalie" im demokratischen Prozess, wenn unterlegene politische Minderheiten versuchten, Ideen mit Hilfe des Gerichts doch noch durchzusetzen - auch wenn gar keine Hinweise auf Verfassungsverstöße vorlägen.

Erst vor wenigen Tagen hatte ein Gruppe von Euro-Skeptikern versucht, das von Bundesregierung und Parlament verabschiedete Rettungspaket für Griechenland per Eilantrag vor dem Bundesverfassungsgericht zu stoppen. Sie scheiterten damit allerdings vorerst.

Ebenso sei es eine "Anomalie demokratischer Politik", wenn die Karlsruher Richter selbst Themen setzen und politische Handlungen vorgeben müssten. Dabei bezog sich Köhler auf Entscheidungen der vergangenen Jahre und Monate, bei denen das Bundesverfassungsgericht der Politik bisweilen konkrete Vorgaben machte - zum Beispiel beim Hartz-IV-Urteil, bei dem es die pauschale Berechnung der Sätze verwarf und eine Neufestlegung einforderte.

Aus dem Trend zur Verlagerung von Entscheidungen vor Gerichte spreche eine "gewisse Unlust am demokratischen und parteipolitischen Alltag mit seinen vielen Mühen und am Meinungsstreit", sagte Köhler. Es sei offenbar auch ein Zeichen für einen Verlust des Vertrauens in Parlamente, Parteien und Regierungen, die sich vor dem Hintergrund von Problemen wie Staatsverschuldung, Klimawandel oder Terrorismus einstellten. Damit zeichne sich für eine Demokratie eine Entwicklung ab, "die schleichend wirklich krisenhafte Züge annehmen könnte".

Hans-Jürgen Papier

Der 46-jährige Voßkuhle tritt die Amtsnachfolge des scheidenden Präsidenten an, der das oberste deutsche Gericht seit 2002 geleitet hatte. Zusammen mit Voßkuhle, der seit 2008 als Richter in Karlsruhe arbeitet, wurden der neue Vizepräsident Ferdinand Kirchof und der neue Verfassungsrichter am Zweiten Senat, Andreas Paulus, ins Amt eingeführt. Ernannt worden waren die drei Richter bereits im März.

ler/AFP/AP
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