Urteil des Bundesverfassungsgerichts NPD - verfassungsfeindlich, menschenverachtend, unbedeutend
Die NPD ist verfassungsfeindlich. Sie verstößt gegen die Menschenwürde und ist antidemokratisch, sie will die freiheitlich-demokratische Grundordnung abschaffen, und ihre Ideologie ist wesensverwandt mit der NSDAP. Trotzdem wird die NPD nicht verboten. Denn die rechtsextreme Partei ist schlicht zu unbedeutend, um etwas zu bewegen.
So hat es der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts einstimmig entschieden. Den Richtern ist am Dienstagmorgen bewusst, dass dieses Ergebnis manche irritieren wird. Dass der Verbotsantrag der Bundesländer abgelehnt wird, obwohl das Gericht inhaltlich auch zu dem Schluss kommt, dass die NPD "nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Anhänger die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anstrebt".
Zwei Stunden nehmen sich Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle und seine Kollegen deshalb Zeit, ihre Entscheidung zu begründen. "Das Parteiverbot ist kein Gesinnungs- oder Weltanschauungsverbot", schiebt Voßkuhle vorweg. Schnell wird deutlich: Das Urteil ist alles andere als ein "Sieg" für die NPD, wie es die Rechtsextremen kurz nach der Verkündung nennen.
Dem Gericht fehlen "derzeit" die konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die Partei überhaupt in der Lage wäre, ihre verfassungsfeindlichen Ziele umzusetzen - und das wäre eine wichtige Voraussetzung, um eine Partei zu verbieten. "Die NPD verfügt nur über geringe Wirkkraft in die Gesellschaft", so die Richter.
Und das Verfassungsgericht geht nicht davon aus, dass sich daran alsbald etwas ändert - im Gegenteil. "Die NPD hat es in den mehr als fünf Jahrzehnten ihres Bestehens nicht vermocht, dauerhaft in einem Landesparlament vertreten zu sein", so die Richter. Es gebe weder Anhaltspunkte, dass sich das künftig verändere, noch seien andere Parteien im Bundestag oder in Landtagen "bisher" dazu bereit, mit der NPD auch nur zu kooperieren. (Lesen Sie hier mehr über den desolaten Zustand der Partei.)
Schwer erträglich
Mindestens genauso ausführlich gehen die Richter auf die Gesinnung der Partei ein. Für den Verbotsantrag hatten die Bundesländer vor drei Jahren 268 Seiten Material zusammengetragen, das die Verfassungswidrigkeit der NPD beweisen sollte. Später legten sie noch einmal auf 140 Seiten weitere Argumente nach.
Einige Beispiele lesen die Richter nun noch einmal vor, darunter Auszüge aus dem Parteiprogramm, Zitate aus Artikeln der NPD-Nachwuchsorganisation und Äußerungen der ehemaligen Parteivorsitzenden. Es geht viel um "Rasse" und Volk, um Antisemitismus, um menschenverachtende Äußerungen über Asylbewerber und Migranten. Und immer wieder erinnert die Wortwahl an nationalsozialistische Parolen. Das ist für die meisten im Saal nur schwer erträglich.
Einige Feststellungen der Richter im Detail:
- Es gibt eine Wesensverwandtheit der NPD mit der NSDAP.
- Führende Vertreter der NPD wollen den Nationalsozialismus verklären und seine Verbrechen relativieren.
- Die NPD missachtet mit ihrer Vorstellung einer ethnisch definierten "Volksgemeinschaft" die Menschenwürde.
- Im Zentrum menschenverachtender Äußerungen stehen insbesondere Asylbewerber und Migranten. Die Missachtung der Menschenwürde ist aber nicht auf diese Gruppen beschränkt.
- Die Partei misst dem Kampf gegen den Islam große Bedeutung zu.
- Das politische Konzept der NPD ist nicht mit dem Anspruch auf eine gleichberechtigte Teilhabe aller Staatsangehörigen an der politischen Willensbildung vereinbar. Die NPD will das bestehende politische System durch einen "Nationalstaat" ersetzen.
- Die NPD hat keine Führungsrolle in der rechten Szene.
Bleibt nun - trotz der Vielzahl der Belege für die menschenverachtende und verfassungsfeindliche Gesinnung der NPD - alles so wie bisher? Hat NPD-Chef Frank Franz tatsächlich Anlass, "sehr glücklich" zu sein, wie er sagt? Nicht unbedingt. "Es wäre verfehlt, Wert und Bedeutung des Verfahrens allein vom konkreten Ergebnis her zu beurteilen. Sein Ertrag reicht deutlich weiter", mahnt Gerichtspräsident Voßkuhle.
Denn in ihrem Urteil weisen die Richter ausdrücklich auf "andere Reaktionsmöglichkeiten", etwa den Entzug der staatlichen Parteifinanzierung, hin. Auf Einschüchterungen und Bedrohungen oder den "Aufbau von Gewaltpotenzialen" müsse rechtzeitig und umfassend mit den Mitteln des präventiven Polizeirechts und des repressiven Strafrechts reagiert werden.
Und noch etwas ist den Richtern mit der Entscheidung gelungen: Sie haben das Verfahren zum Anlass genommen, die Voraussetzungen für ein Parteiverbot zu überdenken und zeitgemäß anzupassen. Nun bestehen aus Sicht des Zweiten Senats keine Zweifel mehr, "ob das im Grundgesetz vorgesehene Parteiverbotsverfahren mit den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar ist". Das ist im Hinblick auf mögliche weitere Parteiverbote wichtig - und so auch der NPD eine Mahnung.
Denn sollte die Partei in der Zukunft doch wieder erstarken, bleibt es der Politik offen, erneut ein Parteiverbot zu beantragen. Daran will nach zwei gescheiterten Anträgen derzeit aber wohl niemand denken.