Warnbrief Wahlleiter droht Twitter-Plaudertaschen mit 50.000 Euro Bußgeld

Twitter-Symbol: "Auswirkungen auf das Stimmverhalten"
Foto: LEON NEAL/ AFPBerlin - Am Wahlsonntag sollen die Bürger in Ruhe ihre Entscheidung treffen können: Knapp 62 Millionen Menschen sind dazu aufgerufen, für ihre Wunschparteien zu stimmen - und zwar unbeeinflusst von zankenden Spitzenkandidaten und frischen Umfragewerten. Deshalb erfährt die Öffentlichkeit auch erst um 18 Uhr die ersten Prognosen, wenn die Wahllokale geschlossen sind.
Soweit die Theorie. In der Realität erstellen Wahlforschungsinstitute schon vor diesem Zeitpunkt erste Ergebnistrends, sogenannte Exit Polls. Diese entstehen, indem man Wähler nach ihrer Stimmabgabe direkt befragt. Solche Stichproben ergeben bereits am Sonntagnachmittag eine relativ genaue Vorhersage der Sitzverteilung. Ausgewählte Vertreter der großen Parteien erhalten die Informationen vorab vertraulich.
Genau das könnte am kommenden Wahlsonntag, in Zeiten von Twitter und Facebook, zum Problem werden, warnt nun das Statistische Bundesamt: Der Bundeswahlleiter hat den Parteien mit Geldbußen gedroht, sollten sie am Sonntag vor Schließung der Wahllokale Informationen über die Exit Polls öffentlich machen.
Dies geht aus einem Brief Roderich Egelers hervor, den er an Vertreter von Union, SPD, Grünen, FDP und der Partei Die Linke geschickt hat. Demnach droht Egeler bei einem solchen Verstoß mit einer Geldbuße laut Bundeswahlgesetz "von bis zu 50.000 Euro" (hier können Sie den Gesetzestext nachlesen, Paragraph 49, Absatz 2 ).
"Streng vertraulich"
"In meiner Funktion als Bundeswahlleiter möchte ich Sie im Hinblick auf die anstehende Bundestagswahl (...) für das Thema Gefahr der Auswirkungen auf das Stimmverhalten der Wahlberechtigten und die Verbreitung von Vorabinformationen über Websites (z.B. Twitter) sensibilisieren", heißt es in dem Schreiben, das SPIEGEL ONLINE vorliegt. In dem Brief warnt Egeler ausdrücklich davor, die Ergebnistrends vor 18 Uhr zu veröffentlichen. Diese Informationen seien als "streng vertraulich" zu behandeln, heißt es weiter.
Theoretisch könnte, wenn sich einzelne Personen nicht daran halten, das Ergebnis der Wahl angefochten werden. Denn erst wenn der Bundeswahlleiter und seine Länderkollegen festgestellt haben, dass alles nach Recht und Gesetz abgelaufen ist, erklärt der Bundestag die Wahl für gültig.
Bei Anfechtungen wegen grober Fehler kann sie ganz oder teilweise annulliert werden. Eine geringe Wahlbeteiligung wäre dafür kein Grund, schließlich gibt es keine Wahlpflicht in Deutschland. Aber eine Beeinflussung über soziale Netzwerke könnte als Anlass gesehen werden, die Bundestagswahl in Frage zu stellen.
Es gab schon Twitter-Pannen in Deutschland
Die Sorge des obersten Wahlwächters ist nicht unbegründet: Bei der Bundespräsidentenwahl von 2009 und bei einigen Landtagswahlen waren vorab Ergebnisse über den Kurznachrichtendienst durchgesickert, allerdings ohne Konsequenzen.
Auch in anderen europäischen Ländern versucht man, Internet-Plappermäuler abzuschrecken. In Frankreich gibt es ebenfalls ein entsprechendes Gesetz. Vorzeitige Veröffentlichungen von Ergebnistrends könnten das Verhalten der Bürger an der Urne beeinflussen, entschied der Gesetzgeber dort bereits 1977. Wer Exit Polls zu früh veröffentlicht, riskiert ein Gerichtsverfahren und Strafen von bis zu 75.000 Euro.
Allerdings existieren solche Regelungen in einer Grauzone: Wenn etwa ein Eingeweihter die Trends per SMS an einen Bekannten im Ausland verschickt, und dieser die Zahlen dann twittert, dürfte sich das im Rückblick kaum mehr nachvollziehen lassen.
In Deutschland gibt es nach Angaben des Unternehmens derzeit 19 Millionen aktive Nutzer von Facebook. Bei Twitter sind die Zahlen mit Vorsicht zu genießen, da die Rate von gefälschten oder inaktiven Accounts ziemlich hoch ist. Schätzungen gehen von um die 800.000 aktiven Twitter-Nutzern in Deutschland aus.